Die Bedeutung des Begriffs „Aufwandsschätzung“ scheint auf den ersten Blick eindeutig: Der Mitteleinsatz zur Durchführung eines Vorhabens wird grob überschlagen.
Diese intuitive Erklärung klingt plausibel und ist eine gute Grundlage für die nähere Definition. Diese ist je nach Anwendungsgebiet und Perspektive unterschiedlich.
Verwendet wird der Begriff „Aufwandsschätzung“ in drei unterschiedlichen Bedeutungen:
- als Schritt im Projektmanagement, in dem eine Voraussage über den zu erwartenden Einsatz von Ressourcen bis zum Erreichen des gewünschten Ergebnisses gemacht wird;
- als Kalkulationsmethode, um den zur Zielerreichung erforderlichen Ressourceneinsatz grob zu kalkulieren;
- als Ergebnis einer überschlägigen Berechnung des zum Erreichen eines Soll-Zustands notwendigen Einsatzes an Sachmitteln, Personal, Zeit und Finanzen.
Eine Aufwandsschätzung wird üblicherweise für jedes Projekt durchgeführt, um einen Anhaltspunkt für die Größenordnung der einzusetzenden Mittel zu bekommen. Sie ist also im klassischen Projektmanagement und bei Software-Projekten, aber auch im agilen Projektmanagement als Schritt fest verankert.
Da der Begriff „Aufwandsschätzung“ in unterschiedlichen Zusammenhängen benutzt wird, sollten sich die einbezogenen Parteien – zum Beispiel Auftraggeber und Auftragnehmer als Projektbeteiligte – auf eine Bedeutung festlegen. Idealerweise sollte die Aufwandsschätzung nur als Schritt im Projektablauf, nämlich als Prozess der Prognoseerstellung definiert werden. Die Methoden, die zu einem Schätzwert führen, sind dagegen mit „Schätzverfahren“ oder „Schätzmethode“ zu bezeichnen. Das Ergebnis der Aufwandsschätzung ist dann der „Schätzwert“ oder der „geschätzte Aufwand“. Diese eindeutige Zuordnung erleichtert die Kommunikation, da sich so Missverständnisse und Unsicherheiten vermeiden lassen.
Die drei Dimensionen der Aufwandsschätzung
Ziel der Aufwandsschätzung ist letztendlich die Prognose der bei einem Vorhaben anfallenden Kosten. Diese finanziellen Belastungen können prinzipiell drei Bereichen oder Dimensionen zugeordnet werden. Es handelt sich um:
- die Dauer des geplanten Vorhabens bzw. die Projektlaufzeit als zeitlicher Aufwand.
- den personellen Aufwand. Maßgeblich sind hier die Personalkosten; hinzugerechnet werden können aber auch anteilig Allgemeinkosten, die beispielsweise bei administrativen Vorgängen anfallen (etwa bei der Personaleinsatzplanung oder bei Arbeiten in der Lohnbuchhaltung).
- den Sachaufwand. Dieser umfasst einerseits die Kosten für extern zu beziehende Leistungen, andererseits den Geldwert der einzusetzenden internen Ressourcen. Zu Ersteren zählen die Beschaffung und der Einkauf von Materialien, Geräten und Werkzeugen sowie an Fremdfirmen vergebene Dienstleistungsaufträge wie Service-, Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten. Zu Letzteren gehören neben dem Einsatz von Geräten, Maschinen und Anlagen sowie dem Verbrauch an Material und Energie insbesondere auch die eigenen Finanzmittel, also die Kosten der Finanzierung des Projekts.
Eine Normierung dieser Zuordnung der anfallenden Kosten hat allerdings noch nicht stattgefunden. National und international werden diese Dimensionen, je nach zugrunde gelegter Norm oder verwendetem Standard, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt:
- In Deutschland maßgebend ist die DIN 69901, „Projektmanagement – Projektmanagementsysteme“. Sie subsumiert in ihrem Teil 5, „Begriffe“, unter dem Begriff „Aufwandsschätzung“ alle Voraussagen über Kosten sowie über den Bedarf an Ressourcen und Zeit für Vorgänge, Arbeitspakete oder Projekte.
- In den USA gilt der PMBOK® Guide „Project Management Body of Knowledge“ als Standard. Herausgeber ist das Project Management Institute (PMI®), das vom American National Standards Institute (ANSI) als „Standards Development Organization“ eingestuft wird. Aktuell ist die Version ANSI/PMI 99-001-2021. Hier werden die Prozesse „Estimate Costs“, „Estimate Activity Resources“ und „Estimate Activity Durations“ – geschätzte Kosten, Ressourcen und Dauer – im Gegensatz zur DIN-Norm separat betrachtet.
