Leistungs- und Erfolgsentgelt in der Sozialwirtschaft


Verfasser: Eckhard Eyer, Vergütungsberater und Wirtschaftsmediator, Perspektive Eyer Consulting, Ockenfels

Eine Bilanz nach 15 Jahren

Die Leistungsmessung bei Menschen fängt nicht erst in der Schule mit den Noten an. Wenn Kinder laufen können, wollen sie beim Spaziergang immer die Ersten am nächsten Laternenpfahl sein. Die Bundesligatabelle ist für viele Menschen ein Gesprächsthema und das Abschneiden von Athleten bei sportlichen Wettkämpfen ebenfalls. – Im deutschen Kulturkreis kommt Arbeit und Leistung von Menschen seit alters her ein hoher Stellenwert zu. Bei der Vergütung von menschlicher Arbeit haben sich hierzu zwei grundsätzlich unterschiedliche Systeme etabliert. Sie haben auch die Branchen, in denen sie angewandt werden, und die Menschen in ihnen geprägt.

Konkurrierende Entgeltphilosophien und -systeme

In Deutschland gibt es zum einen die überwiegend vom Staat, seinen Gebietskörperschaften und den Wohlfahrtsverbänden traditionell angewandte Bezahlung der Mitarbeiter aufgrund der notwendigen Qualifikation und dem Lebensalter. Das zunehmende Lebensalter, so wird unterstellt, steht auch für eine zunehmende Leistung der Mitarbeiter in qualitativer und quantitativer Hinsicht; hinzu kam noch eine bedürfnisabhängige Komponente für Familienstand und Kinder (Alimentationsprinzip). Das Lebensalter wird seit 2005 durch die einschlägige Berufserfahrung ersetzt, um dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) zu entsprechen; das Alimentationsprinzip wurde eliminiert.

Zum anderen gibt es das System, dass jeder Mitarbeiter nach der von ihm ausgeführten Tätigkeit, den dafür erforderlichen Kenntnissen und der übertragenen Verantwortung sowie entsprechend seiner Leistung bei der Arbeitsausführung bezahlt wird. Dieses System wird traditionell im produzierenden Gewerbe angewandt und in den letzten Jahrzehnten auch zunehmend im Dienstleistungsbereich.

Im Zuge der Privatisierung von staatlichen Dienstleistungen in den 1990er-Jahren – z. B. das Fernmeldewesen und die Post – und der damit erzielten Verbesserungen der Dienstleistungen und Kosteneinsparungen für die Kunden sowie eines neuen Personal- und Vergütungsmanagements wurden auch dort die Mitarbeiter verstärkt nach der ausgeführten Tätigkeit und der Leistung bezahlt.

Leistung – ein polarisierender Begriff in der Sozialwirtschaft

Wenn in den Einrichtungen der Sozialwirtschaft das Gespräch mit den Mitarbeitern oder ihren Vertretern auf Leistung und Leistungsentgelt kommt, dann hört man immer wieder spontane Aussagen wie:

  • „Wir sind am Anschlag, mehr geht nicht!“
  • „Wer will denn nachts vorbei kommen und nachsehen, wie ich arbeite?“
  • „Sollen wir jetzt vier statt drei Bewohnern in der Stunde baden? Wo bleibt da das Wellness-Erlebnis für den Bewohner?“
  • „Wichtig ist, dass wir uns anstrengen und alles geben. Und das tun wir, mehr geht nicht.“
  • „Unsere Arbeit am Menschen ist so individuell, dass sie nicht bewertbar ist.“

Das Problem: Die Mitarbeiter haben häufig das Bild aus der Physik im Kopf: Leistung ist Arbeit dividiert durch die Zeit. Je mehr Menschen ich in meiner Arbeitszeit betreue, desto höher ist meine Leistung, aber dann habe ich weniger Zeit für den Einzelnen. Ihr spontanes Fazit: „Je höher die Leistung, desto geringer die Qualität der Arbeit und damit die Lebensqualität der mir anvertrauten Menschen. Das will ich nicht. Das kann es doch nicht sein!“

