
Der Dreiklang aus Muda, Mura und Muri
Mura ist immer in einem Zusammenhang zu sehen mit Muda, dies bedeutet Verschwendung, und Muri, was mit Überlastung übersetzt werden kann. Diese drei Begriffe bilden die „drei Mus“ des Toyota-3M-Modells, das eng mit dem von Taiichi Ohno, dem Produktionsleiter bei Toyota, entwickelten Toyota Produktionssystem (TPS) verflochten ist. Muda, Mura und Muri beeinflussen sich gegenseitig. Zusammen mindern sie die Wertschöpfung, verlängern die Bearbeitungszeiten und führen oft zu Qualitätsminderungen. Die Folge sind Einbußen an Effizienz, die in Form von höheren Kosten, geringeren Margen, längeren Durchlaufzeiten bei Prozessen und geringerer Termin- oder Liefertreue auftreten. Die 3Ms zu minimieren und möglichst ganz zu eliminieren, ist ein Grundstein der Lean-Philosophie.
Muda, also Verschwendung zu vermeiden, ist das prioritäre Ziel des Lean-Ansatzes. An oberster Stelle steht der sparsame und nachhaltige Einsatz von (generell begrenzten) Ressourcen. Unter diesen sind die für einen bestimmten Zweck oder Einsatz zur Verfügung stehenden Mittel zu verstehen. Verschwendung kann aber auch sowohl aufgrund mangelnder Abstimmung (Mura) als auch durch Überlastung (Muri) entstehen.
Mura, also Mängel in der Abstimmung, kann sowohl auf Prozessebene als auch auf Ebene der internen und externen Kommunikation sichtbar werden.
- Sind die Produktionsanlagen oder Arbeitsabläufe nicht aufeinander abgestimmt, kann es zu Materialstaus oder Mangelsituationen mit unnötigen Wartezeiten kommen (also zu Muda). Dies kann bei den Mitarbeitern zu Über- oder Unterforderung führen und damit Stressreaktionen auslösen, Überlastung (Muri) verursachen und die Motivation senken.
- Aber auch schlechte Absprachen und fehlende Informationen hemmen den reibungslosen Arbeitsablauf und bedingen dadurch Muda. Sind Schnittstellen nicht definiert und Zuständigkeiten nicht klar geregelt, bestehen Unsicherheiten bei den Arbeitsabläufen, die Nachfragen nötig machen. Das kann zu Verstimmungen bei den Beteiligten oder zu Gleichgültigkeit führen. Ist der Informationsfluss schlecht, werden wichtige Produktionsparameter oder auch Kundenanforderungen nicht an die verantwortlichen Stellen weitergegeben.
Die Prozessqualität leidet darunter, denn in all diesen Fällen werden die Kapazitäten der Wertschöpfungskette nicht optimal genutzt: Mura führt zu Verschwendung. Andererseits kann Muda Mura ausgleichen: Überbestände (Muda) können zum Beispiel eine unerwartete Nachfrage nach einem Produkt trotz nicht auf den Bedarf abgestimmter, da zu hoher Produktionskapazitäten (Mura) befriedigen.
Muri, Überlastung, kann wie Mura auf Ebene der Prozesse wie der Mitarbeiter angesiedelt sein. Werden Maschinen und Menschen ständig grenzwertig hoch ausgelastet oder überbeansprucht, führt dies zu übermäßigem Verschleiß an Anlagen und Geräten sowie zu einer psychischen und physischen Dauerbelastung von Mitarbeitern. Die Folge sind Defekte, Qualitätseinbußen bei den Produkten und unproduktive (und teure) Ausfallzeiten aufseiten des Personals. Ursache können schlecht abgestimmte Abläufe in der Wertschöpfungskette sein – das Resultat ist Muda, Verschwendung.
Mura: Ursachen und Wirkungen
Mura ist allgegenwärtig: Mangelnde Abstimmung kommt immer wieder vor, ob bei Privatpersonen oder in Institutionen. Bei allen Organisationen, die Tätigkeiten durchführen, um ein Angebot zu erstellen, das Kundenbedürfnisse befriedigt, kann Mura auf drei Ebenen entstehen: auf Prozess-, auf Personal- und auf Kundenebene – in Form eines ungenügend auf die Kundschaft ausgerichteten Produktangebots.
Die Prozessebene
Mura entsteht durch nicht aufeinander abgestimmte Arbeitsmittel und Produktionsbedingungen bzw. -methoden. Das beginnt bereits beim Layout der Arbeitsstätte und reicht bis zur ergonomischen Einrichtung des Arbeitsplatzes.
Die Folgen sind Wege, Transporte, Bewegungen, Wartezeiten – mit anderen Worten: Muda. Auslöser sind zudem unterschiedliche Bearbeitungszeiten an bestehenden Fertigungseinrichtungen und Arbeitsplätzen, aber auch fehlende Pufferkapazitäten – etwa als vorgehaltene Arbeitsmittel oder Zeitreserven. Sind Prozesse nicht von der Planung bis zur Ausführung optimiert, führt Mura zu Muda.
Die Personalebene
Mitarbeiter sind wie Führungskräfte Personen mit jeweils eigenen Arbeitsweisen, Vorlieben und Abneigungen. Als Individuen weisen sie ein unterschiedliches Maß an Kompetenzen, Qualifikationen und nicht zuletzt Motivation auf. Daraus ein Team zu formen, das sich erfolgsorientiert einer Aufgabe widmet, zielgerichtet kommuniziert und sich womöglich selbst organisiert, ist nicht immer leicht.
