„Die Spanier“ und „die Amerikaner“ gibt es nicht


Verfasserin: Sabine Machwürth, Gesellschafterin der Unternehmensberatung Machwürth Team International (MTI Consultancy), Visselhövede

Geplantes Kennlernen schafft Vorurteile ab

„Das wird schon gutgehen.“ Nach dieser Maxime planen Unternehmen häufig Projekte, an denen Personen aus mehreren Ländern mitwirken – speziell dann, wenn die ausländischen Partner aus den westlichen Industriestaaten stammen. Denn deren Kulturen sind verwandt. Deshalb werden die Unterschiede oft unterschätzt.

Kennen Sie die Doku-Serie „Goodbye Deutschland“ im Fernsehsender VOX, in der über die Erfahrungen deutscher Auswanderer berichtet wird? Sie stellen oft nach ein, zwei Jahren in der Fremde erstaunt fest: Jetzt lebe ich zwar im Ausland, doch meine besten Freunde sind weiterhin Landsleute von mir. Dabei nahm ich mir vor dem Auswandern vor: Ich möchte nicht in einer deutschen Enklave leben, sondern persönliche Beziehungen zu den „Einheimischen“ aufbauen.

Die meisten Personen, die bisher nur ihren Urlaub im Ausland verbrachten, unterschätzen, wie stark sie durch ihre Heimat geprägt sind. Sie unterschätzen auch, wie sehr es sie mit ihren Landsleuten verbindet, dass sie

  • dasselbe Schulsystem durchliefen,
  • von Kindesbeinen an dieselben Radiosender hörten,
  • es gewohnt sind, den Müll zu trennen,
  • und, und, und....

All diese Faktoren prägen unser Empfinden und Erleben und somit auch das, was uns wichtig ist. Deshalb haben Deutsche im Ausland oft das Gefühl: Meine Landsleute verstehen mich besser und schneller als „Einheimische“. Denn erst im tagtäglichen Miteinander registrieren sie die kulturellen Unterschiede im Empfinden, die zu einem unterschiedlichen Verhalten führen. Diese Unterschiede gilt es zu reflektieren. Sonst erwachsen hieraus Vorurteile, die sich mit der Zeit zu (Negativ-)Urteilen verfestigen.

Zwei Beispiele: Oft wandern Deutsche aus, um ein „stressfreier“ zu leben. Doch schon nach kurzer Zeit klagen sie über die Laisser-faire-Mentalität ihrer neuen Mitbürger. Und Deutsche, die ihrem Vaterland den Rücken kehrten, weil ihnen die deutsche Bürokratie „die Luft zum Atmen nahm“? Sie klagen häufig schon wenige Wochen später darüber, wie willkürlich die Behörden in ihrer neuen Heimat agieren und wie schwierig das Erlangen von Genehmigungen ist.

Kulturelle Unterschiede werden meist unterschätzt

Ähnliche Prozesse registriert man auch in Unternehmen, deren Mitarbeiter plötzlich mit ausländischen Partnern zusammenarbeiten müssen – zum Beispiel, weil ihr Arbeitgeber in Spanien ein neues Werk eröffnete. Oder eine Vertriebsorganisation in China gründete. Oder mit einem US-amerikanischen Mitbewerber fusionierte.

In solchen Situationen unterschätzen Unternehmen und ihre Mitarbeiter anfangs oft die kulturellen Implikationen der Zusammenarbeit – und zwar auch dann, wenn die neuen Partner keine „Exoten“, sondern zum Beispiel Dänen oder Franzosen, Engländer oder US-Amerikaner sind. Denn gerade weil die westlichen Industrienationen gemeinsame kulturelle Wurzeln haben, erscheint an der Oberfläche vieles gleich. Das verleitet die Unternehmen dazu, transnationale Projekte getreu der Maxime zu planen: Das wird schon funktionieren.

