Leistung in der Industrie 4.0


Verfasser: Eckhard Eyer, Vergütungsberater und Wirtschaftsmediator, Perspektive Eyer Consulting, Ockenfels

Das Thema Industrie 4.0 stellt die produzierenden Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeiter vor neue Herausforderungen. Zum einen geht es um das Etablieren der Industrie 4.0 mit dem Fokus auf Technik, Sensorik und Software in den Unter-nehmen und zum anderen um die Arbeit 4.0 und das Qualifizieren der Mitarbeiter für die neuen Anforderungen, die Technik, Organisation, Führung und Zusammenarbeit an ihre Handlungskompetenz stellen. Ein weiteres, noch wenig beleuchtetes Thema ist die Leistung in der Industrie 4.0 – ihre Definition und Messung. Dabei sind die mobile Arbeit und die Führung auf Distanz zu berücksichtigen. Dies erfordert eine Definition von Leistung im Licht der neuen Arbeit und der neuen Arbeitsbedingun-gen. Um Leistung zu definieren und zu messen lohnt ein Blick in die Vergangenheit der Messung menschlicher Leistung. Hieraus lassen sich Schlüsse ziehen, die Ant-worten auf die Herausforderungen durch die Industrie 4.0 in der Zukunft geben.

Entwicklung der Arbeitssysteme und Leistungskennzahlen

Die Arbeitssysteme waren nach der 2. und 3. industriellen Revolution insbesondere auf den einzelnen Mitarbeiter und seine Arbeitsaufgabe, die Verrichtungen, die er ausführte, zugeschnitten. Mit der Einführung von Gruppenarbeit stand das Teamer-gebnis im Vordergrund. Mit Einführung der Lean Production und später der Ganzheitlichen Produktionssysteme rückte der gesamte Fertigungsprozess – die Arbeit von direkten und indirekten Mitarbeitern – in den Fokus der Leistungsbetrachtung. Dies schlug sich auch in immer komplexeren Leistungskennzahlen nieder.

Leistungsentgelt bei klassischer Einzelarbeit

Ein Blick zurück in die Zeit nach der zweiten industriellen Revolution zeigt, dass im Fokus der Leistungsmessung der einzelne Mitarbeiter stand. Seine individuelle Leistung wurde anhand von Standards, die durch die wissenschaftliche Betriebsführung gesetzt wurden, ermittelt und er damit im Einzelakkord – häufig einem Geldakkord – vergütet. Dabei stand – auch auf Basis des Bürgerlichen Gesetzbuches – die Arbeitsverrichtung des Mitarbeiters im Vordergrund.

Wenn Störungen auftraten, weil Material fehlte, das Werkzeug kaputt ging oder andere ablaufbedingte Wartezeiten auftraten, wurde er dafür nicht haftbar gemacht, sondern sein Arbeitgeber. Der Arbeitgeber war im Gläubigerverzug, wenn die Organisation nicht funktionierte. Die Folge war, dass dem Mitarbeiter die Zeit, in der er aufgrund von Störungen seine Arbeitstätigkeit nicht mehr verrichten konnte, im Durchschnitt seines üblichen Leistungsentgeltes vergütet wurde.

Den Mitarbeitern wurde im Akkordlohn – soweit nicht Vorsatz oder grobe Fahrlässig-keit nachgewiesen wurde – jedes bearbeitete Teil, unabhängig von seiner Qualität, honoriert. Um hier gegenzusteuern entwickelten einige Unternehmen in den 1970er-Jahren eine den Akkordlohn ergänzende Zusatzprämie auf Basis der Qualität. Dies führte zu einer höheren Qualität und einem höheren Leistungsentgelt zum Vorteil von Unternehmen und Mitarbeitern.

