Das Management bei der Einführung eines ganzheitlichen Unternehmenssystems


Verfasserin: Dipl.-Ing. (FH) Jürgen Dörich, Verbandsingenieur bei Südwestmetall, Hauptgeschäftsstelle Stuttgart und Timo Marks, M.Sc., Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e.V., Düsseldorf

Erfahrungen bei der Verbesserung der Methodenkompetenz von Führungskräften

Das Projekt „Befähigen zum Qualifizieren in der schlanken Produktion“ (BeQ) ist ein mit Mitteln des ESF gefördertes Projekt, das die Einführung eines ganzheitlichen Unternehmenssystems mit Multiplikatoren unterstützen soll. Dieser Beitrag berichtet über die Projekterfahrungen, mit denen in anderen Unternehmen anstehende Qualifizierungs- und Veränderungsprozesse noch effektiver gestaltet werden können.

Das Projekt

Das Projekt BeQ wurde vom Dezember 2011 bis November 2014 als Kooperation des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft, dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Südwestmetall, des Bildungswerkes der Baden-Württembergischen Arbeitgeberverbände und vier Mitgliedsunternehmen von Südwestmetall durchgeführt.

Der Projektschwerpunkt bestand in der Qualifizierung von Mitarbeitern aus unterschiedlichen hierarchischen Ebenen zu sogenannten Multiplikatoren. Diese sollen ein fundiertes Wissen über die wesentlichsten Methoden des Lean Management bekommen, um sie im Unternehmen „multiplizieren“, d.h. verbreiten zu können. Neben der Qualifizierung ausgewählter Mitarbeiter wurden alle Führungskräfte auf die „AKV’s“ (Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortungen) sowie auf die Zusammenarbeit mit den Multiplikatoren vorbereitet.

Die Qualifizierung der Multiplikatoren brachte das notwendige Fach- und Methodenwissen für eine erfolgreiche Einführung von Unternehmenssystemen, das problemorientiert auf die Führungskräfte übertragen wurde, um damit die Unternehmen zur eigenständigen nachhaltigen Qualifizierung zu befähigen. Im Rahmen dieses Konzeptes wurden Praxiserfahrungen genutzt – auch negative Erfahrungen aus Misserfolgen –, um den Qualifizierungs- und Veränderungsprozess in anderen Unternehmen effektiver gestalten zu können.

Zur Stabilisierung des Veränderungsprozesses sollte während des laufenden Projektes ein Lenkungskreis in jedem Unternehmen eingeführt werden, in welchem anfallende Themen und Probleme diskutiert und Teilprojekte abgeleitet werden sollten. Die Zielgruppe des Projektes sind die Führungskräfte, die in die Lage versetzt werden sollen, die Mitarbeiter selbst in der erforderlichen Methode zu trainieren, um dann gemeinsam die aktuellen Probleme zu lösen. Um dies zu erreichen, sollten u. a. durch die Multiplikatoren die benötigten Methoden auch in Form von Schulungsunterlagen, Schulungskonzepten und Projekterfahrungen in der Organisation verankert werden. Zusammenfassend lauten die drei Ziele des Projektes:

  1. Eine erfolgreiche und nachhaltige Implementierung der Prinzipien der schlanken Produktion durch ein neuartiges Qualifizierungssystem, in welchem speziell ausgewählte Mitarbeiter zu Multiplikatoren geschult werden und ihr Wissen zu den genannten Themenstellungen (mit dem Fokus problemorientiert vor Ort zu agieren) im Unternehmen über die Führungskräfte verbreiten.
  2. Das Ziel ist eine gemeinsame Sicht aller beteiligten Führungskräfte, Betriebsräte und Mitarbeiter auf die Umsetzung der Prinzipien der schlanken Produktion, um die Unternehmensprozesse zu verbessern und damit auch einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der Arbeitsplätze und der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu leisten.
  3. Ein weiteres Ziel in diesem Kontext ist die Befähigung der Führungskräfte und Multiplikatoren, die Veränderungen aus eigener Kraft und mittelfristig ohne externe Unterstützung durch die Projektpartner zu bewerkstelligen.

