Verfasser: Eckhard Eyer, Perspektive Eyer Consulting, Ockenfels
In Fachartikeln und auf Kongressen der Gesundheitswirtschaft liest und hört man immer häufiger, dass die Schnittstellen zwischen den Abteilungen zu Nahtstellen werden sollen und die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten – vor allem hierarchieübergreifend - verbessert werden muss. Mich erinnert das an meine Erfahrungen vor rund 30 Jahren in der deutschen Automobil- und -zuliefererindustrie. 1989 stellte sich dort die Frage ob die deutsche Automobilindustrie noch zukunftsfähig ist oder von der japanischen Autoindustrie überrollt wird, so wie es zu diesem Zeitpunkt bereits bei der „braunen Ware“ (Hifi von Yamaha, Sony, Panasonic, ...) geschehen war.
Kosten sparen um jeden Preis
In Deutschland war es in der Automobilindustrie – und nicht nur dort – üblich, die Arbeit immer den Mitarbeitern zuzuordnen, die die Arbeit ausführen konnten und dabei am wenigsten verdienen. Die Kosten sollten minimiert werden! In aufwendigen Analysen wurden die Arbeitsprozesse zerhackt und die Teilaufgaben so zu Arbeitsaufgaben gebündelt, dass sie jeweils von den preiswertesten Mitarbeitern ausgeführt werden konnten. Als die japanische Automobilindustrie hinsichtlich der Kosten günstiger und hinsichtlich der Qualität besser wurde suchte man in Deutschland unter dem Wettbewerbsdruck nach dem Geheimnis der Japaner.
Japanisches Menschenbild und Organisationsprinzipien
In der japanischen Kultur hat das Zusammenleben und –arbeiten in der Gruppe einen hohen Stellenwert. Das „kleine Ich“ ist in Japan der Mensch, das Individuum und das „große Ich“ die Gruppe, das gilt auch im Unternehmen.
Der wesentliche Erfolgsfaktor der japanischen Automobilindustrie war die prozessbezogene Gruppenarbeit. Mitarbeiter mit unterschiedlichen Qualifikationen arbeiteten arbeitsplatzübergreifend und schichtübergreifend zusammen. Nicht der einzelne Arbeitsplatz, sondern die Arbeitsprozesse, die hierarchieübergreifenden Arbeitsgruppen zugeordnet waren, wurden optimiert. Der Blick nach Japan hat sich für unsere Wirtschaft gelohnt: Produktivitätssprünge von 20 bis 30 % in den ersten beiden Jahren wurden in der deutschen Automobilindustrie realisiert und eine Halbierung der Herstellkosten nach zwei Jahren war nicht selten die Folge. In der Praxis führte die Einführung der Gruppenarbeit zu einer Erhöhung der Personalkosten pro Mitarbeiter von ca. einer Entgeltgruppe und einer Reduktion der Lohnstückkosten von ca. 30 bis 40 %. Je mehr die deutsche Automobilindustrie – aber auch andere Branchen der Metall- und Elektroindustrie – das japanische Produktionsprinzip verstanden, desto umfangreicher führten sie die schlanke Produktion – Lean Production – und das Toyota-Produktionssystem ein.
Not macht erfinderisch
Die Abkehr von der jahrzehntelang erfolgreichen deutschen, ja westeuropäischen und amerikanischen Produktionsweise sicherte der deutschen Automobilindustrie das wirtschaftliche Überleben und den heutigen Status. Statt die Arbeitsteilung weiter auszubauen und am falschen Ende Kosten zu sparen, wurde die ganzheitliche Arbeitsorganisation, die mit tradierten Rollen brach, erfolgreich. Das gemeinsame Ziel und die Optimierung der Arbeitsprozesse sowie die Verbesserung der Arbeitsqualität dominierte die althergebrachten Rollen von Arbeitern (überwiegend Handarbeit), Angestellten (überwiegend Kopfarbeit) und Führungskräften. Hierarchieebenen wurden abgebaut, nicht wertschöpfende Arbeiten reduziert und den Mitarbeitern hierarchieübergreifend die Verantwortung für die Qualität ihrer Arbeit und das Arbeitsergebnis übertragen. Sie wurden dafür entsprechend fachlich und sozial qualifiziert und auch dadurch motiviert.
Parallelen drängen sich auf
In Zeiten von zunehmender Arbeitsteilung und Outsourcing stellt sich auch in der Gesundheitswirtschaft die Frage, wie zukünftig die Arbeitsprozesse organisiert werden und wie die Arbeit in der Pflege gestaltet wird. Wo liegt das Optimum zwischen der eigenen Stammbelegschaft und dem Outsourcing, zwischen Einzelarbeit und motivierender Teamarbeit? Welchen Wert haben hierarchieübergreifende Teams, die gemeinsam Verantwortung für Patienten und Bewohner übernehmen?
Diese Fragen gewinnen an Brisanz, da die Pflegefachkräfte immer häufiger die „Übersetzer“ für Ärzte mit mangelnden Deutschkenntnissen bzw. Deutsch als Fremdsprache sind. Die Erfahrungen aus mehreren Organisationsprojekten in Krankenhäusern zeigen, dass ein gutes Team den Erfolg sichert. Manche Autoren sprechen von der „Peergroup im Krankenhaus“. Bei Teams mit einem relativ geringen Anteil von Mitarbeitern aus der Stammbelegschaft zeigt sich nicht selten, dass einzelne Mitarbeiter „ausbrennen“, aus Selbstschutz innerlich kündigen und Dienst nach Vorschrift machen.
Veränderungsprozesse in der Gesundheitsbranche sind beschwerlich – insbesondere, wenn sie gegen den Mainstream gerichtet sind. Wenn aber aus Schnittstellen Nahtstellen werden müssen, um die Versorgung der Patienten zu verbessern, Pflegeberufe attraktiver zu machen und die Situation – auch am Arbeitsmarkt – zu verbessern, dann ist hierarchieübergreifende Teamarbeit angesagt. Erfahrungsgemäß dominieren zunächst die Menschen die Diskussion, die vermeintlich von den tradierten Rollen profitieren. Aber sie werden einer erfolgreichen Prozessorganisation und einem optimierten Wertstromdesign im Krankenhaus auf Dauer nicht im Wege stehen.