Das Wertstrommanagement, im englischen Sprachraum Value Stream Management (VSM) genannt, umfasst die Planung, Organisation und Überwachung aller Aktivitäten, die direkt oder indirekt zu einer Verbesserung der Eigenschaften eines Wirtschaftsguts beitragen. Mit dem Wertstrommanagement soll das Zusammenspiel der Materialflüsse und der Be- und Verarbeitungsprozesse sowie der involvierten Personen optimiert und eine nicht perfekte Abstimmung der einbezogenen Elemente (Mura) behoben werden. Dazu ist nicht nur die Bereitstellung der notwendigen Ressourcen zu regeln, auch der Informationsaustausch und die Kommunikation unter den Beteiligten sind zu kanalisieren, um einen maximalen Mehrwert zu generieren und Verschwendung (Muda) zu vermeiden.
Das Wertstrommanagement ist prozess-, nicht funktionsorientiert. Fokussiert werden also Abläufe, nicht Zuständigkeiten. Ziel ist das bestmögliche Austarieren der einzelnen Vorgänge und Tätigkeiten über Schnittstellen hinweg, um Durchlauf- und Bearbeitungszeiten zu reduzieren und Schwachstellen und Engpässe (siehe Theory of Constraints, ToC) zu beseitigen. Die Effizienz von Prozessen kann so nachhaltig gesteigert werden.
Bedeutung des Wertstrommanagements
Ein etabliertes und wirksames Wertstrommanagement ist die Voraussetzung für eine effiziente Leistungserstellung und stärkt damit die Wettbewerbsposition einer Organisation.
Gemäß Lean-Ansatz sind dabei alle Abläufe, die zur Wertschöpfung beitragen, an den Anforderungen und Bedarfen der Kunden auszurichten. In produzierenden Unternehmen lassen sich mit diesem Ansatz die Losgrößen marktgerecht anpassen und Überbestände, die eine unnötige Kapitalbindung darstellen und Lagerkosten verursachen, vermeiden. Im Idealfall werden dann Kleinserien oder sogar Einzelstücke gefertigt – die Losgröße 1 wird realisierbar. Dienstleistungsunternehmen oder Verwaltungen können individualisierte Angebote erstellen und so ihre Kundennähe zeigen. Das Resultat sind zufriedene Kunden und eine erhöhte Kundenbindung.
Bottom up – vom Prozess zur Supply Chain
Das Wertstrommanagement ist prinzipiell auf drei Ebenen angesiedelt:
- auf Prozessebene. Hier werden die Abläufe bei der Erstellung einer Sach- oder Dienstleistung fokussiert. In der Regel handelt es sich um die Herstellung eines Produkts oder seiner Varianten als Produktfamilie.
- auf Unternehmensebene. Hier reicht die Perspektive von Rampe zu Rampe, also von der Anlieferung der Rohstoffe, Teile oder anderer Ausgangsmaterialien bis zur Auslieferung des Endprodukts.
- auf Ebene der Supply Chain. Betrachtet wird die gesamte Spanne von der Gewinnung der Rohstoffe bis zur Übergabe des Sachguts an den Endabnehmer. Das Wertstrommanagement wird hier zum Teil des Supply Chain Managements: Es begleitet den Prozess der Wertschöpfung „End-to-End“, von der Bestellung eines Kunden bis zur Auslieferung der Ware.
Implementiert und umgesetzt wird das Wertstrommanagement sinnvollerweise bottom-up: Zunächst wird ein einzelner Prozess der Leistungserstellung, in der Regel der Kernprozess der Wertschöpfung, optimiert, um dann auf andere Prozesse übertragen und auf Ebene der Gesamtorganisation eingeführt zu werden. Ist das Wertstrommanagement im gesamten soziotechnischen System etabliert und ist die Wirksamkeit nachgewiesen, sollte es als ganzheitliches Wertstrommanagement kontinuierlich weitergeführt und an die jeweils neuen Herausforderungen aufgrund sich stetig ändernder (Markt-)Verhältnisse und Rahmenbedingungen angepasst werden. Besteht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den vor- und nachgelagerten Stationen in der Wertschöpfungskette, also Lieferanten und direkten Abnehmern, kann das Wertstrommanagement über die Unternehmensgrenzen hinaus zu einem übergreifenden Wertstrommanagement ausgedehnt werden.
Der Wertstrom
Unter Wertstrom versteht man die Zunahme an im Vergleich zum Ausgangsprodukt qualitativ hochwertigeren Eigenschaften eines Wirtschaftsguts beim Durchlaufen eines Be- oder Verarbeitungs- bzw. Veredelungsprozesses. Während dieses Prozesses wird durch die Transformation des Wirtschaftsguts ein (besteuerbarer) Mehrwert erzeugt: Es findet eine Wertschöpfung statt, die letztlich vom Abnehmer bewusst wahrgenommen und finanziert werden muss.
Doch nicht alle Vorgänge, die den Weg eines Produkts von Rampe zu Rampe, also vom Systemeingang bis zum Systemausgang, begleiten (siehe Black Box), tragen direkt oder indirekt zur Erhöhung seines Werts bei. Administrative oder logistische Abläufe und Tätigkeiten sowie Infrastrukturelle Maßnahmen sind zwar notwendig zur Bereitstellung eines marktfähigen Angebots, sind aber selbst nicht wertschöpfend. Deren Anteil sollte – im Sinne einer schlanken Organisation – vermindert werden, da der Kundschaft deren Finanzierung durch den Kauf eines Produkts nur schwer zu vermitteln ist und Sachgüter so leicht als überteuert angesehen werden.