Leistungsentgelt bei Gruppenarbeit

Bei der Einführung von Gruppenarbeit in den 1990er-Jahren und der ersten Anreicherung der Gruppenaufgabe durch indirekte Tätigkeiten, wie z. B. Rüsten, Störungen beseitigen, vorbeugende Instandhaltung, Transport, Werker-Selbstkontrolle und gewisse dispositive Tätigkeiten, veränderten sich die Leistungskennzahlen. Eine Vielzahl von Parametern bei der Leistungsmessung wurde verändert, weil die Gruppen viel mehr als nur die Intensität und Wirksamkeit ihrer Arbeitsverrichtung beeinflussen konnten. Der Akkordlohn, auch ergänzt um Zusatzprämien, stieß an seine Grenzen.

Mit der Gruppenarbeit wurden Mitarbeiter nicht mehr für jedes vom Team hergestellte Teil entlohnt, sondern nur noch für Teile, die fehlerfrei waren, also Gutteile. Störungen wurden nicht mehr so wie sie auftraten im Durchschnitt vergütet, sondern die Mitarbeiter bekamen aufgrund von Erfahrungswerten Zeitbudgets für Störungen (sogenannte Zeitbudgets für Gemeinkostentätigkeiten) und hatten so einen Anreiz, durch die Reduktion der Störungen unter das gegebene Zeitbudget ihre Leistung und damit ihr Leistungsentgelt zu erhöhen. Der Begriff der Leistung umfasste nicht mehr nur Intensität und Wirksamkeit, sondern auch die Qualität und die Minimierung der Störungen.

Ein Paradigmenwechsel weg vom Akkordlohn hin zum Prämienentgelt, dem Kennzahlenvergleich, war angesagt. Das Prämienentgelt bot Geschäftsleitung und Betriebsrat vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten und passgenaue Lösungen für das Leistungsentgelt.

In diesem Kontext wurde auch die Frage diskutiert, was bei Auftragsmangel passiert, ob die Mitarbeiter in dieser Zeit ihre Arbeit anbieten und der Arbeitgeber, der in Gläubigerverzug ist, ein Leistungsentgelt zahlen muss. Es wurde in vielen Unternehmen eine Jahresarbeitszeit eingeführt, d. h. das monatliche Grundentgelt der Mitarbeiter wurde verstetigt und die tägliche Arbeitszeit an den Arbeitsanfall – in dem Rahmen, in dem eine Jahresarbeitszeit mit dem Betriebsrat vereinbart wurde – angepasst. Unter diesen Bedingungen wurde immer auf einem für Unternehmen und Mitarbeiter attraktiven Leistungsniveau gearbeitet.

Leistungsentgelt bei Lean Production

Die zweite Revolution in der Automobilindustrie, ausgehend von japanischen Produktionsmethoden und dem Toyota-Produktionssystem, führte u. a. zu einer neuen Betrachtung der Rolle und Arbeitsaufgabe der Mitarbeiter. Sie waren nicht nur für die effiziente Arbeit in den Arbeitssystemen, sondern auch für die Verbesserung der Arbeitssysteme durch Kaizen – den kontinuierlichen Verbesserungsprozess – verantwortlich. In der Leistungsentlohnung führte das zu sogenannten Gainsha-ring-Systemen, in denen Mitarbeiter und Teams für die Verbesserung ihrer Arbeitssysteme – i. d. R. durch Einmalzahlungen, sogenannte KVP-Boni – belohnt wurden und anschließend die Verbesserungen in den neuen Leistungsstandard eingingen.

Zunehmend wurden in der Leistungsvergütung nicht nur die Gutteile, die im Unternehmen gefertigt wurden, berücksichtigt, sondern auch die Teile, die der Kunde reklamierte, weil sie bei ihm bei der Montage – vor dem ersten Einsatz in der Praxis – nicht funktionierten (sog. 0-km-Qualität). Die 0-km-Qualität kam z. B. bei den Herstellern von Motoren, Getrieben und Motorkühlern zum Einsatz. In Ganzheitlichen Produktionssystemen kam nicht selten die Gesamtanlageneffektivität – Overall Equipment Effectiveness (OEE) – zur Anwendung. Die OEE berücksichtigt die Verfügbarkeit, die Effektivität und den Qualitätsgrad der Anlagen und ist das Produkt der drei Kennzahlen.

