100 Jahre REFA – Am Anfang stand die Personalbemessung


100 Jahre REFA – Am Anfang stand die Personalbemessung

Bei der Gründung von REFA vor 100 Jahren stand die für die Ausführung einer Arbeit notwendige Zeit im Fokus. Das Akronym REFA steht für „Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung“. Die ermittelte Arbeitszeit für die Ausführung von Arbeitsaufgaben bildete die Grundlage für die Planung der Arbeitsprozesse sowie für die Kapazitäts-, Auftrags- und Terminplanung. Die Vorgabezeitermittlung war unerlässlich für die Akkordentlohnung der Mitarbeiter und, nicht zuletzt, für die Personalbemessung. 

 

REFA lieferte die Datenbasis für die Dauer der Arbeitsprozesse und die Personalbemessung in einer Zeit, in der die Bearbeitungszeit eines Werkstücks durch den Mitarbeiter – beispielsweise beim Drehen eines Werkstücks auf einer konventionellen Drehmaschine – grundsätzlich der Arbeitszeit des Mitarbeiters entsprach. Durch die Entkopplung der Bearbeitungszeit der Werkstücke von der Arbeitszeit der Mitarbeiter steht das Industrial Engineering heute vor neuen Herausforderungen. 

Personalbemessung 

Die angemessene Personalbemessung ist eine zentrale Aufgabe, insbesondere für die Arbeitswirtschaft – auch bekannt als Industrial Engineering oder REFA-Abteilung – sowie für die Personalwirtschaft, das Human Resource Management, den Betriebsrat und die Mitarbeiter.

Personalcontrolling im Fokus der Personalwirtschaft

Die Personalwirtschaft, die die Mitarbeiter von der Einstellung über ihre berufliche Entwicklung im Unternehmen bis zu ihrem Ausscheiden begleitet, hat die Aufgabe, die notwendige Anzahl von Mitarbeitern mit der entsprechenden Qualifikation dem Unternehmen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Dafür ist es erforderlich, den Personalbedarf auf Grundlage der Personalbemessung zu ermitteln und die Personaleinsatzplanung entsprechend dem saisonal sowie wöchentlich oder täglich schwankenden Personalbedarf durchzuführen. Dabei sollten auch die Möglichkeiten einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung mit angemessenen Spielräumen und einer Jahresarbeitszeit genutzt werden. Das Personalcontrolling und die Steuerung der Personalkosten basieren ebenfalls auf der Personalbemessung.

Kapazitätsplanung im Fokus der Arbeitswirtschaft

Zu den Aufgaben des Industrial Engineering gehört es, die Datenbasis für die Personalbemessung in der Produktion und in produktionsnahen Bereichen bereitzustellen. Diese Datenbasis, die sowohl die Bearbeitungszeiten der Werkstücke als auch die Personalbemessung umfasst, ist notwendig, um eine angemessene Kapazitätsplanung sowie eine effiziente Auftrags- und Terminplanung durchführen zu können. Auch die vorbeugende Instandhaltung (Stichwort TPM) und weitere Servicezeiten sind einzuplanen. Zudem können die Personalbemessung und die Vorgabezeiten für die zu erledigenden Arbeiten die Grundlage für eine leistungsorientierte Entlohnung, wie etwa den Kennzahlenvergleich für Teams, bilden.

Arbeitsbedingungen im Fokus des Betriebsrates

Zu den Aufgaben des Betriebsrates gehört es unter anderem, darauf zu achten, dass in den Unternehmen menschenwürdige und wettbewerbsfähige Arbeitsbedingungen herrschen. Dazu zählt neben der Ergonomie auch eine optimale qualitative und quantitative Personalbemessung, die sicherstellt, dass die vorhandene Arbeit mit einer ausreichenden Anzahl entsprechend qualifizierter Mitarbeiter und einem angemessenen Leistungsgrad erledigt werden kann.