- Die Deutsche Gesellschaft für Projektmanagement e. V. (GPM) definiert die Aufwandsschätzung unter dem Stichwort „Kompetenzbasiertes Projektmanagement (PM3)“ dagegen als „Prognostizierung der für die Durchführung eines Projekts erforderlichen Einsatzmittel … und Geldmittel“. Der Faktor Zeit fällt bei diesem Ansatz also aus der Prognose heraus.
Die Ansätze zur Standardisierung der Aufwandsschätzung sowohl in Deutschland als auch international sind damit nicht direkt miteinander vergleichbar. Eine allgemein anerkannte Normierung ist weiterhin nicht in Sicht.
Bedeutung der Aufwandsschätzung
Bei der Aufwandsschätzung handelt es sich um eine Grobkalkulation, in der die voraussichtlichen Kosten eines Projekts über seine Laufzeit überschlägig berechnet werden. Sie wird durchgeführt, um die für die Zielerreichung notwendigen Mittel möglichst realistisch abschätzen zu können. Dies ist die Voraussetzung für die Planung des Einsatzes von Personal und Ressourcen und die Ermittlung des Zeitbedarfs. Auf dieser Basis lassen sich dann Meilensteine inhaltlich definieren und zeitlich verorten.
Da es sich bei Projekten per Definition nach DIN 69901 um Vorhaben handelt, die durch „die Einmaligkeit der Bedingungen in ihrer Gesamtheit gekennzeichnet“ sind, muss für jedes Projekt eine individuelle Aufwandsschätzung durchgeführt werden. Aufgrund der Einmaligkeit von Projekten lassen sich die Ergebnisse von derartigen Schätzungen auch nur bedingt vergleichen.
Basis für eine Aufwandsschätzung sollte immer der vom Projekteigner vorgelegte Anforderungskatalog sein. Bei diesem „Project Owner“ kann es sich um den internen Initiator des Projekts oder um einen externen Auftraggeber handeln. Die Aufwandsschätzung muss vor Beginn des Projekts durchgeführt werden:
- Bei selbst initiierten Projekten beruht auf ihr die Beurteilung, ob das Vorhaben ökonomisch sinnvoll und realisierbar ist. Führt eine Kosten-Nutzen-Analyse zu dem Ergebnis, dass das Projekt einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Organisation leistet, folgt die Budgetierung der einzelnen Posten.
- Bei Auftragsarbeiten dient sie der Erstellung eines Kostenvoranschlags und ist damit Basis für ein Angebot. Bei einem iterativen Vorgehen im Rahmen einer mehrstufigen Aufwandsschätzung ist das Ergebnis eine konkrete Kalkulation, auf die sich das Angebot stützen kann.
Während der Dauer des Projekts wird die Aufwandsschätzung sinnvollerweise nachgeführt und anhand der tatsächlichen Zahlen oder zumindest wahrscheinlicher werdenden Angaben aktualisiert. Dies bietet eine gewisse Planungssicherheit, da die tatsächlichen Gegebenheiten im Projektverlauf erfahrungsgemäß nicht mit den getroffenen Annahmen übereinstimmen. Zudem ergeben sich oft auch Änderungen sowohl gegenüber den ursprünglich gestellten Anforderungen als auch bei den Rahmenbedingungen. Die nachgeführte Aufwandsschätzung kann als Mittel des Controllings genutzt werden, um Abweichungen vom Plan zu erkennen und Maßnahmen zur Projektsteuerung einzuleiten.
Vorgehensweise: top-down oder bottom-up?
Wichtig für eine Aufwandsschätzung ist die Erfahrung aus früheren Projekten, um alle Einflussfaktoren zu erkennen und realistisch beurteilen zu können – unabhängig vom Ansatz top-down oder bottom-up. Das erworbene implizite Wissen kann dazu genutzt werden, Vergleiche zu anderen Projekten zu ziehen und bessere Annahmen zu treffen. Um diese Erkenntnisse von der Person unabhängig und für Dritte verfügbar zu machen, sollte jede Organisation ein Wissensmanagement aufbauen. Damit wird es möglich, in Folgeprojekten auf diese wertvollen Hinweise zurückzugreifen. Das Wissen ist dazu so aufzubereiten, dass es in expliziter – ohne Interaktion mit Personen nutzbarer – Form zur Verfügung gestellt wird, also zum Beispiel als Ausdruck, Datei oder Algorithmus.
