Verfasser: Eckhard Eyer, Vergütungsberater und Wirtschaftsmediator, Perspektive Eyer Consulting, Köln
Pflegedienst seit zwölf Jahren erfolgreich
Im Jahr 2003 beschritt Thomas Rehbein Neuland in der ambulanten Altenpflege und führte 2004 eine leistungs- und erfolgsbezogene Bezahlung ein. Nach zwölf Jahren Erfahrung mit dem Leistungsentgelt kann darüber resümiert werden, wie sich die leistungs- und erfolgsbezogene Bezahlung – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des aktuellen Mangels an Pflegefachkräften – bewährt hat.
Das Unternehmen
Der häusliche Kranken- und Seniorenpflegedienst wurde im Jahr 1991 von Thomas Rehbein in Wiesbaden gegründet. Mittlerweile hat er weitere Niederlassungen in Rüsselsheim und Schlangenbad mit insgesamt ca. 120 Mitarbeitern. Im Jahr 2000 wurde der Pflegedienst zertifiziert.
Engagement wurde nicht honoriert
Bei der Bezahlung wurden bis 2004 das persönliche Engagement der Mitarbeiter, ihre Arbeitsqualität und Arbeitsquantität ebenso wenig berücksichtigt wie das Betriebsergebnis.
Im Pflegedienst kam es hin und wieder zu Verkehrsunfällen, die meist auf die Unachtsamkeit der Mitarbeiter zurückzuführen waren. Dadurch entstanden höhere Kosten im Unternehmen, die das Betriebsergebnis belasteten.
Im Jahr 2003 kündigte die Kfz-Versicherung dem ambulanten Pflegedienst Rehbein. Als Thomas Rehbein dies seinen Mitarbeitern mitteilte, entstand eine Diskussion über folgende Fragen:
- Welche Versicherung nimmt uns mit einer so hohen Schadensquote?
- Warum haben einzelne Mitarbeiter so hohe selbstverschuldete Unfallraten und andere keine?
- Einige Mitarbeiter sind hinsichtlich ihrer Arbeitsqualität und -quantität vorbildlich, bei anderen gibt es immer wieder Beschwerden. Warum werden alle gleich bezahlt?
- Warum haben einzelne Mitarbeiter so hohe Fehlzeiten und andere keine?
- Warum werden die „guten Mitarbeiter“ durch Fehlzeiten ihrer Kollegen immer höher belastet?
Durch solche Diskussionen – angestoßen durch die Kündigung der Kfz-Versicherung – litt das Betriebsklima. Positiv war, dass das, was sonst unter vorgehaltener Hand gesagt wurde, nun „auf den Tisch“ kam und damit in mehreren Teamgesprächen in allen Standorten konstruktiv diskutiert wurde. Die Mitarbeiter wünschten bzw. forderten damit eine individuell differenzierte Vergütung auf Grundlage ihrer Leistung.
Finanzierung des leistungs- und erfolgsabhängigen Entgeltsystems
Die spannendste Frage vorweg: Wie wird das neue leistungs- und erfolgsabhängige Entgelt finanziert? Kommen Zusatzkosten bei der Finanzierung der neuen Entgeltkomponente auf den Pflegedienst zu?
Im vorliegenden Fall wurden seit 1991 Urlaubs- und Weihnachtsgeld gezahlt. Dieses Entgeltvolumen wurde umgewidmet und den Mitarbeitern nun im Bonussystem ausgezahlt, wenn sie gewisse Leistungen bzw. Ergebnisse erreichten.
Aufbau des leistungs- und erfolgsabhängigen Entgeltsystems
In einem spannenden Prozess wurde ein leistungs- und erfolgsabhängiges Bonussystem erarbeitet. Es setzt sich aus drei Bausteinen zusammen, die individuell bzw. teambezogen ermittelt werden:
- Unfallfreies Fahren (individuell),
- Anwesenheitsprämie (individuell) und
- Gewinnbeteiligung (kollektiv).
Unfallfreies Fahren
Das unfallfreie Fahren wird individuell ermittelt. Jeder Mitarbeiter, der unfallfrei fährt, erhält monatlich 40 € als steuerfreien Warengutschein, umgangssprachlich auch „Benzingutschein“ genannt. Im Falle eines selbstverschuldeten Unfalls bleibt dem Mitarbeiter sechs Monate lang der steuerfreie Warengutschein versagt.
Der Wert eines Warengutscheins von monatlich 40 € netto beträgt in Steuerklasse I ca. 90 € brutto. Bei einem selbstverschuldeten Unfall und dem Entfall der Prämie für sechs Monate sind das 240 € netto und ca. 540 € brutto.
Anwesenheitsprämie
Pro Halbjahr ohne Fehlzeit erhalten die Mitarbeiter, die in Vollzeit z. B. 2 400 € monatlich brutto verdienen, eine Anwesenheitsprämie in Höhe von 254 €. Für jeden Fehltag im Halbjahr wird die Anwesenheitsprämie um 10 % des Betrages, d. h. um 25,40 € je Fehltag, reduziert. Ab dem 10. Fehltag entfällt die Anwesenheitsprämie im Halbjahr. Diese Regelung entspricht dem Lohnfortzahlungsgesetz. Der Bonus wird im Juli und im Januar mit dem Gehalt ausgezahlt.