Im Fokus: die Wertschöpfung
Das Wertstrommanagement soll zwischen wertschöpfenden und nicht direkt oder gar nicht zur Wertschöpfung beitragenden Abläufen und Tätigkeiten differenzieren. Ziel ist, den Anteil der nicht oder nicht direkt wertschöpfenden Vorgänge zu reduzieren, um die Komplexität zu reduzieren und die Produktivität zu erhöhen. Die Management-Aufgabe besteht also darin, bestehende Prozesse zu analysieren, zu steuern, zu koordinieren und zu überwachen sowie neue Abläufe zu planen, zu implementieren und zu evaluieren, um die Verschwendung von wertvollen Ressourcen bei der Transformation eines Guts und ihren Begleitprozessen zu minimieren.
Die Ziele des Wertstrommanagements können auf strategischer Ebene angesiedelt sein, liegen aber in der Regel im operativen Bereich.
Als strategische Ansätze gelten zukunftsweisende Entscheidungen über die richtigen Vorgehensweisen zur Erhöhung der Effektivität. So bieten bahnbrechende neue Technologien etwa radikale, disruptive Möglichkeiten, die Prozesslandschaft zu revolutionieren (Kaikaku).
Das operative Wertstrommanagement setzt im Sinne eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) (im Lean-Ansatz: Kaizen) auf ein evolutionäres Vorgehen. Die Steigerung der Effizienz soll durch eine verbesserte Abstimmung der eingesetzten materiellen und immateriellen Produktionsfaktoren erreicht werden. Hier steht der austarierte Einsatz von Personal, Anlagen und Materialien sowie Energie, Daten und Informationen im Fokus.
Wertstrommanagement: das Vorgehen
Wertstrommanagement ist als Management-Funktion eine Aufgabe, die permanent ansteht und idealerweise als kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) zyklisch durchgeführt wird. Weit verbreitet ist ein Vorgehen in drei Schritten, um den bestehenden Ist-Zustand eines Systems in einen stabil laufenden Soll-Zustand zu überführen.
Auf Prozessebene, also im einfachsten Fall, wird zunächst der interessierende Ablauf ausgewählt. Idealerweise handelt es sich um einen Kernprozess der Leistungserstellung, bei dem das Optimierungspotenzial und damit der zu erwartende Effizienzgewinn als besonders hoch eingeschätzt werden. Oft handelt es sich um den Wertstrom in einem Standardverfahren, bei dem Schwachstellen und limitierende Faktoren (Theory of Constraints (TOC)) bereits bekannt sind, etwa die Herstellung eines bestimmten Produkts oder einer Produktfamilie auf einer bestimmten Fertigungsstraße.
Ist festgelegt, welcher Prozess betrachtet werden soll, folgen diese Schritte:
- Wertstrom-Analyse (Value Stream Mapping);
- Wertstrom-Design (Value Stream Design):
- Wertstrom-Planung (Value Stream Planning).
Bei der Wertstrom-Analyse wird der Ist-Zustand des interessierenden Prozesses detailliert erfasst. Dargestellt werden anhand standardisierter Symbole die Prozessschritte und die Schnittstellen, Material- und Informationsflüsse, relevante Daten und Fakten, etwa in Form von Kennzahlen, sowie bereits identifizierte Schwachstellen. Die Visualisierung des Ablaufs schafft Transparenz und fördert das gemeinsame Verständnis der Beteiligten über den real existierenden Prozess und die bestehenden Zusammenhänge.
Die Wertstrom-Analyse ist Basis für das Wertstrom-Design. Hier wird der Soll-Zustand des Prozesses entworfen und bildlich dargestellt, unter Nutzung der bereits eingeführten Symbole. Dieser Entwurf sollte gemeinsam mit den Mitarbeitern als Experten am Ort des Geschehens (Gemba) erarbeitet werden, da sie die Anlagen, deren Potenziale und Schwächen sowie verbesserungsfähige Schnittstellen am besten kennen. Dieses Design-Konzept ist die gemeinsame Vision für einen kundenorientierten verbesserten Material- und Informationsfluss (VSD-Vision).
Konkretisiert wird das so erarbeitete Wertstrom-Design anschließend bei der Wertstrom-Planung. Dabei werden Maßnahmen ausgewählt und vereinbart, um den in der Design-Phase entwickelten Prozess umzusetzen.
Die reale Umsetzung inklusive Evaluation, Etablierung und Überwachung des Ablaufs sowie seine bedarfsweise Anpassung wird durch regelmäßige PDCA-Zyklen vorangetrieben. Der Deming-Kreis mit den Schritten Plan – Do – Check – Act ist auch hier das Standardverfahren, um den neuen Prozess zu stabilisieren. Der neu organisierte Wertstrom ist damit wieder Ausgangspunkt für weitere Verbesserungen, um den Wertstrom im Rahmen des Wertstrommanagements immer weiter zu erhöhen.
Fazit
Das Wertstrommanagement umfasst die Planung, Organisation und Überwachung aller Aktivitäten, die direkt oder indirekt zur Erzeugung eines Mehrwerts bei der Be- oder Verarbeitung eines Wirtschaftsguts beitragen. Nicht oder nicht direkt wertschöpfende Tätigkeiten und Abläufe sind dabei zu reduzieren oder zu eliminieren, um Verschwendung von wertvollen Ressourcen zu vermeiden. Ein etabliertes und wirksames Wertstrommanagement trägt so zur Stärkung der Wettbewerbsposition von Organisationen im Markt bei. Zudem erleichtert es die Ausrichtung aller Vorgänge an den Anforderungen und Bedarfen der Kundschaft. Damit ist das Wertstrommanagement eine wichtige Methode zur Umsetzung der Lean-Philosophie in der Organisation.