Beim Top-down-Ansatz gibt der Project Owner ein Limit für den Aufwand vor. Bei internen Projekten stellt der Initiator ein auf einen bestimmten Gesamtbetrag gedeckeltes Budget auf. Handelt es sich um einen externen Auftraggeber, legt dieser einen Kostenrahmen fest, der nicht überschritten werden darf. Die einzelnen geschätzten Aufwände sind dann so aufeinander abzustimmen, dass sie in Summe dieses Limit nicht überschreiten. Zu eng gefasste Vorgaben können aber dazu führen, dass entweder die Aufwandsschätzung die realen Bedingungen nicht hinreichend berücksichtigt oder beim Projekt Abstriche in der Qualität der Durchführung erkennbar werden. Trotz dieser Problematik kann eine Top-down-Abschätzung sinnvoll sein – etwa, wenn ein Auftragnehmer so seine Konkurrenz ausstechen, seine Marktposition verbessern oder die Bindung eines Bestandskunden stärken kann. Überlebenswichtig wird eine solche Abschätzung top-down, wenn sie zu einem Auftrag führt, der die Auslastung des Unternehmens als Projektnehmer gewährleistet und damit dessen wirtschaftlichen Bestand sichert.
Der Bottom-up-Ansatz liefert höhere Präzision, ist aber mit einem deutlichen Mehraufwand verbunden. Denn hier werden die in der eigenen Organisation am Projekt Beteiligten eingebunden: Sie haben eine Detailplanung der Arbeiten vorzunehmen, die sie selbst ausführen, und den jeweiligen Aufwand abzuschätzen. Zudem müssen sie klären, welche Ressourcen benötigt werden, um die einzelnen Arbeitspakete oder Teilprojekte abzuschließen oder Meilensteine zu erreichen, und welche Zeitdauer dafür einzuplanen ist. Da diese Komplexität nur noch in kleinen Projekten von den beteiligten Personen bewältigt werden kann, sollte bei mittleren und größeren Projekten grundsätzlich auf eine Projektmanagementsoftware zurückgegriffen werden, um die Zusammenhänge realistisch abzubilden und zu bewerten. Trotz der (möglichst) präzisen Angaben der Beteiligten ist das Ergebnis der Aufwandsschätzung auch beim Bottom-up-Ansatz immer eine mit Unsicherheiten behaftetet Prognose. Vorbeugend können Reserven wie beispielsweise Zeitpuffer eingeplant oder Hemmnisse wie Lieferverzögerungen, Preissteigerungen oder Personalengpässe berücksichtigt werden. Als „geschätzter Aufwand“ sollte dann nicht nur der wahrscheinlichste Wert aufgeführt werden. Ein realistisches Bild ergibt sich erst mit der Angabe der oberen und der unteren Grenze (best/most likely/worst case).
Methoden – ein Überblick
Eine Aufwandsschätzung hat den Ressourceneinsatz möglichst realistisch, detailliert und objektiv abzubilden und ein konkretes, nachvollziehbares Ergebnis zu liefern. Um diese Transparenz für alle Projektbeteiligten zu gewährleisten, müssen die zur Schätzung eingesetzten Methoden anerkannt und etabliert sein. Zur besseren Vergleichbarkeit sollten Aufwandsschätzungen zudem ein bestimmtes, wiederkehrendes Grundmuster aufweisen, also stabil sein. Gleichzeitig müssen sie flexibel an die jeweiligen projektspezifischen Umstände angepasst werden können. Um das Vorgehen zu erleichtern, ist auf die Benutzerfreundlichkeit der Verfahren zu achten, also auf die einfache Anwendung.
Mehrere klassische Methoden der Aufwandsschätzung sind bereits normiert. Sie werden in DIN 69901 in Teil 3, „Methoden“ als Schätzverfahren aufgeführt. Dazu gehören:
- die Expertenschätzung bzw. -befragung.
- die anonyme, auch mehrstufige Expertenbefragung (Delphi-Methode).
- die Dreipunkt-Methode, auch Drei-Zeiten-Schätzung genannt.
- die Schätzklausur. Bei dieser kommen Experten in einem Raum zusammen und bewerten, ausgehend vom Gesamtprojekt, einzelne Arbeitspakete oder Teilprojekte. Die individuellen Schätzergebnisse werden anschließend zusammengeführt.
- der Projektvergleich. Dieser kann nach zwei Methoden erfolgen: Bei der Analogiemethode erfolgt ein Vergleich mit ähnlichen abgeschlossenen Projekten. Bei der Relationsmethode werden zusätzlich auch unternehmensspezifische Faktoren bewertet.