Dass Leistung ein Verbessern der Qualität der Arbeit entsprechend dem Leitbild der Einrichtung und dem gesetzlichen Auftrag ist, wird dabei nicht selten vergessen. Das Interview in Bild 1 zeigt diese Überlegungen aus Sicht eines Mitarbeitervertreters. Führungskräfte müssen sagen, was sie unter Leistung verstehen, und vor allem auch, was sie nicht unter Leistung verstehen. In den betrieblichen Gestaltungsprozessen ist es deshalb wichtig, in einer Projektgruppe zu arbeiten, die Leistung für die Mitarbeiter in der Einrichtung gemeinsam aufgrund des Leitbilds der Einrichtung, des gesetzlichen Auftrags und der betrieblichen Qualitätsstandards zu definieren. In diesem Gestaltungsprozess qualifizieren sich die Mitarbeitenden und können formulieren, was Leistung ist und was nicht mit Leistung gemeint ist. Sie werden so auch zu den Multiplikatoren des Leistungsentgeltsystems in der Einrichtung.

Bild 1: Interview mit einem Mitarbeitervertreter

Entwicklung des Leistungsentgeltes in der Sozialwirtschaft

Im Jahr 1998 ergänzte die Arbeitsrechtliche Kommission der Caritas die Arbeitsvertragsrichtlinien der Caritas (AVR) um die Anlage 19 „Modellprojekte zur Erprobung veränderter Vergütungssysteme“. Sie eröffnete damit den Einrichtungen der Caritas die Möglichkeit neue Wege in der Mitarbeitervergütung zu erproben.

Mit veränderten Vergütungsstrukturen kann das Entgelt der Mitarbeiter flexibler gestaltet werden als bisher. Ziel ist es, die wirtschaftlichen Grundlagen einer Einrichtung und damit die Arbeitsplätze der Mitarbeiter zu sichern. Die veränderten Vergütungsstrukturen haben außerdem zu berücksichtigen, dass alle Mitarbeiter trotz unterschiedlichen Leistungsvermögens in den Einrichtungen integriert bleiben.

Bild 2: Auszug aus der Anlage 19 der AVR Caritas

In den Jahren 2001 und 2002 erarbeitete der Vincentz-Altenstift in Mettmann – im ersten Pilotprojekt der Caritas – ein Leistungsentgeltsystem, das sich an der individuellen Leistung der Mitarbeiter, dem Teamergebnis und der Belegung des Altenstiftes orientierte. Im Jahr 2005 führten unter der Moderation der „Projektgesellschaft innovatives Arbeiten in caritativen Unternehmen“ acht weitere Einrichtungen der Caritas ein Leistungsentgelt ein.

Im Jahr 2004 führte der private ambulante Krankenpflegedienst Rehbein im Rhein-Main-Raum ein Leistungsentgelt, verbunden mit einer Erfolgsbeteiligung, ein und ist damit seit mehr als 13 Jahren erfolgreich.

2005 stellte der öffentliche Dienst mit dem Tarifvertrag des öffentlichen Dienstes (TVöD) sein Entgeltsystem auf ein monatliches Tabellenentgelt und ein jährliches Leistungsentgelt um. Personalabteilungen sowie die Personal- und Betriebsräte waren bis zum 01.01.2007 aufgefordert, die notwendigen Dienst- und Betriebsvereinbarungen zum Leistungsentgelt – mit den Methoden systematischer Leistungsbewertung und Zielvereinbarungen – abzuschließen. Die Einrichtungen der Sozialwirtschaft, die sich an dem TVöD orientierten, setzten sich auch mit dem Leistungsentgelt auseinander.

Verbreitung des Leistungsentgeltes in der Sozialwirtschaft

Studien der Bank für Sozialwirtschaft aus den Jahren 2007 und 2008 belegen, dass zunächst die Werkstätten für behinderte Menschen – in denen auch Personen arbeiten, die ihre Ausbildung und einen Teil ihres Arbeitslebens in produzierenden Unternehmen absolviert hatten und denen ein Leistungsentgelt nicht fremd war – als erste ein Leistungsentgelt einführten. Am schwersten taten sich pädagogische Einrichtungen mit der Einführung eines Leistungsentgeltes, aber auch dazu kam es – vor allem in Einrichtungen in privater Trägerschaft.

