Zu Zeiten des Lockdowns war das Arbeiten unter Corona-Bedingungen weitestgehend ein Provisorium, doch zunehmend entwickelt es sich zum Normal-Zustand. Aber resultieren hieraus auch neue Anforderungen an Führung?
Die Corona-Pandemie bremste in kurzer Zeit große Teile der Wirtschaft aus, andere puschte sie. Branchenübergreifend brachte sie jedoch die gewohnte Arbeitswelt durcheinander. Zuvor kaum denkbare Szenarien, wie dass große Teile der Belegschaft im Home-Office arbeiten, sind inzwischen Alltag in vielen Unternehmen.
Andere sind von Kurzarbeit betroffen und nicht wenige müssen ihr Geschäftsmodell überdenken.
Das bringt viele neue Herausforderungen für Führungskräfte mit sich, könnte man meinen. Doch ist das wirklich so? Hierzu sieben Thesen:
These 1: Aufgrund der Corona-Krise wurden viele bereits bestehende bzw. schwelende Probleme und Konflikte offensichtlich. Das heißt, die Pandemie war nicht ihre Ursache. Sie wirkte nur wie ein Brennglas, das die Defizite oder Versäumnisse stärker sichtbar machte bzw. wie ein Brandbeschleuniger.
These 2: Die meisten Herausforderungen, vor denen Führungskräfte heute stehen, bestanden schon vor der Pandemie, nur stellten sich die Führungskräfte ihnen oft nicht. Und dies aus den unterschiedlichsten Gründen: Sei es, weil sie an ihrer Belastungsgrenze arbeiteten, weil sie die nötige Unterstützung von oben nicht erhielten oder weil dies erfordert hätte, liebgewonnene Routinen über Bord zu werfen und mit den Mitarbeitern in einen die Innovation fördernden Konflikt zu gehen.
These 3: So manche Veränderung wäre auch schon vor der Krise sinnvoll und nötig gewesen. So zum Beispiel das Weiterentwickeln des eigenen Führungsstils aufgrund der veränderten Rahmenbedingungen in der VUKA-Welt. Oder das Digitalisieren eines Teils der Serviceleistungen. Oder ein Überdenken der Personalentwicklungs- und -einsatzkonzepte – auch aufgrund des seit Jahren bestehenden Fachkräftemangels.
These 4: Die Versäumnisse waren möglich, weil manche Unternehmen bzw. ihre Führungskräfte sich das Nicht-lösen von Problemen durch anderweitigen Mehraufwand leisten konnten. Zum Beispiel, weil die Auftragsbücher und Kassen trotz des Wandels der Marktstrukturen und Kundenbedürfnisse (noch) voll waren und bei den Ressourcen nicht gespart werden musste. Oder weil es in ihrer Marktnische kaum ernstzunehmende Mitbewerber gab.
These 5: Die Unternehmen, die sich schon vor Corona den Herausforderungen und zukunftsrelevanten Themen stellten, stehen aktuell besser da. Sie können schneller auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren – auch weil ihre Mannschaft „top-down“ den Mindset „Leben heißt sich verändern“, verinnerlicht und schon sogenannte „Master-expierences“ darin gesammelt hat, wie man neue, komplexe Herausforderungen angeht und meistert.
These 6: Der beste Zeitpunkt, um nötige Veränderungen zu starten, ist JETZT. Auch weil man aktuell den Mitarbeitern leicht vermitteln kann: „Es muss sich etwas ändern, weil….“ Dabei gilt es jedoch zu überlegen und zu entscheiden: Greife ich (wieder) recht undifferenziert so scheinbar einfache Heilsversprechen wie die „agile Transformation“ auf oder suche ich meinen eigenen individuellen Weg … und nehme ich es künftig in Kauf, beim Waschen auch nass zu werden?
These 7: Sich beim Waschen nass zu machen, sorgt in der Regel für mehr Sauberkeit. Das gilt auch für den Bereich Führung. Führungskräfte, die regelmäßig ihr Denken und Handeln reflektieren und überprüfen, ob ihr Führungsstil den künftigen Rahmenbedingungen und Anforderungen entspricht, entwickeln sich auch als Führungspersönlichkeiten weiter. Außerdem sind sie für ihre Mitarbeiter echte und glaubhafte Vorbilder, da sie sich – für diese erkennbar – auch als Lernende begreifen.
Klaus Doll
Zum Autor: Klaus Doll ist Inhaber der Klaus Doll Organisationsberatung, Neustadt an der Weinstraße. Der Führungskräftetrainer und -coach berät Unternehmen und deren Führungskräfte in Umbruchsituationen. www.doll-beratung.de