Im Produktionsbereich, etwa am Fließband, können mit der Vorgabe einer Taktfrequenz oder einer anderen Maßzahl Unterschiede kompensiert werden. Doch bereits eine schwankende Auslastung mit Leerlauf- und Routinezeiten sowie Arbeitsspitzen – wie in der Großküche oder im medizinischen Labor – verlangt nach Information und gegenseitiger Abstimmung, auch durch umfassendere Führung. Im Dienstleistungsbereich – insbesondere im Außendienst oder bei persönlichen Serviceangeboten wie medizinischer Betreuung oder Pflege – sind zumindest die Rahmenbedingungen zu setzen und aufeinander abzustimmen und der Informationsfluss zu regeln, damit Mura nicht auftritt.
Wenn die Anpassung der Verhaltensweisen der Beteiligten fehlschlägt, entsteht Mura. Ohne diese Abstimmung können die physischen und psychischen Belastungen zur Überlastung (Muri) der Mitarbeiter führen: Als Konsequenz droht die Verschwendung von personellen Ressourcen – Muda.
Die Kundenebene
Die Anforderungen an ein Produkt oder einen Ablauf auf Abnehmer-, also Kundenseite spiegeln oft rasch wechselnde Vorlieben, Modeerscheinungen oder Trends wider. Unternehmen haben sich mit ihrem Angebot daran anzupassen. Die Kundenorientierung als Abstimmung des Angebots – der Produkte – auf die Kundenanforderungen steht damit im Vordergrund. Doch eine mangelnde Rücksichtnahme auf die Bedürfnisse des Marktes – Mura – führt schnell zu einer wirtschaftlichen Schieflage.
Eine Anpassung an die Bedürfnisse der Kundschaft kann für die Fertigung häufigere Rüstvorgänge, bei Dienstleistungsanbietern das Vorhalten und den Einsatz verschiedener Gerätschaften und Werkzeuge bedingen. Die Folge können neben Wartezeiten (Muda) auch Arbeitsverdichtung und Belastungsspitzen bei den Mitarbeitern sein (Muri). Schon ein vermeintlich geringfügiger Änderungswunsch auf Kundenseite kann sich auf den gesamten Herstellungsprozess auswirken (Bullwhip-Effekt). Die bisherige Abstimmung der Abläufe und Prozesse wird unter den neuen Bedingungen mangelhaft, der Übergang zur Verschwendung ist fließend.
Mura reduzieren – der Lean-Ansatz
Die Anforderungen der Kundschaft sind die Grundlage der Produktion und insbesondere der Dienstleistungen – und damit des Markterfolgs. Ein Anbieter muss also seine Prozesse – ganzheitlich – auf die Kundenwünsche ausrichten. Dies ist der Ansatz der Lean Production und damit des Pull-Prinzips. Über das Stadium der individualisierten Angebote resultiert daraus in letzter Konsequenz die „Losgröße 1“, bei Dienstleistungen entsprechend eine individuelle Betreuung. Die Wertschöpfungskette mit all ihren direkt und indirekt zum Wertstrom beitragenden Vorgängen und Abläufen ist auf dieses Ziel hin zu optimieren.
Generell steigt jedoch der Abstimmungsbedarf in einem Prozess mit der Anzahl an Prozessschritten. Je komplexer ein Produkt oder Angebot wird und je mehr Varianten verfügbar sind, desto größer ist also die Gefahr der fehlenden Abstimmung. Eine Komplexitätsreduktion wird dann sinnvoll, um Mura abzufedern.
Aufgabe der Prozessoptimierung ist damit, die bestmögliche Kombination aus Kapazitäten, Beständen und Zeiten zu erreichen. Das modulare Design von Produktvarianten trägt dazu bei, von der Kundschaft konfigurierte Produkte ohne Umstellung des laufenden Produktionsprozesses anfertigen zu können. Auch die Standardisierung von Vorgängen und Abläufen, die Nivellierung, Heijunka oder One-Piece-Flow sind taugliche Ansätze. Ziel ist immer die optimale Abstimmung der Prozessparameter untereinander, um Abläufe zu verstetigen, vorhandene Kapazitäten optimal zu nutzen und so Verschwendung zu vermeiden.
Fazit
Verschwendung ist immer auch ein Resultat nicht perfekt aufeinander abgestimmter Prozesse. Sind Abläufe nur mangelhaft aufeinander eingespielt, kann es zu Wartezeiten – Muda –, aber auch zu Arbeitsspitzen und damit zu Überbelastungen (Muri) von Personal und Fertigungseinrichtungen kommen. Muda, Mura und Muri, die „drei Mus“ aus dem Toyota-3M-Modell, bedingen sich dabei gegenseitig.
Mura wirkt auf den drei Ebenen Prozess, Personal und Kunde. Die Prozessoptimierung zielt ab auf die Reduktion von Mura – in allen drei Bereichen: den eingesetzten Gerätschaften, den Mitarbeitern und den Kundenwünschen, also den von der Kundschaft verlangten Produkten. Ist die Prozessfolge entsprechend harmonisiert, ist eine Optimierung der Herstellungsprozesse weitaus effizienter als eine reine Vermeidung von Verschwendung. Mura zu beseitigen, ist daher der erste Schritt der Verbesserung; erst dann folgt die Minderung von Muda als zweite Stufe.