Ausgangssituation

Die Metall- und Elektroindustrie in Deutschland sieht sich zahlreichen Herausforderungen gegenüber. Dazu gehört nicht nur der seit Jahren stetig zunehmende globale Wettbewerbsdruck. Aktuelle Problemstellungen wie der demografische Wandel, Arbeits- und Fachkräftemangel und stärker ausschlagende Konjunkturschwankungen kommen hinzu. Auch die zunehmende Digitalisierung und Industrie 4.0 werden innovative Antworten und Konzepte erfordern, um im globalen Wettbewerb bestehen zu können.

Um die Industriearbeit der Zukunft als Basis unseres Wohlstands zu sichern, muss die Wettbewerbsfähigkeit hier am Industriestandort stetig gesteigert werden. Zur Steigerung der Produktivität eines Unternehmens ist es beispielsweise erforderlich, dass alle Unternehmensbereiche — also nicht nur die Produktion und produktionsnahe Bereiche — verschwendungsarm und ohne Reibungsverluste zusammenarbeiten. Ebenso müssen die Schnittstellen zu den Kunden und Lieferanten eindeutig beschrieben sein.

Des Weiteren befinden sich die meisten deutschen Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie im stetigen globalen Wettbewerb und haben aufgrund der Rahmenbedingungen am Standort Deutschland teilweise erhebliche Produktivitätsnachteile. Trotz den sichtbaren Potenzialen in Bezug auf die Steigerung der Produktivität lassen viele Unternehmen Chancen verstreichen, sich permanent zu verbessern.

Immer noch zu wenig Unternehmen sind in der Lage, eine lernende Organisation so zu initiieren, dass zumindest die Vermeidung der sieben Verschwendungsarten bei den Mitarbeitern und Führungskräften Tagesgeschäft ist. „Produktionssysteme“ sind in der deutschen Wirtschaft schon seit Jahrzehnten insbesondere in Großbetrieben bekannt, jedoch ist das Verbesserungspotenzial noch immer sehr hoch. Besonders dann, wenn nicht nur in der Produktion an Prozessverbesserungen gearbeitet wird, sondern sich sämtliche Unternehmensbereiche schnittstellenübergreifend zu einer gemeinsamen, dauerhaft verbessernden Organisation entwickeln.

„Problem zieht Methode“

Elementarer Inhalt des Projektes war die Herangehensweise „Problem zieht Methode“. Dies beinhaltet, Probleme zu erkennen, diese unmittelbar zu beschreiben und transparent zu machen. Probleme, also Abweichungen vom aktuellen Standard, sollen durch die Mitarbeiter aufgedeckt werden. Die Führungskräfte stehen in der Verantwortung, die Abweichungen, wenn erforderlich mit Einbeziehung von Experten, nachhaltig abzustellen. Hierbei werden die Führungskräfte durch die ausgebildeten Multiplikatoren unterstützt.

Hauptaufgabe der Multiplikatoren ist es in erster Linie, die Führungskräfte in der Methodenanwendung und dem Erkennen und Lösen von Problemen zu schulen. Die zuständige Führungskraft beschreibt das Problem und ggf. den Lösungsansatz und bringt dies in Form eines Projektsteckbriefes im Lenkungskreis (größtenteils bestehend aus Mitgliedern der Geschäftsleitung) ein. Genehmigt der Lenkungskreis das Projekt, so bewilligt er auch gleichzeitig die im Projektsteckbrief genannten Ressourcen. Die Problembeschreibung durch die Führungskraft dient als Basis für die Herangehensweise.

Die Multiplikatoren bringen ihre Methodenkompetenz mit ein und trainieren die passende/n Methode/n. Nach der Entscheidung über die Durchführung des Projektes durch den Lenkungsausschuss ist es die Aufgabe der Multiplikatoren, die Führungskräfte methodisch auf das Projekt vorzubereiten und die Führungskräfte über den ganzen Projektverlauf zu begleiten. Die Verantwortung für das Ergebnis und die Umsetzung (inkl. Schulung der Mitarbeiter) liegt bei der Führungskraft.

Im Verlauf und nach der Umsetzung des Projektes gilt es, zu evaluieren inwieweit die Probleme nachhaltig behoben sind. Dies wird durch die Führungskräfte mit Unterstützung durch die Multiplikatoren durchgeführt.