Definition OEE

Bei dieser Leistungskennzahl steht die Maschine bzw. die Anlage im Vordergrund und die Entkopplung von der menschlichen Leistung und der Leistungskennzahl geht relativ weit.

Zwischenfazit

Die Formen des Leistungsentgeltes und der Leistungskennzahlen entwickelten sich hin zu einer immer höheren Komplexität, wie Bild 1 zeigt. Mitarbeiter bzw. Teams haben durch die Verschiebung des Betrachtungsfokus – von der Verrichtung des einzelnen Mitarbeiters über die Gruppenaufgabe hin zur Prozessorientierung – einen immer größeren Einfluss auf das komplexer werdende Arbeitsergebnis. Die Interessen von Arbeitgeber, Betriebsrat und Mitarbeitern wurden so schrittweise immer kongruenter, ohne dass das Arbeitgeberrisiko unangemessen auf die Mitarbeiter abgewälzt wurde. Die in den Tarifverträgen geforderte ausreichende Beeinflussbarkeit des Leistungsergebnisses durch die Mitarbeiter wurde gewährleistet.

Bei fast allen Leistungskennzahlen wurde der Output, das Arbeitsergebnis, der betrieblichen Arbeitszeit gegenübergestellt, die mit der Zeiterfassung im Unternehmen ermittelt wurde.

Die Leistungskennzahlen und das Leistungsentgelt basieren auf einer arbeitswirtschaftlichen Datenermittlung, die von Zeit und Menge (Mengengerüst) ausgeht.

Bild 1: Entwicklung der Leistungsentgeltformen und Leistungskennzahlen (Auszug)

Leistungsentgelt in der Industrie 4.0

Durch die Industrie 4.0 soll die zukünftige industrielle Produktion vor allem durch eine hohe Flexibilität und Wandlungsfähigkeit, den effizienten Einsatz von Ressourcen, ergonomisch optimierte Arbeitsbedingungen sowie die Integration von Kunden und Geschäftspartnern in die Wertschöpfungsprozesse gekennzeichnet werden. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes der Smart Factory steht der Mensch, welcher als sogenannter „Augmented Operator“ die Produktion überwachen soll. Innerhalb des Ferti-gungsnetzwerks aus virtuellen und physischen Produktionsressourcen soll der Mensch eine wichtige Rolle als Erfahrungsträger und Entscheider bei allen relevanten Abläufen haben. Das Fertigungsnetzwerk ist absolut transparent und in der Lage, auf Abweichungen flexibel zu reagieren. Doch müssen aus heutiger Sicht neue Anforderungen, wie zum Beispiel die Qualifizierung der Mitarbeiter, erfüllt werden, um dieses Konzept tatsächlich großflächig realisieren zu können.

Die Wertschöpfung wird – über Unternehmensgrenzen hinweg in Wertschöpfungsketten – in Echtzeit optimiert.

Die Mitarbeiter können vor Ort im Unternehmen, aber auch von unterwegs oder von zuhause aus arbeiten, Prozesse überwachen und steuern. Die klaren Grenzen von Arbeitszeit und Freizeit verschwimmen bzw. verschwinden bei dieser „mobilen Arbeit“.

Es stellt sich die Frage, ob die Leistungsmessung in der Industrie 4.0 auf einer Weiterentwicklung der bestehenden arbeitswirtschaftlichen Leistungskennzahlen beruht oder ob es zu einem Quantensprung durch eine neue – betriebswirtschaftliche – Leistungskennzahl kommt, die die Leistung in der Industrie 4.0 besser abbildet als die bisherigen Systeme oder ihre Weiterentwicklung.

Definition des Outputs

Mit der zunehmenden Komplexität der Leistungskennzahlen, z. B. OEE in Ganzheitlichen Produktionssystemen, stößt ihre Transparenz für die einzelnen Werker vor Ort an ihre Grenzen. Die Vielzahl der Parameter und ihre mathematische Verknüpfung sind nicht einfach zu durchschauen. Andererseits wissen die Mitarbeiter, auf welche Parameter – welche Stellschrauben – es ankommt, auch ohne die Formel im Einzelnen erklären zu können.