In der Altenpflege ist das Leistungsentgelt relativ weit verbreitet. Das liegt zum einen daran, dass die privaten Anbieter sozialer Dienstleistungen, die in der Vergangenheit eigene betriebliche Entgeltsysteme entwickelt haben, dem Leistungsentgelt relativ positiv gegenüberstehen. Zum anderen sind sie zunehmend einem Wettbewerb am Arbeitsmarkt ausgesetzt, so dass sie höhere Gehälter zahlen müssen als bisher. Sie tun das nicht bedingungslos, sondern verknüpfen es mit einer entsprechenden Leistung, was zur Einführung eines Leistungsentgelts führte.

Kritisch angemerkt wird häufig die Höhe des Leistungsentgelts im TVöD und den praktisch inhaltsgleichen Regelungen der Wohlfahrtsverbände. Es entspricht mit 1 % bei der Einführung 2007 und heute mit 2 % der gesamten betrieblichen Jahreslohnsumme allerdings nicht den Vorstellungen von Mitarbeitern und Führungskräften. Der Aufwand zur Ermittlung des Leistungsentgeltes erscheint in der Praxis im Vergleich zur Höhe des Leistungsentgeltes nicht angemessen.

Ein Leistungsentgelt von durchschnittlich 8 % – so wie es die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes planten und anstrebten –, das auf ein Jahr gesehen einem Monatsgehalt entspricht und individuell 0 oder 2 Monatsgehälter betragen kann, wäre vorteilhafter. Einige Einrichtungen der Wohlfahrt haben deshalb das bereits eingeführte Leistungsentgelt ausgesetzt, weil ihnen dessen Anteil nicht attraktiv genug ist.

Betriebliche Grund- und Leistungsvergütungssysteme

Eine Reihe von Unternehmen der freien Wohlfahrt, die sich in der Vergangenheit an den BAT anlehnten, ging 2005 den Schritt zum TVöD nicht mit, sondern etablierte in den Folgejahren eigene betriebliche Grund- und Leistungsentgeltsysteme. Sie reduzierten im Vergleich zum TVöD die Grundentgelte, hatten höhere Leistungsentgelte und in Summe wettbewerbsfähige Entgelte.

Erkenntnisse

Nach 15 Jahren ist das Leistungsentgelt in der Sozialwirtschaft akzeptiert. Es werden Risiken und Chancen gesehen und dass die Branchen- und Unternehmenskulturen entscheidend für die Akzeptanz eines Leistungsentgeltes sind.

  • Werkstätten für behinderte Menschen sind grundsätzlich offener als Pflegeeinrichtungen oder pädagogische Einrichtungen, weil die Mitarbeiter teilweise bereits über Erfahrungen mit einem Leistungsentgelt in anderen Unternehmen verfügen.
  • Wichtig ist zu kommunizieren, was man mit einem Leistungsentgelt erreichen will – und auch was nicht. Dies ist eine Bringschuld der Führungskräfte.
  • Mitarbeiter in ambulanten und stationären Einrichtungen der Altenpflege, die ein enges Korsett an Standards und Dokumentationspflichten haben, sind offener für Leistungsbewertungen und Audits als z. B. Mitarbeiter der Schuldnerberatung und Jugendhilfe.
  • Interessant ist, dass Pflegekräfte in den Wohlfahrtsverbänden und privaten Einrichtungen der Sozialwirtschaft – trotz gleicher Ausbildung – offensichtlich unterschiedlich sozialisiert sind. Letztere stehen einem Leistungsentgelt tendenziell positiver gegenüber.
  • In Einrichtungen, in denen aus gutem Grund Wert darauf gelegt wird, dass sich jeder Mitarbeiter mit seinen Fähigkeiten einbringt, hat die Anstrengung des Mitarbeiters oft einen sehr hohen Stellenwert im Vergleich zum Ergebnis der Anstrengung. Entsprechend schwer fällt es in solchen Unternehmenskulturen, das Leistungsergebnis zu belohnen. Schließlich haben sich alle (gleich) angestrengt. Für die Bewohner, Patienten und betreuten Menschen ist jedoch das Arbeitsergebnis – das Wundmanagement, die Qualität des Essens und der Pflege sowie die Zuwendung – wichtig, ja entscheidend.
  • Das Mitarbeitergespräch als Feedback-Instrument, verbunden mit einer systematischen Leistungsbewertung, hat sich sehr bewährt. In diesen Gesprächen sind die Mitarbeiter i. d. R. auch aufgefordert, vorab eine Selbstbeurteilung vorzunehmen und diese in das Bewertungsgespräch einzubringen. Die Erfahrung zeigt, dass in der Vergangenheit, als „unverbindliche“ Mitarbeitergespräche geführt wurden, diese – im gegenseitigen Einverständnis – nicht selten gar nicht stattfanden, weil das Tagesgeschäft keine Zeit ließ. Seit es ums Leistungsentgelt geht, kommt das nicht mehr vor.
  • Durch die systematische Leistungsbewertung werden auch die „stillen Mitarbeiter“, die immer „funktionieren“ und ebenso regelmäßig übersehen werden, wertgeschätzt. Dies führt zu einer erhöhten Identifikation dieser Mitarbeiter mit dem Unternehmen und einer noch höheren Mitarbeiterbindung.
  • Der Anspruch an die Mitarbeiterführung steigt. Häufig wird ein Qualifizierungsbedarf bei den Führungskräften festgestellt und auch entsprechende Maßnahmen angeboten.