Multiplikatorenkonzept

Bei der Einführung eines schlanken Unternehmens kommt es vor allem auf die Sicherung der Nachhaltigkeit an. Dies erfordert einen Kulturwandel im gesamten Unternehmen. Alle Führungskräfte und Mitarbeiter müssen die Prinzipien eines ganzheitlichen Produktions- bzw. Unternehmenssystems verstehen und leben. Bleibt dies aus, kommt es erfahrungsgemäß immer wieder schnell zu Rückfällen in alte Arbeitsweisen. Im Projekt BeQ sollte die Nachhaltigkeit durch den Einsatz von methodisch gut ausgebildeten Multiplikatoren (interne Mitarbeiter) gewährleistet werden.

Der Multiplikator erhielt während seiner Qualifizierungsphase besondere Fach- und Methodenkompetenz und kann dadurch Führungskräfte oder auch andere Mitarbeiter zur Verbesserung der Prozesse anleiten. Die Multiplikatoren fungierten als Change Agents für die Umsetzung einer Veränderung. Durch die Qualifizierung von eigenen Mitarbeitern zu Multiplikatoren werden diese von Beginn an einbezogen und können die Führungskräfte bei der Entwicklung von störungsfreien, robusten und schlanken Prozessen unterstützen. Ein wesentliches Ziel von BeQ ist es, Multiplikatoren so auszustatten und zu positionieren, damit die Prinzipien der schlanken Produktion im ganzen Unternehmen (insb. im Managementsystem) und zur Unterstützung der Führungsaufgaben erfolgreich und nachhaltig verankert wird.

Zu Beginn des Projektes BeQ wurden in den vier Unternehmen gemeinsam mit den Projektbegleitern geeignete Mitarbeiter ausgewählt und von Ihren Aufgaben freigestellt, um sie zu Multiplikatoren auszubilden. Ein umfassender Schulungsplan sorgte für die Qualifizierung der Multiplikatoren. Neben einer reinen Theorie- und Methodenausbildung, wurden auch sogenannte Soft Skills (z.B. Gesprächs- und Verhaltenstechnik, Projektmanagement) geschult. Dieses neue Wissen befähigt die Multiplikatoren zur eigenständigen Qualifizierung der Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen. Dafür sollten die Multiplikatoren eigenes Schulungsmaterial für das jeweilige Unternehmen anfertigen, um während der Projekte und auch nach deren Ende gezielt helfen und qualifizieren zu können.

Die Multiplikatoren wurden und werden vor allem dann zur Unterstützung und Schulung aktiv eingesetzt, wenn die Führungskräfte ein Problem in ihrem Unternehmensbereich erkannt haben und methodische Unterstützung zur Problemlösung benötigen. Dazu war es essenziell, dass auch die Führungskräfte vor dem Einsatz der Mutiplikatoren zum Thema schlankes Unternehmen geschult wurden, damit sie relevante Themen erkennen und die Multiplikatoren gezielt einsetzen können. Die Qualifikation der Führungskräfte war ein Hauptfokus von BeQ. Unter anderem bildeten die Ergebnisse einer gemeinsam mit den Multiplikatoren durchgeführten Verschwendungsanalysen die Basis für die Auswahl von konkreten Umsetzungsprojekten. Die hieraus entstandenen Projektideen bzw. Projektsteckbriefe mussten von dem Lenkungskreis im jeweiligen Unternehmen freigegeben werden.

Zur Durchführung der Umsetzungsprojekte führten die Multiplikatoren entsprechend dem Grundsatz „Problem zieht Methode“ die notwendigen Qualifizierungen der entsprechenden Fach- und Führungskräfte sowie – gemeinsam mit den Führungskräften – der Mitarbeiter „betroffener“ Bereiche durch. Ein Projekt wurde immer durch einen Multiplikator begleitet. Die zuvor erworbene Fach- und Methodenkompetenz half, das Problem klar zu beschreiben und nachhaltig zu beheben. Außerdem galt es, die betroffenen Führungskräfte (und Mitarbeiter) dazu zu qualifizieren, vergleichbare Probleme in Zukunft möglichst in Eigeninitiative lösen zu können. Wenn erforderlich wurden weitere Mitarbeiter mit den zuvor durch die Multiplikatoren erarbeiteten Schulungsunterlagen qualifiziert.

