Mitarbeiterführung in der Industrie 4.0


Verfasser: Eckhard Eyer, Perspektive Eyer Consulting, Ockenfels

Das Führen von Menschen ist so alt wie die Menschheit selbst und beginnt schon in der Familie. Die Führung hat eine personelle und eine strukturelle Komponente. Die personelle Komponente wird durch die Führungskraft wahrgenommen, die strukturelle z. B. durch Stellenbeschreibungen, Qualitätshandbücher und Standards, Ziele und Leistungskennzahlen. Das Verhältnis beider Komponenten zueinander, ihre Gewichtung, verändert sich mit den sich ändernden Arbeitsstrukturen.

Betrachtet man die Entwicklung in großen Zeitabläufen, so konnte der Meister im Mittelalter noch am gleichen Ort und in der gleichen Arbeitszeit (Tagschicht) mit seinen Mitarbeitern arbeiten; er war der fachlich versierteste und konnte aufgrund seiner Position und Fachkompetenz sowie seines Informationsvorsprungs relativ leicht führen. Mit den Veränderungen in den ersten drei industriellen Revolutionen - nicht zuletzt der Arbeitsteilung - weichte die Einheit von Arbeitsort und Arbeitszeit auf. In den immer größer werdenden Unternehmen war die Positionsmacht geliehen und der Meister bzw. die Führungskraft hatte nicht zwingend mehr Fachkompetenz als jeder von ihm geführte Mitarbeiter.

Die vierte industrielle Revolution verändert die Arbeit und Führung zusätzlich. Durch den Zugriff der Mitarbeiter auf Datenbanken und Handlungsanleitungen, Datenbrillen und den Erfahrungsaustausch mit Kollegen reduziert sich der Kontakt zur Führungskraft. Der Informationsvorsprung der Führungskraft schwindet. Neben der Arbeit in den Unternehmen nehmen mobile Arbeit und die Arbeit im Home-Office zu. Die Mitarbeiter sind gefordert - und in der Lage - selbstständiger zu handeln, der direkte Kontakt von Führungskraft und Mitarbeiter reduziert sich ebenso wie deren direkter Einblick in die Arbeit der Mitarbeiter.

Ein Führen auf Distanz ist angesagt. Es stellt sich die Frage, wie sich die Führungskräfte auf die neue Situation einstellen, wie sich die personelle Führung verändert und welche Auswirkungen bzw. Anforderungen das auf die strukturelle Führung haben kann. Inwieweit kann die strukturelle Führung die personelle Führung noch stärker unterstützen? Informationen über das Leistungsverhalten der Mitarbeiter, ihren Arbeitsort, ihre Arbeitsweise und vor allem ihre Arbeitsergebnisse können aufgrund von in der Industrie 4.0 anfallenden Daten zeitnah gewonnen werden. Telefonate, Videokonferenzen und Teambesprechungen per Skype erleichtern - auch über größere Entfernungen hinweg - die Führungsarbeit.

Ein weiteres mit der mobilen Arbeit und dem Home-Office einhergehendes Problem ergibt sich - in Abhängigkeit der Arbeitsanteile der Mitarbeiter im Unternehmen und im Home-Office – bezüglich der Integration der Mitarbeiter in das Unternehmen, in ihre Teams und ihrer Identifikation mit dem Unternehmen.

Das Phänomen Führen auf Distanz ist nicht neu, hat aber - insbesondere in produzierenden Unternehmen bezüglich der Anzahl der betroffenen Mitarbeiter - eine eher untergeordnete Rolle. Als Beispiele für Führen auf Distanz kann man bereits heute Vertriebsmitarbeiter, Servicemitarbeiter im Werkskundendienst und Monteure nennen. Die Praxis zeigt, dass diese Mitarbeitergruppen durch ein ausgefeiltes Controlling - strukturelle Führung - begleitet werden und Leistungskennzahlen - die den Führungskräften zur Verfügung gestellt werden - eine besonders große Rolle spielen. Nicht selten werden die Leistungskennzahlen auch mit einem Leistungsentgelt verknüpft. So erhalten Vertriebsmitarbeiter z. B. Provisionen aufgrund von Leistungskennzahlen, wie der Anzahl der Vertragsabschlüsse oder des Umsatzes. Die Leistung von Servicemitarbeitern wird z. B. aufgrund von Kundenbefragungen und Audits durch Testkunden erfasst. Ein Servicelevel wird definiert und die Erreichung der vereinbarten Ziele regelmäßig überprüft. Die Bedeutung der Verhaltensbeurteilung - konkret Leistungsbeurteilung - tritt zurück und wird so durch Elemente der strukturellen Führung ganz oder teilweise kompensiert.

Hinsichtlich der Integration in das und der Identifikation mit dem Unternehmen kann man von den Bereichen, in denen schon heute auf Distanz geführt wird, einiges lernen. Hier haben Verkäufer-Tagungen und Schulungen der Servicemitarbeiter einen hohen Stellenwert. Diese Veranstaltungen sind nicht nur Arbeitstreffen, sondern bieten auch Raum für Begegnung und Erfahrungsaustausch mit Kollegen und Führungskräften und festigen die Identifikation mit dem und Bindung an das Unternehmen.

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