Es stellt sich angesichts dieser Situation die Frage, ob andere Leistungskennzahlen als die bislang praktizierten arbeitswirtschaftlichen aussagefähiger und für den Mitarbeiter gefühlt transparenter und besser verständlich sind. Ein wichtiger Aspekt der Leistung in der Industrie 4.0 ist es, eine hohe Transparenz der Prozesse zu haben und in Echtzeit planen zu können. Damit können Kundenwünsche schneller erfüllt werden als bisher. Dieser Vorteil, der einerseits zu Mehrkosten in der Produktion aufgrund von zusätzlichen Rüstvorgängen führt, kann durch einen höheren Preis gerechtfertigt werden.

Dieser Preisvorteil lässt sich nicht bzw. schwer aufgrund der arbeitswirtschaftlichen Parameter Menge und Zeit abbilden. Der Preis als ein weiterer Parameter für eine Leistungskennzahl kann diese Lücke schließen. Dadurch kommt man zu transparenten betriebswirtschaftlichen Leistungskennzahlen, die die Leistung der Mitarbeiter – auch die zusätzlichen Rüstvorgange und zusätzliche Dispositionen mit den logistischen Folgen – widerspiegeln und ihnen handlungsrelevante Informationen geben.

Die tariflichen Regelwerke der Metall- und Elektroindustrie sehen sachbezogene mess- und zählbare Größen (Leistungskennzahlen) als Basis für die Leistungsmessung vor und erwähnen im ERA-Tarifvertrag sowie in ihren Kommentaren beispielhaft auch verschiedene betriebswirtschaftliche Leistungskennzahlen (Bild 2).

Bild 2: betriebswirtschaftliche Leistungskennzahlen im ERA-Tarifvertrag und den dazugehörigen Kommentaren (Auszug)

Mit diesen Regelungen in den Entgeltrahmentarifverträgen – sie stammen vom Be-ginn des letzten Jahrzehnts – haben die Tarifvertragsparteien die Tür zur Nutzung bzw. zum Übergang von arbeitswirtschaftlichen zu betriebswirtschaftlichen Leistungskennzahlen geöffnet. Anstelle komplexer induktiv entwickelter Leistungskennzahlen wie z. B. der OEE bieten sich nun betriebswirtschaftliche Leistungskennzahlen wie z.B. der Rohertrag und die Wertschöpfung an.

Aus der Erfahrung zeigt sich, dass der Rohertrag, die Herstellkosten (HK I und HK II) und die Wertschöpfung für die Mitarbeiter transparente und verhaltenssteuernde Leistungskennzahlen sein können. Durch die Nutzung dieser Leistungskennzahlen, die in den Unternehmen üblicherweise vorliegen, entsteht auch kein unverhältnismäßig hoher Aufwand für die Erstellung und Pflege der Leistungskennzahlen. Damit werden auch die Anforderungen verschiedener Tarifverträge an die Einführung eines Leistungsentgeltes erfüllt.

Definition des Inputs

Zur Ermittlung der Leistung wird der Output eines Arbeitssystems dem Input gegenübergestellt. Bei den bisherigen Leistungsentgeltsystemen war das i. d. R. die Arbeitszeit oder Anwesenheitszeit der Mitarbeiter, die sie im Unternehmen ableisteten und die mit dem Zeiterfassungssystem ermittelt wurde.

Die „mobile Arbeit“ in der Industrie 4.0 lässt die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit verschwimmen. Es stellt sich die Frage wie die Zeit berücksichtigt wird, die der Mitarbeiter in seiner Freizeit oder auf dem Weg zur Arbeit arbeitet? Ebenso wird die Differenzierung zwischen Arbeitszeit, Bereitschaftsdienst und Rufbereitschaft immer schwieriger. Haben Bereitschaftszeit und Rufbereitschaft ausgedient und werden aus den gültigen Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen gestrichen oder werden Arbeitszeit, Bereitschaftszeit und Rufbereitschaft sauber erfasst und aufwändig verwaltet, um bei der Ermittlung des Leistungsentgeltes berücksichtigt zu werden?