Gewinnbeteiligung
Die Mitarbeiter werden am operativen Gewinn beteiligt. Voraussetzung hierfür ist zum einen, dass zum einen der Unternehmer Rehbein sich soweit „in die Karten schauen lassen will“ und dass zum anderen die Mitarbeiter darauf vertrauen können, dass der operative Gewinn nicht durch Abschreibungen, Rückstellungen usw. durch den Unternehmer manipuliert wird. Zudem muss ein angemessenes und berechenbares Verhältnis von operativem Gewinn und Beteiligung der Mitarbeiter am Gewinn festgelegt werden.
Die ersten beiden Voraussetzungen waren gegeben und die letzte wurde aufgrund von Schattenrechnungen auf Basis der Jahre 1999 - 2002 berechnet und diskutiert.
Der Pflegedienst schüttet einen festgelegten Prozentsatz seines operativen Gewinns an die Mitarbeiter aus und verteilt sie anteilig aufgrund des individuellen Entgelts der Mitarbeiter, in dem sowohl die Wertigkeit der Tätigkeit (Pflegefachkraft, Pflegehilfskraft, Haushaltshilfe) als auch die Arbeitszeit (Voll- oder Teilzeit) abgebildet ist.
Mitarbeiter, die monatlich 2 400 € brutto verdienen, können also beispielsweise halbjährlich mit einem Bonus für unfallfreies Fahren in Höhe von 240 € netto (d. h. 540 € brutto), plus einer Anwesenheitsprämie von 254 € und zuzüglich einer Gewinnbeteiligung von 600 € rechnen. Das entspricht einem Bruttoentgelt von ca. 1 394 € im Halbjahr und 2 788 € im Jahr. Dies liegt über dem in der Vergangenheit gezahlten jährlichen Urlaubs- und Weihnachtsentgelt.
Erfahrungen mit dem neuen Bonussystem
Bild 2 zeigt die Entwicklung der Schadensquote vor und nach Einführung des Bo-nussystems. Der Unterschied ist statistisch signifikant. Auch bei der Fehlzeitquote (Bild 3) ist ein erfolgreicher Trend abzulesen. Thomas Rehbein erlebte, dass Mitar-beiter nach Einführung des Bonussystems mit Kollegen den Dienst tauschten, um ihren Anwesenheitsbonus in vollem Umfang zu bekommen, wenn sie den Eindruck hatten, eine Erkältung sei im Anflug. Mit diesem System ist es allerdings nicht ge-wollt, dass kranke Mitarbeiter zur Arbeit kommen. Diese werden wieder nach Hause geschickt.
Die Leistungskultur hat sich verändert
Die Entwicklung der Unfallzahlen und Fehlzeiten, aber auch das kosten- und ertragsorientiertere Verhalten der Mitarbeiter führte in Summe zu einem besseren betriebswirtschaftlichen Ergebnis und letztendlich zu einer höheren Gewinnbeteiligung.
Mit dem Kommunizieren und Rückmelden der drei Kennzahlen veränderte sich die Leistungskultur im Unternehmen. Die Pflegekräfte bekamen ein Gespür dafür, dass sie nicht nur helfen, sondern auch ein Auge darauf haben sollten, dass Verän-derungen im Krankheitsbild der Patienten und seiner Bedürftigkeit zeitnah zu Veränderungen des Leistungsangebots führen. Daraus und aus der Sensibilität zu einem kostenbewussteren Handeln resultierte ein besseres Betriebsergebnis.
Das Betriebsklima hat sich durch die als gerechter erlebte Vergütung verbessert, latente Konflikte wurden reduziert. Die Teamarbeit entwickelte sich positiv und die Mitarbeiter achten – im positiven Sinn – auf die Kollegen. Sie identifizieren sich stärker mit ihrem Unternehmen und fühlen sich stärker an dieses gebunden. Die Fluktuation liegt weit unter dem Durchschnitt der Branche.
Der Häusliche Kranken- und Seniorenpflegedienst Thomas Rehbein hat in den letzten zwölf Jahren inflationsbereinigt eine höhere Gehaltssumme gezahlt als er gezahlt hätte, wenn er das Bonussystem nicht eingeführt hätte. Da sich dieses Bonussystem aber selbst finanzierte, zogen Mitarbeiter und Unternehmen gleichermaßen ihre Vorteile daraus.
Nach zwei Jahren guten Erfahrungen mit dem Anwesenheitsbonus führte Thomas Rehbein im Jahr 2006 eine neue Reglung ein: Mitarbeiter, die keinen Krankheitstag im Kalenderjahr haben, erhalten drei Tage bezahlten Sonderurlaub.
Bei den Stellenausschreibungen und im Vorstellungsgespräch hat das Leistungsentgelt einen hohen Stellenwert (siehe Interview im Kasten).
Gewagt und gewonnen
Mit der Einführung von Leistungs- und Erfolgsentgelt in ambulanten Pflegediensten hat Thomas Rehbein Neuland beschritten. In vielen Einrichtungen wird das Thema auch heute noch defensiv und eher ablehnend diskutiert. Der Häusliche Kranken- und Seniorenpflegedienst Thomas Rehbein hat bereits im Jahr 2003 aufgrund eines Anstoßes von außen gemeinsam mit den Mitarbeitern ein Bonussystem erarbeitet und 2004 eingeführt, das ein Vorbild für andere Pflegedienste sein kann. Der Pflegedienst hat – ebenso wie die Mitarbeiter – damals etwas gewagt und seither jährlich gewonnen.