Neben der Führungskraft ist der Multiplikator der Schlüssel zur Nachhaltigkeit, da diese gut ausgebildeten Mitarbeiter es den Unternehmen möglich machen, langfristig ohne externe Hilfe auszukommen, da sich das benötigte Methodenwissen in Form der Multiplikatoren bereits im Unternehmen befindet.

Bild 1: Aufbau des Projekts

 

Beschreibung der Ausbildung/Schulungen

Ein Schulungsplan beschreibt die zu vermittelnde Fach- und Methodenkompetenz. Dabei wurden fünf Zielgruppen unterschieden:

  • Geschäftsführung
  • Führungskräfte aller Ebenen
  • Betriebsrat
  • Multiplikatoren
  • andere Mitarbeiter

 

Bild 2: Schulungen je Zielgruppe

Alle Zielgruppen wurden zu den einzelnen Themen durch Trainer, Projektbegleiter, Multiplikatoren und Führungskräfte (Bilder 2 und 4) geschult. Dabei wurde in unternehmensspezifische und unternehmensübergreifende Themen unterteilt. Die einzelnen Elemente zeigt Bild 4. Das folgende Bild stellt den Aufbau in Form eines Projektplans dar.

Bild 3: Projektplan

Als Erstes wurden die Geschäftsführung bzw. das Topmanagement geschult. In zwei Schulungstagen wurden die Themen Rollenverständnis, Zieldefinition und Vision behandelt und die AKV´s aller Beteiligten festgelegt. In einem zweiten Schritt wurden alle anderen Führungskräfte zwei Tage zu den Themen Aufgabe, Rolle, Zielverständnis und Verantwortung einer Führungskraft geschult. Die Betriebsräte erhielten eine zweitägige Schulung, um ein Verständnis zum Projekt und über die Grundlagen eines Produktionssystems zu erhalten.

Zu den theoretischen Schulungen und den Übungen vor Ort wurde ein Planspiel als Trainingsinstrument genutzt. Das Planspiel wurde im Rahmen des Projektes BeQ entwickelt und vermittelte die Philosophie eines schlanken und verschwendungsfreien Unternehmens. Die Teilnehmer des Planspiels bekamen in einer Nachbildung eines Unternehmens- bzw. Produktionssystems aktive Rollen (vom Produktionsleiter bis zum Fertigungsmitarbeiter) zugewiesen. In drei Verbesserungsrunden optimierten sie das vorhandene Unternehmens- bzw. Produktionssystem. Dabei lernten die Teilnehmer die Vorteile der schlanken Produktion kennen sowie die Bedeutung des kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) bei der Entwicklung eines synchronen Produktionssystems. Verschiedene Lean-Methoden wurden vorgestellt und trainiert.

Den Teilnehmern wurde so ein Blick für Verschwendung in einem Produktionsumfeld vermittelt. Das Planspiel bildete eine Fertigung und Montage ab. Dabei wurden Probleme einer Produktion, wie z. B. hohe Bestände und lange Durchlaufzeiten, realistisch dargestellt. Durch gezielte Verbesserungsschritte wurde eine schlanke Produktion bzw. ein schlankes Unternehmenssystem erarbeitet.

Je nach Schwerpunkt und Zielgruppe kamen weitere Schulungselemente und -methoden (zum Beispiel Wertstromanalyse) zum Einsatz. Auf jedes Training in den jeweiligen Fach- oder Produktionsbereichen folgte ein Praxistag zur Verschwendungsanalyse, an dem das erlernte Wissen praktische Anwendung fand. Die nicht am Planspiel beteiligten Mitarbeiter bekamen zunächst, ähnlich wie die Betriebsräte, eine zweitägige Basisschulung zu den Grundlagen eines Produktionssystems. Weitere Methodenkompetenz (z. B. „7 Arten der Verschwendung“) erhielten sie durch die Multiplikatoren.

Bild 4: Schulungsverlauf

Rolle der Führung im Zusammenhang mit dem Multiplikatorenprinzip

Den Führungskräften kommt im Projekt eine entscheidende Rolle zu. Sie setzen die Multiplikatoren und deren Methodenwissen für die anstehenden Projekte problemorientiert ein. Welches Verbesserungsprojekt letztendlich umgesetzt wird, soll im Lenkungskreis kommuniziert und beschlossen werden.