Ein andere Möglichkeit wäre es, davon auszugehen, dass die Arbeitszeit, die im Ar-beitsvertrag vereinbart ist und die monatlich vergütet wird – unabhängig vom Arbeitsort und der Tageszeit – die Arbeitszeit ist, die bei der Ermittlung des Leistungsentgeltes zugrunde gelegt wird. Ähnlich wird bereits heute in vielen Unternehmen verfahren, die Zielvereinbarungen mit Leistungsentgelt – auch bei tariflichen Mitarbeitern – eingeführt haben.

In Unternehmen, die bereits heute Mitarbeitern an einigen Tagen im Monat die Arbeit im Home-Office ermöglichen und seit einigen Jahren gute Erfahrungen mit der Vertrauensarbeitszeit gesammelt haben, sind Arbeitgeber und Betriebsräte relativ schnell bereit, die Vertrauensarbeitszeit und damit die vertraglich geschuldete Arbeitszeit auch zur Grundlage der Leistungsentgeltberechnung zu machen. Einerseits besteht das Vertrauen der Geschäftsleitung in die Mitarbeiter, dass sie die Vertrauensarbeitszeit nicht missbrauchen und andererseits vertrauen die Betriebsräte darauf, dass die mobile Arbeit die Mitarbeiter nicht zur Selbstausbeutung bringt. Nicht selten werden bei der Einführung der Vertrauensarbeitszeit diese beiden Aspekte – Risiken und Chancen – den Mitarbeitern in Schulungen und Gesprächen nahe gebracht.

Ein anderes, hier nicht zu vertiefendes Thema ist die rechtliche Situation bezüglich der Arbeitsstätten-Verordnung, des Arbeitsschutzes, der Arbeitszeit, …. Die bestehenden Arbeitszeitgesetze gehen z. B. davon aus, dass zwischen Arbeitsende und der Arbeitsaufnahme in der nächsten Schicht elf Stunden liegen müssen. Was passiert, wenn ein Mitarbeiter vor dem Schlafen gehen noch einige E-Mails checkt und beantwortet oder die Einstellung einer Maschine nachjustiert, damit die gefertigten Teile in der Toleranz bleiben? Beginnt nach dieser halbstündigen Arbeit dann die elf-Stunden-Frist erneut zu laufen?

Betriebliches Beispiel

In einigen Unternehmen hat sich die Wertschöpfung bereits in der Vergangenheit als Leistungskennzahl bewährt. So z. B. bei einem mittelständischen Hersteller von Holzbearbeitungsmaschinen, der in den 1970er-Jahren den Akkordlohn einführte und dann nach der Jahrhundertwende feststellte, dass die Produktpalette immer größer wird und sich trotz eines guten Wachstums des Unternehmens die Stückzahl je Produkt dramatisch reduziert. Die Voraussetzung für die Ermittlung von REFA-Vorgabezeiten war praktisch nicht mehr gegeben. Ein Umstieg auf MTM-Zeiten war für den Mittelständler keine Option.

Die Geschäftsführung hatte die Idee, eine Umsatzprämie – basierend auf dem Umsatz je Arbeitsstunde – zu zahlen. Die Analyse dieser Idee zeigte, dass aufgrund der Wettbewerbssituation die Fertigungstiefe in Deutschland immer mehr reduziert und immer mehr Bauteile aus dem Schwesterwerk in China bezogen wurden. Diese zugekauften Vorleistungen würden automatisch zu einer Erhöhung der erwähnten Umsatzprämie führen, ohne dass sie ursächlich mit der Leistung der Mitarbeiter zusammenhing.

Die Differenz zwischen dem Umsatz und den zugekauften Vorleistungen, der Mehrwert, der auch bei der Mehrwertsteuer berücksichtigt wird – oder anders ausgedrückt: die Wertschöpfung je Arbeitsstunde, die am deutschen Standort erzielt wird – sollte die Basis für die Ermittlung der Mitarbeiterleistung bzw. der Leistung der verschiedenen Arbeitsgruppen sein. Basis der Wertschöpfung waren für die einzelnen Teams – bei den Vorleistungen und bei den Umsätzen – Verrechnungspreise, die für das jeweilige Geschäftsjahr konstant gehalten wurden.

