• Startseite
  • Kolumne
  • „Good Pay“ – betriebliche Vergütungssysteme statt standardisierter Regelungen

„Good Pay“ – betriebliche Vergütungssysteme statt standardisierter Regelungen


„Good Pay“ – betriebliche Vergütungssysteme statt standardisierter Regelungen

Vergütungssysteme sollen einerseits auf den Wertvorstellungen des Unternehmens beruhen und andererseits auf dem Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sein. Wie schafft man den Spagat? Über diese Thematik sprach REFA mit dem Vergütungsberater und Wirtschaftsmediator Eckhard Eyer.

Herr Eyer, Sie haben den Begriff „Good Pay“ geprägt, was ist darunter zu verstehen?

Eckhard Eyer: „Good Pay“ steht für eine Bezahlung der Mitarbeiter, die zum einen auf gerechten Vergütungssystemen beruht und zum anderen darauf, dass sie fair angewandt werden. Hinzu kommt die lebensphasenabhängige Entscheidung über die Arbeitszeit und die Form der Auszahlung des Entgeltes.

Sind Vergütungssysteme nicht immer gerecht?

Eckhard Eyer: Vergütungssysteme werden üblicherweise von Arbeitgebern und Arbeitnehmern bzw. ihren Vertretern gestaltet. Dadurch ist ein gerechtes Vergütungssystem aufgrund der Balance der Interessen grundsätzlich gewährleistet. Sie müssen dabei das magische Dreieck der Vergütung berücksichtigen: Da wäre zum einen die Wertschöpfung je Arbeitsstunde. Diese muss ausreichend hoch sein, um das Entgelt zu finanzieren. Des Weiteren muss das Entgelt am Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig sein, damit man Mitarbeiter gewinnen kann. Und der dritte Punkt ist der Gestaltungsspielraum, den ein Unternehmen hat. Dieser Gestaltungsspielraum kann aufgrund der Unternehmenskultur und der Interessen der Mitarbeiter gefüllt werden. Hier geht es darum, die verschiedenen Gerechtigkeitsvorstellungen zu analysieren, zu bewerten und dann das betriebliche Vergütungssystem zu gestalten.

Schweizer Studien haben ergeben, dass Mitarbeiter die Anwendung von Vergütungssystemen signifikant stärker kritisieren als das Vergütungssystem selbst. Daraus kann man schließen, dass die Vergütungssysteme grundsätzlich gerecht sind, aber bei der Anwendung Defizite auftreten.

Was heißt das konkret?  

Eckhard Eyer: Der Mensch lebt vom Vergleich und beurteilt danach, ob etwas gerecht bzw. fair ist. Bei der Vergütung orientieren sich die Mitarbeiter zum einen an der Bezahlung der vergleichbaren Arbeitsaufgaben in anderen Unternehmen und vergleichen zum anderen innerhalb des Unternehmens die Vergütung der jeweiligen Arbeit. In der Gerechtigkeitsforschung unterscheiden wir zwischen der distributiven, der prozessoralen und der interaktionalen Gerechtigkeit. In den Alltag übersetzt heißt das:

  • Ist das Vergütungssystem gerecht?
  • Wird das Vergütungssystem fair angewandt?
  • Wird mit den Mitarbeitern offen und fair kommuniziert? 

Wie kann man die erlebte Fairness der Mitarbeiter steigern?

Eckhard Eyer: Der erste Schritt ist Transparenz des Vergütungssystems für alle Mitarbeiter und Führungskräfte. Der zweite Schritt ist die Schulung der betreffenden Verantwortlichen in den Personalabteilungen und der Führungskräfte. Hierbei geht es um die korrekte Kenntnis und Anwendung des Entgeltssystems, die „Eichung“ der Führungskräfte bezüglich des „normalen Leistungsniveaus“ sowie die gute und faire Führung des Mitarbeitergesprächs, z. B. des Leistungsbeurteilungsgesprächs. Hinzu kommt der Kontext, das Setting der Umsetzung.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?

Eckhard Eyer: Nehmen wir das Setting bei der Leistungsbeurteilung, die in diesem Zusammenhang gerne angeführt wird. Hier gibt es verschiedene Stufen der Beteiligung der Mitarbeiter, der Demokratisierung der Vergütung.

  • Stufe 1: Die Personalabteilung informiert schriftlich über das Ergebnis der Leistungsbeurteilung, die durch die Führungskraft erfolgte.
  • Stufe 2: Führungskraft und Mitarbeiter führen ein Leistungsbeurteilungsgespräch.
  • Stufe 3: Fremdbeurteilung der Leistung durch die Führungskraft und Selbstbeurteilung durch den Mitarbeiter.
  • Stufe 4: Beurteilung der Mitarbeiterleistung durch das Team.
  • Stufe 5: Beurteilung der Mitarbeiterleistung durch das Team, Kunden und Lieferanten.