Die Funktion des Multiplikators wurde in Workshops gemeinsam mit den anwesenden Führungskräften erarbeitet und als verbindlich verabschiedet. Die wesentlichste Aufgabe des Multiplikators ist es, die Methodenkompetenz der Führungskräfte so zu stärken, so dass diese in der Lage sind, aktuelle Probleme mit den richtigen Methoden gemeinsam mit den Mitarbeitern zu lösen. Der Multiplikator schult demnach die Führungskraft in einer bestimmten Methode und unterstützt sie ggf. anfangs bei der Umsetzung. Er überprüft, ob die Methode richtig angewendet wird, bewertet die Wirksamkeit des Methodeneinsatzes und gibt Feedback auf den Prozess.

Der Multiplikator ist somit ein interner Berater für die Führungskräfte. Er kann auf Verschwendungen in den Prozessen hinweisen und gemeinsam mit der verantwortlichen Führungskraft ein Lösungskonzept erarbeiten. Er kann zu bestimmten Fachthemen nach Aufforderung im Lenkungskreis seine Sichtweise darlegen und ggf. alternative Methoden zur Lösung des Problems vorschlagen. Durch seine Kompetenz in Moderation, Gesprächstechnik und Projektmanagement ist er befähigt, Problemlösungsprozesse zu moderieren.

Der Multiplikator nimmt im Rahmen des KVP die Rolle und Position eines neutralen, fachlich orientierten Moderators im Veränderungsprozess ein. Dies bedeutet, dass die Führungskräfte von ihm durch die Vermittlung, Anwendung und Bereitstellung geeigneter Methodenkompetenzen dazu befähigt werden, gemeinsam mit ihren Mitarbeitern Probleme und Veränderungsbedarfe in Eigeninitiative zu identifizieren sowie Probleme in aktuellen Prozessen aufzudecken. Damit können sie adäquate Lösungen erarbeiten, welche dann mit den Mitarbeitern in Zusammenarbeit und Abstimmung mit vor- und nachgelagerten Bereichen realisiert werden.

Aufgabe der Führungskräfte ist es – ggf. unter Einbeziehung methodischer Anleitung und Unterstützung – im Rahmen des KVP neue Standards für die Prozesse zu entwickeln. Die Prozesse und definierten Standards müssen regelmäßig durch die Führungskräfte auf ihre Umsetzung und Aktualität überprüft werden. Stellt eine Führungskraft — und hier ist insbesondere auch die oberste Führungsebene gemeint — fest, dass die gesetzten Standards nicht realisiert werden konnten oder veraltet sind, werden gemeinsam mit methodischer Unterstützung des Multiplikators die Gründe für die Nichterfüllung des Standards analysiert und/oder ein neuer, passender Standard entwickelt.

Die Verantwortung für die Beschreibung und Einhaltung des neuen Standards trägt die zuständige Führungskraft in Abstimmung mit den vor- und nachgelagerten Bereichen. Die Unterstützungsleistung des Multiplikators kann unter anderem darin bestehen, mit der Führungskraft und/oder ihren Mitarbeitenden einen Konsens über den zu klärenden Sachverhalt festzuhalten, durch die Anwendung von Moderations- und Fragetechniken zur kritischen Reflexion des Prozesses anzuregen, Problemanalyse und den Zielfindungsprozess zu moderieren sowie die gemeinsam entwickelten Maßnahmen festzuhalten.

Nochmals hervorzuheben ist, dass die Umsetzung vereinbarter Maßnahmen und Ziele im Rahmen des KVP nicht durch den Multiplikator erfolgt, sondern in der alleinigen Verantwortung der jeweiligen Führungskräfte der Bereiche liegt. Besteht über die Zuständigkeiten und Verantwortungsbereiche kein Konsens bei den Prozessbeteiligten, ist der Multiplikator dazu berechtigt, die Prozessaufnahme und -analyse bis zur endgültigen Klärung des Sachverhaltes – ggf. durch den Lenkungskreis – auszusetzen.

