Die Delphi-Methode ist ein Verfahren zur Entscheidungsunterstützung bei unscharfen Ausgangsbedingungen oder unzureichender Datenlage. Der Name ist angelehnt an das antike Orakel von Delphi: Eine Seherin, Pythia, wurde zurate gezogen, um Vorhersagen über die Zukunft zu treffen, damit sich die Fragesteller auf zukünftige Geschehnisse vorbereiten konnten.
Kern der in den 1950er-Jahren von der RAND-Corporation entwickelten Delphi-Methode ist der Einbezug von Experten im Rahmen einer systematischen, mehrstufigen Befragung. Bekannt ist diese Vorgehensweise daher auch als Delphi-Befragung, Delphi-Verfahren oder Delphi-Studie. Durch die Zusammenführung und Auswertung von Expertenmeinungen sollen Erkenntnisse über wahrscheinliche, zukünftige Entwicklungen gewonnen werden. Auf dieser Basis lassen sich dann strategische Handlungsoptionen ableiten.
Das Delphi-Verfahren beruht auf zwei Annahmen:
- Fachleute mit ausgewiesener Expertise auf ihrem Arbeitsgebiet können zukünftige Entwicklungen fundiert abschätzen und beurteilen.
- Die Qualität der Prognose oder Voraussage ist bei Einbezug mehrerer Experten größer als bei einem Rückgriff auf nur einen einzigen Sachkundigen.
Eingesetzt wird das Delphi-Verfahren bei komplexen Ausgangslagen. Diese liegen zum Beispiel oft vor bei der Strategieentwicklung, im Projektmanagement, zur Beurteilung des Markts für innovative Produkte sowie im Marketing. So ist die Delphi-Methode beispielsweise als klassische Verfahrensweise bei der Aufwandsschätzung in DIN 69901, Teil 3, „Methoden“ aufgeführt. Unterstützt werden kann sie durch die Szenario-Technik.
Standardverfahren und Weiterentwicklung
Ursprünglich handelte es sich um eine strukturierte, einmalige Befragung von ausgesuchten Sachverständigen in einem Gebiet. Deren Aussagen wurden dann zusammengeführt, geprüft und analysiert, um möglichst plausible und eindeutige Schlüsse daraus ziehen zu können.
Im daraus weiterentwickelten Standardverfahren werden mehrere ausgewiesene Experten mit vertiefter Fachkenntnis in ihrem Arbeitsfeld in einem mehrstufigen Prozess um ihre – qualitative – Einschätzung gebeten. Nach einer ersten Befragungsrunde werden die Spezialisten mit den – anonymisierten – Meinungen der anderen Fachleute konfrontiert und sollen Stellung dazu nehmen. Die Durchgänge aus Konfrontation und Stellungnahme können wiederholt werden, bis sich eindeutige Lösungsalternativen herauskristallisiert haben.
Das sogenannte Breitbandverfahren geht noch darüber hinaus. Hier dürfen und sollen sich die Experten untereinander austauschen, um ihre Ansichten zu diskutieren. Auf diese Weise soll ein Konsens unter den Befragten erreicht werden. Auf diesem lässt sich dann eine zuverlässige, da von den Beteiligten als wahrscheinlich erachtete Prognose erstellen.
Ablauf
Der erste Schritt ist die Auswahl der Experten, die zur Teilnahme an der Befragung eingeladen werden. Die Anzahl dieser Mitwirkenden sollte mindestens zwei betragen, mehr als fünf sollten es aber nicht sein. Die Befragung findet in der Regel in elektronischer oder schriftlicher Form und dezentral statt, also ohne eine Zusammenkunft der Beteiligten. Die involvierten Fachleute bleiben dabei anonym.
Im zweiten Schritt wird ein Katalog mit Fragen oder Thesen ausgearbeitet, zu denen die Experten Antworten geben oder Stellung nehmen sollen. Die ausformulierten Diskussionspunkte werden gegliedert und in eine logische Abfolge gebracht. Diese so systematisierte und strukturierte Auflistung wird an die Fachleute verschickt.
Wird das Standardverfahren angewendet, sollen die Teilnehmenden im Rahmen der strukturierten, mehrstufigen Befragung zunächst eine erste Stellungnahme zu den aufgelisteten Punkten abgeben. Die Antworten werden gesammelt, analysiert und zusammengeführt. Das Ergebnis der Auswertung wird den Experten in der zweiten Runde bekannt gegeben, damit diese ihre Einschätzung präzisieren oder aktualisieren können. Bei mehrfacher Wiederholung dieser Vorgehensweise ist es möglich, die Ergebnisse der jeweiligen Runden über eine Mittelwert- bzw. Durchschnittswertberechnung aufzubereiten. So wird eine Annäherung sichtbar, die nach Vorlage der Ergebnisse letztlich zu einem Konsens unter den Fachleuten und einer einvernehmlichen Gesamtbewertung führen sollte.
Die Breitbandmethode unterscheidet sich vom Standardverfahren dahingehend, dass die befragten Experten Gelegenheit haben, sich untereinander persönlich über die Kriterien und Einschätzungen auszutauschen, die verschiedenen Aspekte zu diskutieren und ihre Bewertungen aufeinander abzustimmen. Durch den direkten Austausch können unter Umständen einige Befragungsrunden vermieden werden, da die Konsensfindung erleichtert wird.
Erfolgsfaktoren
Entscheidend für den Erfolg beim Einsatz der Delphi-Methode sind diese Aspekte:
- Es sollten Experten mit möglichst differenzierten Perspektiven auf die Fragestellungen ausgewählt werden.
- Inhalt und Struktur des Fragebogens oder Thesenkatalogs sind sorgfältig zu planen.
- Die Motivation der Teilnehmenden muss erhalten werden, auch wenn mehrere iterative Schritte, also Befragungsrunden, stattfinden.
- Die Anonymität der Teilnehmenden bei der Standardmethode muss gewahrt bleiben, um Vorbehalte und Vorurteile, unerwünschte Meinungsführerschaften sowie Gruppeneffekte zu verhindern.
Vor- und Nachteile der Delphi-Methode
Wie jede Methode hat auch das Delphi-Verfahren Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört:
- Experten mit hoher Sachkenntnis erarbeiten fundierte Grundlagen für eine Entscheidungsfindung.
- Fehleinschätzungen von Einzelpersonen verlieren an Bedeutung.
- Die unterschiedlichen Sichtweisen und Ansätze der Experten ermöglichen die Berücksichtigung verschiedener Aspekte bei bestimmten Fragestellungen.
- Da aus den Ergebnissen Mittelwerte gebildet werden, fallen Extrempositionen aus der Bewertung hinaus.
Zu den Nachteilen der Delphi-Methode gehört:
- Auch Experten können Fehleinschätzungen vornehmen und trotz eines häufig sehr spezifischen Wissens in ihrem Bereich außerhalb liegende Aspekte nur schwer beurteilen.
- Die Auswahl der Experten beeinflusst das Ergebnis.
- Das Delphi-Verfahren ist aufwendig.