Die Beteiligung sorgt hier für Transparenz und sie soll die Akzeptanz der Ergebnisse der Leistungsbewertung durch die Mitarbeiter erhöhen. Das Ziel ist anspruchsvoll.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der stärkeren Beteiligung der Mitarbeiter?

Eckhard Eyer: Es kommt wie so oft auf die Rahmenbedingungen an. Stufe 1 ist administrativ einfach, aber für die Mitarbeiter regelmäßig frustrierend. Das Feedback durch die Führungskraft fehlt, das ist bei Stufe 2 gegeben und deshalb zu bevorzugen. Die Fremd- und Selbstbewertung bedeutet, dass ein Mitarbeiter sich nicht seine Beurteilung „abholt“, sondern ein Gespräch auf Augenhöhe mit der Führungskraft führt.   

Eine Selbstbewertung, wenn es um das eigene Geld geht, funktioniert das in der Praxis?

Eckhard Eyer: In Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie sowie der Textilindustrie habe ich 1999 und 2000 die Leistungsbeurteilung mit Fremd- und Selbstbewertung eingeführt und evaluiert. Das Ergebnis war verblüffend gut. Die Mitarbeiter haben sehr realistische Vorstellungen von ihrer eigenen Leistung – auch im Vergleich zu den Kollegen – und das, obwohl es um die Höhe ihres eigenen Leistungsentgelts ging. In der Sozialwirtschaft, in Altenpflegeheimen der Caritas, in Werkstätten für behinderte Menschen und in Einrichtungen der Jugendhilfe habe ich fast ausschließlich die systematische Leistungsbewertung mit Fremd- und Selbstbewertung eingeführt. Sie passt gut zur Unternehmenskultur der Branche und hat sich seit über einem Jahrzehnt bewährt.

Haben Sie auch Erfahrungen mit der Teambewertung?

Eckhard Eyer: Die Teambewertung kenne ich aus dem Unternehmen Boge in Simmern. Wir haben sie dort in der Hochzeit der Gruppenarbeit Anfang der 1990er-Jahre eingeführt. Obwohl sie sich bewährt hat, wurde diese Bewertungsart weder bei Boge in anderen Werken noch in anderen Unternehmen im großen Stil eingeführt. Die Teambewertung stellt hohe Anforderungen an die Reflektions- und Kritikfähigkeit der Mitarbeiter. Diese Anforderungen werden selten ausreichend erfüllt, vor allem scheut man sich vor Konflikten innerhalb des Teams.

Heißt das, dass Sie sich gegen die Teambewertung aussprechen?

Eckhard Eyer: Nein, das kann man so nicht sagen. Es kommt auf die Menschen, ihre Sozialisation und die Rollen, die sie wahrnehmen an. Bei Startups, bei denen Mitarbeiter nicht selten auch Gesellschafter sind und im Stuhlkreis die Teamführung praktizieren, passt die Teambewertung grundsätzlich gut. In diesen Unternehmen werden – so meine Erfahrung – die Teambewertungen nach anfänglicher Euphorie seltener angewandt, weil sie sehr zeitraubend und nicht immer konfliktfrei sind. 360-Grad-Bewertungen sind in der Umsetzung ähnlich anspruchsvoll wie Teambewertungen.  

Was macht „Good Pay“ noch aus?

Eckhard Eyer: „Good Pay“ berücksichtigt auch die Auszahlung der Entgelte. Hier gibt es verschiedene Möglichkeiten, um steuer- und sozialversicherungsrechtliche Vergünstigungen und die Nachfragemacht des Arbeitgebers zu nutzen, damit „mehr Netto vom Brutto“ bei den Mitarbeitern ankommt. Oder aber auch die Möglichkeit besteht, „Zeit statt Geld“ als „Währung“ zu wählen.

Wie würden Sie „Good Pay“ auf den Punkt bringen?                                                                                                      

Eckhard Eyer: „Good Pay“: gemeinsam erarbeiten – gerecht gestalten – fair umsetzen. 

Herr Eyer, vielen Dank für das Interview.

Ockenfels, den 21.10.2020

www.eyer.de

Die Gleichbehandlung aller Geschlechter ist uns wichtig und gehört zu unseren gelebten Kernwerten. In Texten verzichten wir auf sprachliches Gendern,
um ein einheitliches und unkompliziertes Lesen zu gewährleisten. Selbstverständlich sprechen wir alle Geschlechter an.