Die Personalbemessung wird komplexer

Aufgrund der teilweise unterschiedlichen und teils konkurrierenden Interessen von Industrial Engineering, Human Resources und dem Betriebsrat ist es entscheidend, die Personalbemessung korrekt und konfliktarm durchzuführen. Es gibt drei grundlegende Ansätze:

  • Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern
  • Analogien zu bestehenden Arbeitssystemen und deren Personalbemessung
  • Methodisch korrekte Personalbemessung, das heißt, eine systematische Ermittlung des Personalbedarfs

Verhandlungen werden oft von den Machtverhältnissen der Betriebsparteien bestimmt und stellen häufig nur die zweitbeste Lösung dar. Man erinnere sich an das häufig zitierte Extrembeispiel aus England in den 1980er Jahren, als die politisch verhandelte Personalbemessung zur Forderung nach einem „Heizer auf der E-Lok“ führte. Analogien zu bestehenden Arbeitssystemen sind bei ähnlichen Arbeitssystemen angemessen, versagen jedoch, wenn es um neue, innovative Arbeitssysteme geht, etwa in der Industrie 4.0. Wenn nicht nur die Bearbeitungszeit der Werkstücke und die Arbeitszeit der Mitarbeiter entkoppelt sind, sondern auch der Standort der Maschinen und der Arbeitsort der Mitarbeiter, wird die Personalbemessung besonders komplex. Optimal wäre eine methodisch korrekt ermittelte Personalbemessung, die sachlich fundiert und transparent ist. Dieser methodische Ansatz hätte eine befriedende Wirkung auf die Betriebsparteien und würde deren vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit fördern.

Ein Blick zurück

Von den Anfängen im 20. Jahrhundert bis zur Industrie 4.0 hat sich die Personalbemessung stetig gewandelt. Technische und organisatorische Innovationen veränderten die Arbeitswelt und stellten klassische Ansätze infrage. Heute erfordert die Trennung von Produktions- und Arbeitsort eine erneute Anpassung und Weiterentwicklung der Personalbemessung.

Die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts

Zu Beginn des letzten Jahrhunderts befasste sich das Industrial Engineering intensiv mit der Ermittlung der zur Ausführung einer Arbeit notwendigen Arbeitszeit. In diesem Kontext wurde der „Reichsausschuss für Arbeitszeitermittlung“ (REFA) außerhalb des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) gegründet. REFA widmete sich der präzisen Ermittlung der notwendigen Arbeitszeit, um die Produktion effizient zu planen sowie Mitarbeiter angemessen einzusetzen und zu entlohnen. Die Vorgabezeitermittlung (te) basierte auf einer Grundzeit (tg), ergänzt um sachliche (tvs) und persönliche (tvp) Verteilzeiten sowie gegebenenfalls eine Erholungszeit (ter). In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entsprach die so ermittelte Vorgabezeit zur Bearbeitung eines Werkstücks im Wesentlichen auch der notwendigen Arbeitszeit des Mitarbeiters.

Die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts

Die Arbeitswelt veränderte sich stetig durch technische und organisatorische Innovationen. Besonders erwähnenswert sind die Einführung von NC- und CNC-Maschinen, Werkstück- und Werkzeugspeichern sowie Handhabungsautomaten, die Werkstücke selbstständig bearbeiten. Diese technischen Fortschritte brachten auch organisatorische Veränderungen mit sich, wie etwa den Pausendurchlauf von Maschinen, die Mehrmaschinenbedienung, die Einführung von Gruppenarbeit mit Werker-Selbstkontrolle, Lean Production und Total Productive Maintenance (TPM). All diese Entwicklungen führten zu einer zunehmenden Entkoppelung der Bearbeitungszeit der Werkstücke von der Arbeitszeit der Mitarbeiter, wodurch die klassische Personalbemessung zunehmend infrage gestellt wurde.

Industrie 4.0 und die Trennung von Produktions- und Arbeitsort

Mit der Industrie 4.0, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, kam eine weitere organisatorische Innovation in die Arbeitswelt: Die Trennung von Produktionsort und Arbeitsort der Menschen. Fernwartung, Ferndiagnosen und Interventionen im Bedarfsfall stellten die Personalbemessung vor neue Herausforderungen. Oftmals wird die Flexibilisierung der Arbeitszeit diskutiert, ebenso wie die angeblich veralteten Arbeitszeitgesetze. Doch der wichtigere Schritt ist die korrekte Personalbemessung, gefolgt von der angemessenen Flexibilisierung der Arbeitszeit und gegebenenfalls der Überarbeitung der Arbeitszeitgesetze.

