Arbeiten bis 69 – Dichtung und Wahrheit


Arbeiten bis 69 – Dichtung und Wahrheit

Die Debatte über das Renteneintrittsalter hält an. Rufe nach einer Erhöhung des Rentenalters auf 69 Jahre werden laut. Mit der Lebensrealität der Beschäftigten hat das wenig zu tun, meint der Autor dieser Kolumne Eckhard Eyer. 

 

Beim Lesen eines Fachartikels wurde ich mit dem Begriff Ageismus konfrontiert und wurde hellhörig. Ageismus nennt man die Diskriminierung der älteren und alten Menschen durch die Sprache, Aber die Diskriminierung geht weit über die Sprache hinaus. Die Sprache schafft Realitäten in unseren Köpfen und führt zu paradoxen Situationen. Die Arbeitgeberverbände fordern den Eintritt der Mitarbeiter in die Rente mit 69 Jahren und in vielen Firmen herrscht nach wie vor zwar verbale Aufgeschlossenheit gegenüber älteren Mitarbeitern, doch die Einstellungspraxis sieht anders aus.

Bilder in unseren Köpfen

In uns Menschen wurden in unserer Kindheit und Jugend Wertvorstellungen „hineingelegt“, wir wurden sozialisiert wie die Sozialwissenschaftler sagen. Oft wissen wir nicht, wie wir ticken, bis wir mit anderen Meinungen und Wertvorstellungen konfrontiert werden. Meine Großeltern „Jahrgang 1899“ spielten in den 1970er-Jahren oft die Schallplatte „Hab Ehrfurcht vor schneeweisen Haaren“ ab. Jacob Grimm, der Märchensammler, benennt in seiner Rede über das Alter die zeitgenössischen Synonyme zu alt und Alter: mürrisch, grämlich, eigensinnig, altfränkisch, sauersehend, Knicker, Erbsenzähler, Unke….

Zur gleichen Zeit gibt es aber auch eine andere, differenziertere Stimme. Daniel Sanders formuliert: „Oft ist das Alte als das Veraltete, Welke, schwach und matt Gewordene das Schlechtere; andererseits ist es das Ursprüngliche, das Bewährte, das zu ruhiger Kraftäußerung, zu Klarheit und Milde gediehene, das Bessere und so gilt dasselbe Wort „alt“ bald lobend, bald tadelnd“. Diese differenzierte Sichtweise macht man sich offensichtlich in der deutschen Arbeitsmarkt-, Renten- und Personalpolitik zunutze.

Wertschätzung von Menschen in Abhängigkeit des Arbeitsmarktes

Von den 1990er-Jahren bis zum Jahr 2007 war die Rente mit 58 Jahren möglich und mit 56 Jahren nicht selten. Heute sind wir auf dem Weg zur Rente mit 67 und sprechen über die Rente mit 69 Jahren. Vor 20 Jahren hatten wir eine hohe Arbeitslosigkeit und 2023 haben wir einen großen Fachkräftemangel.

Menschen haben ein gutes Gedächtnis

Die Erfahrung zeigt, dass die Menschen ein gutes Gedächtnis haben, sich merken wie die Wertschätzung eines Arbeitgebers, einer Gesellschaft ihnen gegenüber ist und wovon sie abhängt. So gesehen ist es gut nachvollziehbar, dass weit mehr Menschen als erwartet die Rente mit 63 Jahren nutzten. Sie fragten nicht, ob die Unternehmen und die Gesellschaft ihre Arbeitskraft benötigt und die Rentenversicherung ihre Rentenbeiträge. Sie haben verstanden, dass Angebot und Nachfrage nicht nur den Preis der Arbeitskraft bestimmen, sondern auch die Wertschätzung, die ihnen entgegengebracht wird. Sprache ist verräterisch: In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit spricht man vom „Oldi“ und in Zeiten des Fachkräftemangels vom „Best Ager“.

In einigen produzierenden Unternehmen berichteten mir Personalchefs, dass ihre Werk- und Betriebsleiter von ihnen fordern, nur Menschen unter 40 Jahren, zum Teil unter 35 Jahren, einzustellen. Sie argumentieren, dass bei den körperlich belastenden Arbeiten und dem Schichtdienst die Krankenstände der älteren Mitarbeiter im Durchschnitt 5 bis 10 Tage im Jahr höher sind, als bei jüngeren Mitarbeitern.

Fazit   

Die finanzielle Situation der Rentenversicherung angesichts des demografischen Wandels und der Geburtenraten der letzten Jahrzehnte ist bekannt. Die Notwendigkeit einer längeren Lebensarbeitszeit ist nachvollziehbar, um die Mitarbeiter, die Unternehmen und den Staat finanziell nicht zu überfordern. Wenn man jedoch den Menschen die Chance verwehrt auch „jenseits der Fünfzig“ ihr tägliches Brot zu verdienen, dann darf man sich nicht wundern, wenn sie gegen eine Rente mit 69 Jahren sind. Die andere Frage ist: Warum sollte ein junger Mensch – der nicht weiß, ob er bis zum Alter von 69 Jahren arbeiten darf – in die Rentenversicherung oder gar eine freiwillige Zusatzversicherung einzahlen, wenn aufgrund seiner wahrscheinlichen Lebensarbeitszeit seine Rente unter dem Niveau des Bürgergeldes (oder wie immer es in 40 Jahren heißen mag) liegt? 

www.eyer.de 

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Wissen bildet die Grundlage für die Handlungsfähigkeit aller Mitarbeiter, egal ob jung oder alt. Aufgrund der demographischen und technologischen Entwicklung sowie des bestehenden Fachkräftemangels ist das „Lebenslange Lernen“ ein wichtiger Bestandteil der Gesellschaft. REFA bietet hierfür eine Reihe von Ausbildungen und Seminaren, mit denen Mitarbeiter jeden Alters ihr Wissen anpassen, vertiefen und erneuern können.

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