Geschäftsführung und Betriebsrat erläuterten den Mitarbeitern die Funktionsweise der Wertschöpfungsprämie und die Stellschrauben, an denen sie die Wertschöpfung – beim Output (Arbeitsergebnis) und beim Input (Arbeitszeit) – optimieren können.

Das mittelständische Unternehmen – Geschäftsführung, Betriebsrat und Mitarbeiter – haben mit der Wertschöpfungsprämie seit über einem Jahrzehnt gute Erfahrungen gesammelt. Alle wissen, dass eine attraktive Wertschöpfung je Arbeitsstunde ihre Arbeitsplätze und den Standort sichert.

Fazit

Mit der Industrie 4.0 wird in vielfacher Hinsicht Neuland betreten. Die Frage nach der Arbeit der Zukunft gilt es zu beantworten. Danach, so scheint es, kann man erst die Frage beantworten, wie die menschliche Leistung ermittelt und tarifvertragskonform entlohnt werden kann. Aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit sind bei der Gestaltung der Industrie 4.0 vor Ort in den Betrieben diese Fragen zu diskutieren, um die Mitarbeiter und Betriebsräte mitzunehmen.

Bei der Messung des Outputs der Arbeitssysteme hat sich – soweit punktuelle Erfahrungen vorliegen – der Wechsel von komplexen arbeitswirtschaftlichen auf transparentere betriebswirtschaftliche Leistungskennzahlen bewährt. Dem Output "Wertschöpfung" steht als Input bei der mobilen Arbeit die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit in Verbindung mit der Vertrauensarbeitszeit gegenüber.

Es zeigt sich, dass die Industrie 4.0 nicht nur Anforderungen an die Technik und an die Qualifikation und Handlungskompetenz der Mitarbeiter stellt, sondern auch an die flankierenden Maßnahmen wie das Leistungsentgelt, die Unternehmenskultur sowie eine zügige konstruktive Zusammenarbeit zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat.

Literatur

[1] Bokranz, R.; Landau, K.: Handbuch Industrial Engineering. Band 1: Konzept. Stuttgart: Schäf-fer-Pöschel, 2. Auflage 2012

[2] Bokranz, R.; Landau, K.: Handbuch Industrial Engineering. Band 2: Anwendung. Stuttgart: Schäffer-Pöschel, 2. Auflage 2012

[3] Dombrowski, U.; Rieche, Ch.; Evers. M.: Industrie 4.0 – Die Rolle des Menschen in der vierten industriellen Revolution. 2016

[4] Eyer, E. (Hrsg.): Entgeltsysteme für Dienstleister: Grundvergütung – Zielvereinbarung – Er-folgsbeteiligung. Düsseldorf: Symposion Publishing, 2004

[5] Eyer, E. (Hrsg.): Entgeltsysteme für produzierende Unternehmen: Durch differenzierte Ver-gütung die Wettbewerbsfähigkeit steigern. Düsseldorf: Symposion Publishing, 4. Auflage 2004

[6] Eyer. E.: Wertschöpfungsprämie und flexible Arbeitszeit. In: Antoni, C.; Eyer, E. (Hrsg.): Das flexible Unternehmen. Düsseldorf: Symposion Publishing, 2005, Kapitel 6.24

[7] FIR; KVD: Digitalisierung verändert Arbeitswelten im Service. Forschungsbericht, Aachen, 2016 Kagermann, H.; Wahlster, W.; Helbig, J.: Umsetzungsempfehlungen für das Zukunftsprojekt Industrie 4.0 - Abschlussbericht des Arbeitskreises Industrie 4.0. Frankfurt/Main, 2013

[8] REFA: Methoden des Arbeitsstudiums, Band 1 - 6. Hanser Verlag, München, 1992

[9] VBM: ERA-Tarifvertrag für die Bayerische Metallindustrie vom 1. November 2005 VBM: Manteltarifvertrag für die Bayerische Metallindustrie vom 23. Juni 2008

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