Methoden der Personalbemessung  

Die grundlegenden Methoden, um eine angemessene Personalbemessung zu erreichen, sind:

  • Ein methodisch transparenter Ansatz zur Ermittlung bzw. Berechnung der Personalbemessung
  • Die empirische Ermittlung der Personalbemessung durch Versuch und Irrtum
  • Die Bewertung einer zur Diskussion stehenden Personalbemessung anhand verschiedener anerkannter, transparenter Kriterien

In Zeiten, in denen die Bearbeitungszeit eines Werkstücks identisch mit der Arbeitszeit des Mitarbeiters war, bildete eine methodisch korrekte Ermittlung der Vorgabezeit – etwa durch REFA oder MTM – die Grundlage für die Personalbemessung. Dies ging so weit, dass bei einer methodisch korrekten Vorgabezeitermittlung im Akkordlohn die Verknüpfung von Leistung und Lohn nicht der Mitbestimmung des Betriebsrats unterlag, sondern lediglich der Kontrolle der korrekt angewandten Methoden.

Mit der zunehmenden Entkopplung von Arbeitszeit und Bearbeitungszeit wurden jedoch andere Methoden der Personalbemessung notwendig. Neben der Berechnung der Personalbemessung kam der Vergleich mit ähnlichen Arbeitsprozessen sowie internes und externes Benchmarking als Ergänzung hinzu. Auch das langsame Herantasten durch Versuch und Irrtum wurde praktiziert, indem man mit einer ausreichenden Anzahl von Mitarbeitern die Arbeitsprozesse startete und diese schrittweise, parallel zum Einpendeln der Prozesse und den KVP-Aktivitäten, reduzierte. Nicht selten führen diese Methoden zu Diskussionen oder gar Konflikten zwischen Management und Mitarbeitern bzw. Betriebsräten, die eine menschengerechte Arbeitsgestaltung und Personalbemessung sowie den zugrunde gelegten Leistungsgrad hinterfragen. Dabei spielen auch gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und der erwartete Leistungsgrad der Mitarbeiter eine Rolle.

In der Praxis zeigt sich oft ein Methodenmix, der teils vertraglich vereinbart ist und teils als allgemein akzeptierte Vorgehensweise im Unternehmen gilt, die zur Unternehmenskultur sowie zur vertrauensvollen und konstruktiven Zusammenarbeit der Betriebsparteien gehört. Die Methoden können je nach Fragestellung im Unternehmen differenziert eingesetzt werden. So können beispielsweise komplexe Montagetätigkeiten beim Bau von Flugzeugen mit methodisch ermittelten Vorgabezeiten nach REFA oder MTM durchgeführt werden, während die Bedienung von 12 Bearbeitungszentren zunächst durch sieben und später durch fünf Mitarbeiter pro Schicht auf der Methode „Versuch und Irrtum“ in Kombination mit KVP-Aktivitäten basiert. Eine regelmäßige Bewertung des Leistungsgrades und der Personalbemessung durch die Betriebsparteien begleitet diesen Prozess.

Fazit

100 Jahre nach der Gründung von REFA im Jahr 1924 gewinnt die Arbeitszeitermittlung, oder besser gesagt die komplexe Personalbemessung, wieder an Bedeutung. Angesichts des zunehmend knapper werdenden Faktors Arbeit ist die richtige Personalbemessung – nicht nur unter dem Aspekt der Personalkosten – ein entscheidender Wettbewerbsfaktor im Hochlohnland Deutschland. Der Aspekt der flexiblen, auf die betrieblichen Belange zugeschnittenen Arbeitszeitgestaltung ist der zweite Schritt, der auf der Personalbemessung aufbaut.

REFA, der von den Sozialpartnern getragene Verein, hat die Möglichkeit, neue Methoden der Personalbemessung zu entwickeln und damit die Standards für anerkannte Methoden in der Arbeits- und Personalwirtschaft in Deutschland zu setzen. Durch ein methodisch korrektes und transparentes Vorgehen können betriebliche Verhandlungen und daraus resultierende Konflikte zwischen Human Resources und Industrial Engineering auf der einen Seite und den Betriebsräten auf der anderen Seite minimiert oder sogar vermieden werden. Anerkannte Methoden können eine befriedende Wirkung entfalten.

Ockenfels, den 26.08.2024
Eckhard Eyer

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