Auf welche Schätzmethode zurückgegriffen wird, hängt vom Projekt ab und in welcher Phase es sich befindet. Aufwendigere Verfahren wie Schätzklausuren oder die Delphi-Methode sind vorzugsweise bei größeren Projekten anzuwenden.
Die Aufwandsschätzung für ein Projekt wird erschwert, wenn die Anforderungen nicht klar definiert sind oder sich während des Projektverlaufs ändern. Um das Projekt dann iterativ an die „User Story“ des Project Owners oder des Auftraggebers anzupassen, kommen kundenorientierte Ansätze wie Lean, Kanban, Scrum oder Design Thinking infrage. Auch bei der Aufwandsschätzung werden dann agile Methoden eingesetzt. Sie beruhen nicht auf durch verlässliche Schätzungen ermittelten konkreten Zahlen, sondern auf „relativen“ Schätzungen in Form von Vergleichen – wenn sie denn durchgeführt und nicht als „Wombat“ (= Waste of money, budget and time) abgetan werden. Das Ergebnis dieser Schätzung wird ausdrücklich nicht als bindend oder verpflichtend angesehen – im Gegensatz etwa zu den Sprint-Zielen bei Scrum.
Zwei dieser Schätzmethoden haben sich etabliert, die „T-Shirt-Methode“ und das „Planing Poker“. Bei beiden Methoden wird das gesamte Projektteam beteiligt.
- Bei der T-Shirt-Methode werden qualitative Aussagen und Wertebereiche durch eine Rangskalierung auf einer Ordinalskala operationalisiert. Dies erfolgt analog der T-Shirt-Kleidergröße in den Abstufungen XS, S, M, L, XL und XXL, vergleichbar den Aussagen „(ganz) leicht realisierbar“ über „machbar“ und „(sehr) schwierig“ bis hin zu „kaum möglich“. Jeder Größe wird eine definierte Menge an „Story Points“ zugewiesen; die Bedeutung oder der Schwierigkeitsgrad wird damit subjektiv und nicht-linear bewertet. Eine typische Zuordnung der Story Points zu den Rängen erfolgt anhand der Fibonacci-Reihe, bei der jede Zahl die Summe ihrer beiden Vorläufer ist. Angefangen bei der 1 ergibt sich bei der T-Shirt-Methode damit die Zahlenreihe 1, 2 (durch Verdoppelung: 1 + 1), 3 (= 1 + 2), 5 (= 2 + 3), 8 (= 3 + 5), 13 (= 5 + 8). Je höher der resultierende Zahlenwert ist, desto größer ist der Aufwand.
- Beim Planing Poker erfolgt die Aufwandsschätzung im Team. Jedes Mitglied im Projektteam erhält einen Satz Karten mit bestimmten Story Points. Der Product Owner stellt eine Anforderung (User Story) vor. Diese wird danach diskutiert. Anschließend legt jeder Schätzer aus seinem Kartensatz die Karte mit den aus seiner Sicht passenden Story Points zugedeckt vor sich auf den Tisch. Werden beim Aufdecken der Karten Differenzen in der Einschätzung sichtbar, wird weiter diskutiert und das Verfahren wird wiederholt, bis Konsens hergestellt ist. Nach dieser Vorgehensweise werden alle Anforderungen bearbeitet.
Fazit
Die Aufwandsschätzung ist im Projektmanagement weit verbreitet. Ziel ist, den für ein geplantes Vorhaben wahrscheinlich nötigen Einsatz an Ressourcen zu ermitteln und möglichst genau zu kalkulieren. Durchgeführt werden kann die Schätzung top-down, wenn ein bestimmter Finanzrahmen vorgegeben wurde, oder bottom-up, indem die Bewertung einzelner Teilaspekte zusammengeführt wird. Auf der Basis dieser Überschlagsrechnung können die Machbarkeit und die Wirtschaftlichkeit von Projekten beurteilt und Angebote erstellt werden.
Die Aufwandsschätzung sollte während eines Projekts immer wieder mit den Realitäten abgeglichen und aktualisiert werden; so werden Abweichungen sichtbar. Als Controlling- Instrument kann sie die Projektsteuerung vereinfachen.
Neben etablierten und teils genormten Methoden werden bei agilen Projekten auch agile Schätzmethoden eingesetzt. Zu den bekanntesten gehören die T-Shirt-Methode und das Planing Poker. Beide operationalisieren unscharfe Wertebereiche und subjektive Aussagen durch die Zuweisung von Zahlenwerten. Relative Bezüge werden so zahlenmäßig dargestellt und vergleichbar, sodass Aufwände abgeschätzt werden können.