Es wird also wenig Zeit in das Ermitteln der möglichen Knackpunkte in den Projekten und in das Vorbereiten der Mitarbeiter auf die Zusammenarbeit investiert. Denn dies erscheint, anders als wenn die neuen Partner Inder oder Chinesen, Saudis oder Afrikaner sind, nicht nötig. Denn auch die Franzosen und Amerikaner essen mit Messer und Gabel – und nicht mit Stäbchen beziehungsweise den Fingern. Und auch im betrieblichen Miteinander scheint alles weitgehend gleich.

Aus Vor-Urteilen werden schnell Pauschal-Urteile

Doch dann startet das Projekt. Und einige Zeit später merken die Verantwortlichen: Irgendwie läuft das Ganze nicht wie geplant. Ständig gibt es Reibereien. Und unsere Botschaften kommen beim Gegenüber nicht an. Dann reift in ihnen allmählich die Erkenntnis: Die kulturellen Unterschiede sind größer als gedacht. Doch leider ist es dann oft zu spät, das Ruder herumzureißen – beziehungsweise hierfür wäre ein enormer Energieaufwand nötig. Denn zu diesem Zeitpunkt haben sich die latenten Vorurteile, die jeder Mensch gegenüber Personen aus anderen Kulturen hegt, häufig bereits zu Urteilen verfestigt – Urteilen, die sich in pauschalisierenden Aussagen und Gedanken wie „Die Spanier...“ oder „Die Amerikaner sind halt so“ manifestieren.

Das heißt, es wird nicht mehr beachtet, dass es „den Spanier“ oder „Amerikaner“ ebenso wie „den Deutschen“ nicht gibt – selbst wenn gewisse Verhaltensmuster in den einzelnen Kulturen verschieden stark ausgeprägt sind. Es wird auch nicht mehr reflektiert, dass jedes Verhalten aus einem bestimmten Erleben resultiert. Deshalb ist vielfach kein Verstehen möglich. Vielmehr werden die Verhaltensmuster mit Werturteilen verknüpft – wie „Die Amerikaner sind halt oberflächlicher als wir Deutschen“ oder „Spanier sind wie alle Südländer unzuverlässig“. Und diese Verknüpfungen wieder aufzulösen, ist meist schwer, denn sie sind in der subjektiven Wahrnehmung mit konkreten Erfahrungen hinterlegt.

Persönliches Kennenlernen ermöglichen

Solche Prozesse gilt es zu vermeiden, wenn Personen aus mehreren Nationen regelmäßig zusammenarbeiten und beim Erfüllen ihrer Aufgaben aufeinander angewiesen sind – und zwar frühzeitig. Denn in den ersten Wochen entscheidet sich meist, wie gut transnationale Teams langfristig funktionieren. Deshalb ist es in der Startphase solcher Projekte wichtig, Foren zu schaffen, die es zumindest den Schlüsselpersonen ermöglichen, sich persönlich kennen und verstehen zu lernen und sich auf gemeinsame Ziele sowie Regeln im Umgang miteinander zu verständigen.

Telefonate, E-Mails und Videokonferenzen können ein persönliches Sich-Begegnen und -Kennenlernen nicht ersetzen. Denn wie Menschen zusammenarbeiten, hängt stark davon ab, inwieweit sie die Reaktion des jeweils anderen einschätzen können und ihm vertrauen. Und dies setzt voraus, dass die betreffenden Personen ein wechselseitiges Bild voneinander und einen gemeinsamen Schatz an Erfahrungen haben.

Dieses persönliche Bild vom Gegenüber entsteht beim Kommunizieren per Telefon und E-Mail nur bedingt. Denn hierbei bleibt die Kommunikation weitgehend auf den Austausch fachlicher Infos beschränkt. Zudem ist die Wahrnehmung des Gegenübers stark eingeschränkt. Es fehlen sinnliche Erfahrungen, wie sie entstehen, wenn man einer Person die Hand reicht. Oder wenn man ihr beim Gespräch in die Augen schaut. Gerade solche Erfahrungen sind aber für den Aufbau von Vertrauen und einer persönlichen Beziehung wichtig.

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