Perspektiven

Eine Feedbackkultur, verbunden mit einem Leistungsentgelt, ist ein integraler Bestandteil eines zeitgemäßen Personalmanagements und ein nicht zu unterschätzendes Führungsinstrument. Ein Träger der Caritas, der seit mehreren Jahren ein Leistungsentgelt eingeführt hat, kommuniziert das Thema unter dem Titel „Wertschätzung durch Leistungsentgelt“ auch einer breiteren Öffentlichkeit.

In dem Umfang, in dem das Qualitätsmanagement und das Einhalten von Standards zunehmen, wird auch eine solide Basis für das Leistungsentgelt in der Sozialwirtschaft geschaffen. Dabei werden bei der systematischen Leistungszulage insbesondere kunden-, team- und qualitätsbezogene Leistungsmerkmale angewandt. Auch Teamaudits kommen zur Anwendung. Bei den Zielvereinbarungen stehen neben betriebswirtschaftlichen Leistungskennzahlen insbesondere Qualität und personalwirtschaftliche Kennzahlen im Vordergrund.

Der Einsatz eines Leistungsentgeltes verlangt von den Führungskräften, sich auf ihre Rolle als Führungskraft einzulassen. Andererseits bedeutet es auch, dass dem mittleren Management mehr Freiräume für die Führungsarbeit gegeben werden und das obere Management loslassen muss.

Das Leistungsentgelt in der Sozialwirtschaft wird sich – nicht zuletzt aufgrund des zunehmenden Marktanteils von privaten Trägern sozialer Dienstleistungen – weiterhin langsam aber stetig verbreiten.

Literatur

[1] Artschwager, H.; Eyer, E.: Mitarbeiter fair vergüten. In: ZS Sozialwirtschaft aktuell. 1-2/2010, Baden-Baden, S. 1-4

[2] Eyer, E.: Leistungsorientierte Vergütung: Von Trägern aus der Praxis lernen. In: Wohlfahrt intern. 6/2006, S. 6 - 13

[3] Eyer, E.: Studie: Warum Unternehmen Leistungsentgelte ablehnen. In: ZS Sozialwirtschaft aktuell. 7/2008, S. 4-5

[4] Eyer, E.; Rehbein, T.: Mit Bonussystem nachhaltig erfolgreich. In: Häusliche Pflege. 4/2012, Hannover, S. 28 - 31

[5] Eyer, E.; Neumayer, M.: Leistung soll sich lohnen. In: Altenheim. 3/2013, Hannover, S. 68-71

[6] Krones, S.; Galler, R.; Eyer, E.: Wertschätzung durch Zielvereinbarungen. In: Health & Care Management. 5/2014, Bad Wörishofen, S. 24-26

[7] pia: Handbuch zur variablen Vergütung. Dezember 2007, Waldbreitbach

[8] Weisser, P.: Leistungsentgelte in der Caritas - Chancen und Risiken. In: Neue Caritas. 21/2013

[9] Wittemann, O.; Ziegele, L.: Neuer Anlauf für Leistungsentgelt und Sozialkomponente. In: Neue Caritas. 21/2013

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