Die Gesamtverantwortung für den KVP trägt das Management. Die Geschäftsführung gibt die Ziele des KVP, abgeleitet aus den jährlichen Unternehmenszielen, vor. Ihr obliegt die strategische Verantwortung über die Prozesse. Sie vertritt die Gesamtheit der Prozesse auf der Ebene der Führungskräfte. Der Lenkungskreis stellt die erforderlichen Ressourcen zur Verfügung, sichert die abteilungsübergreifende Steuerung der Prozesse, sorgt für das Funktionieren der Schnittstellen der Prozesse untereinander und führt ggf. die erforderlichen Abstimmungen auf der obersten Führungsebene durch.

Die Geschäftsleitung kommuniziert die strategischen Ziele des KVP gegenüber den Führungskräften und steuert das KVP-Berichtswesen. Auf Grundlage vereinbarter Standards überprüft der Multiplikator die Wirksamkeit und Leistungsfähigkeit von Prozessen in allen Bereichen, indem er regelmäßige Audits durchführt. Abweichungen von Standards werden zunächst mit den zuständigen Führungskräften besprochen, damit diese Gegenmaßnahmen einleiten können. Werden keine Gegenmaßnahmen eingeleitet, kann der Multiplikator dies im Lenkungskreis ansprechen. Er koordiniert und administriert deren Moderationseinsätze und leistet bei Bedarf Unterstützung.

Führungskräfte, welche die direkte operative Verantwortung für einen Prozess oder Teilprozesse innehaben, werden als Prozessverantwortliche bezeichnet. Sie setzen Standards für den jeweiligen Prozess und fordern von ihren Mitarbeitenden die Umsetzung und Einhaltung dieser Standards ein. Sollen Veränderungen realisiert werden, wird die Führungskraft zum Projektauftraggeber für ihre Mitarbeiter, welche eine KVP-Gruppe bilden, und gibt dieser den Rahmen und die Bedingungen für das zu bearbeitende KVP-Projekt vor.

Eine KVP-Gruppe setzt sich, unabhängig der Hierarchiestufen, aus den beteiligten Mitarbeitern eines Prozesses zusammen. Die KVP-Gruppe analysiert den Prozessablauf im Sinne des KVP regelmäßig, entwickelt Verbesserungsmaßnahmen, bewertet diese und setzt sie nach der Genehmigung durch den Lenkungskreis um. Der Führungskraft obliegt die Verantwortung, dass ihre Mitarbeitenden dazu befähigt werden, Verbesserungen zu erkennen und diese aktiv anzugehen, etwa indem sie die erforderlichen Ressourcen bereitstellt. Dies geschieht beispielsweise durch die Schaffung definierter Zeitfenster, in welchen die Mitarbeitenden sich während ihrer Arbeitszeit mit KVP beschäftigen können und sollen.

Zudem stellt die Führungskraft sicher, dass die Kompetenzen ihrer Mitarbeiter in Bezug auf KVP vorhanden sind und bei Bedarf weiterentwickelt werden. Das von der KVP-Gruppe erarbeitete Ergebnis zur Problemlösung wird von der zuständigen Führungskraft abgenommen und im Lenkungskreis zur Genehmigung vorgelegt. Die Führungskräfte präsentieren den Stand ihrer KVP-Projekte im Lenkungskreis, welcher Ergebnisse abnimmt und einfordert. Zudem berät er über geeignete Methoden zum KVP und wirkt als Deeskalationsinstanz bei auftretenden Schwierigkeiten. Beschlüsse zum KVP werden vom Lenkungskreis verabschiedet. Bild 6 fasst noch einmal das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure zusammen.

Bild 6: Zusammenspiel Multiplikatoren, Führung, Lenkungskreis

Fazit

Die Realisierung einer schlanken Produktion bzw. eines schlanken Unternehmens ist ein großer Schritt zur Absicherung der Wettbewerbsfähigkeit am Produktionsstandort Deutschland und oftmals auch ein langer Weg. Erfahrungen aus der Praxis zeigen, dass die Unternehmen vor allem Probleme mit der nachhaltigen Umsetzung haben. Eine nicht auf die speziellen Anforderungen des Unternehmens abgestimmte Methodenanwendung führt nicht zum gewünschten Erfolg und ist oft mit Widerständen verbunden. Das haben auch die zahlreichen Umsetzungsprojekte zur Einführung von Produktionssystemen gezeigt.

Bei der Einführung eines ganzheitlichen Unternehmenssystems gilt es, die dafür notwendigen Voraussetzungen zu schaffen bzw. abzuklären, wie z. B.:

  • Vorhandensein einer Unternehmensvision bzw. -strategie und Ableitung der Unternehmensziele bis in die Arbeitsteams
  • Sensibilisierung der Beteiligten (Management, Betriebsrat, Mitarbeiter usw.)
  • Rahmenbedingungen:
    • Zeit (Freistellung der Multiplikatoren), Kosten, Budget, Verantwortlichkeiten usw.
    • Etablierung in der Unternehmenskultur bzw. den -werten, den Führungsleitlinien usw.
    • Kein zeitlich begrenztes, sondern fortwährendes Projekt.
  • Das Multiplikatorenkonzept lässt sich in dieser Form anwenden. Entscheidend ist, Wissen in der Organisation aufzubauen.
  • Bereichsdenken vermeiden
  • Umsetzung und Kommunikation von Verbesserungsprojekten (5S, 7V usw.)
  • Erfolgsmessung im Rahmen eines aus allen Funktionsträgern bestehenden Lenkungsausschusses.

Das Projekt BeQ setzte auf Nachhaltigkeit und wollte alle betrieblichen Akteure einbinden und so Widerstände und Hemmnisse abbauen. Dahingehend wurde ein spezielles Qualifizierungskonzept entwickelt und in vier sehr unterschiedlichen Unternehmen angewandt. Die Ausbildung und der Einsatz von Multiplikatoren als Unterstützer für die Führungskräfte sind ein entscheidendes und stabilisierendes Element für die erfolgreiche Veränderung – vor allem mit dem Ansatz, dass die Unternehmen den Veränderungsprozess ohne externe Unterstützung durchführen können.

Das Multiplikatorenkonzept ist sehr erfolgversprechend, um nachhaltig das benötigte Methodenwissen in der Organisation, insbesondere im Managementsystem, zu implementieren und um eine lernende Organisation zu entwickeln. Es zeigte sich deutlich, dass für die vor Ort vorgefundenen Probleme passendes Methodenwissen bei den ausgebildeten Multiplikatoren vorhanden war. Dass die Multiplikatoren sehr früh im Projektverlauf ihre Kollegen trainierten, sorgte dafür, dass die Multiplikatoren Erfahrungen sammeln konnten und diese ein besseres Verständnis über die eigene Organisation erlangten. Hierdurch konnten die zu erlernenden Methoden passend für das jeweilige Unternehmen frühzeitig vorbereitet und unternehmensindividuelle Schulungsunterlagen erstellt werden.

Außerdem war es wichtig, zwischen Methodenwissen und Verantwortung bei der Umsetzung zu differenzieren. Im Falle von BeQ hatten immer die Führungskräfte die Verantwortung für die zu schulenden Themen, da diese die Probleme bzw. Potenziale ihres Bereichs selbst am besten einschätzen konnten. Somit konnten die Multiplikatoren mit ihrem erlernten Wissen die Führungskräfte bei der Optimierung ihrer Prozesse unterstützen und gleichzeitig Erfahrungen sammeln. Für die Multiplikatoren bestand deshalb nicht die Gefahr, negative Erfahrungen durch zu frühe Verantwortungsübernahme erleben zu müssen und ggfs. dadurch die persönliche Entwicklung im Unternehmen zu gefährden. Diese Vorgehensweisen werden durch die größtenteils positiven Aussagen bestätigt, nach denen das BeQ-Projekt das Erreichen der Unternehmensziele und den Standorterhalt unterstützt habe.

Die Führungskräfte sollten bei festgestellten Problemen die Multiplikatoren (mit ihrer Methodenkompetenz) gezielt einsetzen („ziehen“). Dass die Multiplikatoren dennoch zu selten „gezogen“ wurden, lag zum einen an dem mangelnden Wissen über nachhaltige Erfolge durch eine schlanke bzw. lernende Organisation, am fehlenden Mut zur Nutzung der internen Unterstützung im eigenen Bereich und zum anderen an unternehmensspezifischen Gründen. Beispielsweise war in einem Unternehmen ein Multiplikator lange erkrankt und ein anderer häufig im Ausland tätig. Da auch kein Sinn darin gesehen wurde, weitere Multiplikatoren auszubilden, gab es teilweise auch keine Verbesserungsprojekte.

Zwei Positivbeispiele können allerdings auch genannt werden: Bei einem Unternehmen wurden sehr viele Multiplikatoren benannt und zudem für das Projekt BeQ freigestellt. Hier wurde dem Instrument „Multiplikator“ ein hoher Stellenwert beigemessen. Ein weiteres Positivbeispiel ist ein Unternehmen, bei welchem die Multiplikatoren hierarchisch aufgestiegen sind und seitdem ihre Rollen noch ernster nehmen. Ein Multiplikator wurde zum Produktionsleiter ernannt und kann in seiner neuen Position als Führungskraft sehr viel auf Verbesserungsprozesse Einfluss nehmen. Somit hat die Ausbildung der Multiplikatoren positive Wirkungen in den Unternehmen gezeigt. Wissen wurde durch den Einsatz der Multiplikatoren im Unternehmen multipliziert und hat im Rahmen der Verbesserungsprojekte nachhaltige Effekte ausgelöst.

Für einen Veränderungsprozess sind die Unterstützung und der Rückhalt durch die Führungskräfte nicht zu unterschätzende Voraussetzungen. Fehlen diese im oberen Management, kommt ein Veränderungsprozess zum Stocken oder kann erst gar nicht gestartet werden. Aus diesem Grund wurden im Vorfeld des Projektes zwei Führungskräfteschulungen (2 Tage) durchgeführt und ein Planspiel (Simulation einer Produktion) im Rahmen des Projektes entwickelt. Hierbei sollten die Führungskräfte mit dem Thema vertraut gemacht werden und ein Verständnis dafür bekommen, welche Funktion ein Multiplikator hat und wann sie die Multiplikatoren „ziehen“ können.

Dieses Ziel wurde nicht überall erreicht, da anscheinend die Schulungstage nicht ausreichten, um den Führungskräften ausreichend Wissen und Veränderungswille mit auf den Weg zu geben. Dies bestätigte auch unsere Befragung: Auf die Frage „Benötigen die Führungskräfte weitergehende Methodenkompetenz?“ antworteten die Führungskräfte überwiegend „Trifft zu“ und „Trifft teilweise zu“. Somit gilt es, die Ausbildung der Führungskräfte im Rahmen von BeQ kritisch zu hinterfragen.

Unsere Erfahrung im Projekt BeQ hat gezeigt, dass das gesamte Management ein gemeinsames Verständnis für die Zielsetzung braucht. Das Management muss von der Implementierung und der erfolgreichen Veränderung des Unternehmens überzeugt sein und hierfür die erforderlichen Rahmenbedingungen schaffen (passende Strategie, Ressourcen freigeben usw.). Außerdem sollte das Management über die eigene Rolle und das eigene Auftreten in der Organisation nachdenken und dieses ggfs. ändern. Hier ist Authentizität gefragt. Beispielsweise löst ein Manager, der regelmäßig vor Ort ist und sich Verbesserungen anschaut bzw. sich selbst ein Bild für Verbesserungspotenziale macht, eine weitaus größere Wertschätzung gegenüber der Arbeit der Mitarbeiter aus als eine Führungskraft, die selten „am Ort des Geschehens“ ist. Außerdem bietet die Präsenz und Mitarbeit im Betrieb dem Manager die Möglichkeit, die Entwicklungen der Organisation – insbesondere auch in Richtung der gesetzten Unternehmensziele, vor Ort zu sehen und zu beeinflussen.

Literatur

[1] Jones, T. J.; Roos, D., Womack, J. P.: Die zweite Revolution in der Autoindustrie. 2. Aufl., Frankfurt am Main: Heyne, 1991

[2] Klevers, T.: Wertstrom Mapping und Wertstrom Design: Verschwendung erkennen – Wertschöpfung steigern. Landsberg am Lech: mi-Fachverlag, 2007

[3] Steinhardt, T.: OEE – Auf der Suche nach den verborgenen Kapazitätsreserven. 2008, http://www.brainguide.de/upload/publication/3d/k602/072db402bbcde5624-aeac0e65424793c_1311535455.pdf. Zugegriffen: 31. Januar 2013

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