
Inspiriert wurde er von der Vorgehensweise im Supermarkt: Verbraucher bedienen sich selbst und die Mitarbeitenden (Lieferanten) sorgen je nach Warenabfluss für ausreichende Bestände in den Regalen (Pufferlager). Sind die Regale aufgefüllt, beginnt der Zyklus von Neuem. David Anderson hat als Manager bei Microsoft das Konzept Mitte der 2000er-Jahre auf die Informationstechnologie übertragen, um damit nicht nur Produktionsprozesse, sondern auch Projekte schneller und effizienter durchführen zu können. Kanban ist neben Scrum eine der am weitesten verbreiteten agilen Managementmethoden.
Grundprinzip von Kanban ist die Organisation von mehrstufigen Produktionsprozessen in Form von miteinander verknüpften Regelkreisen. Jeder dieser Regelkreise besteht dabei aus einer Fertigungsstufe und einem vorgelagerten Materiallager. Für jeden Fertigungsprozess werden dem entsprechenden Materiallager die momentan benötigten Materialmengen entnommen, Fehlbestände werden von der vorgelagerten Fertigungsstufe selbstständig, also dezentral, wieder aufgefüllt. Entsprechendes gilt für jeden Arbeitsgang, da jeweils ein nachgelagerter einem vorgelagerten nur das gerade benötigte Teil in der benötigten Menge und zum benötigten Zeitpunkt entnimmt. Das Vorgehen orientiert sich ausschließlich am tatsächlichen Verbrauch von Materialien am Gemba als Bereitstell- und Verbrauchsort.
Aufgrund dieses Just-in-Time-Prinzips können Bestände auf die tatsächlich benötigten Mengen reduziert werden. Während sich der Materialfluss somit vom Ausgangsmaterial bis zum Endprodukt bewegt, fließt die Information im Gegenstrom in Form von Kanban, also (physischen oder elektronischen) Karten oder Behältern, welche die Entnahme und Fertigung von Materialien in jeder Stufe dokumentieren und zurückmelden, von der letzten Produktionsstufe als finalem Steuerungselement zurück zur ersten. Auf diese Weise entsteht ein sich selbst organisierendes System, das die Lagerhaltung minimiert, schnellere Durchlaufzeiten ermöglicht, die Ausnutzung der Fertigungskapazitäten durch Berücksichtigung des jeweils aktuellen Engpasses optimiert und so Verschwendung verringert. Die Wertschöpfung kann so auf jeder Fertigungs-/Produktionsstufe einer mehrstufigen Fertigungslinie kostenoptimal gesteuert werden.
Kanban-Steuerung
Bei Kanban-gesteuerten Prozessen gilt der Grundsatz, dass nur gefertigt werden darf, wenn ein Kanban zur Fertigung vorliegt. Die terminorientierte bzw. eine Push-Steuerung wird damit durch die bedarfsorientierte Pull-Steuerung ersetzt.
Im klassischen Kanban-System nutzt die Kommunikationskette die Kanban-Karten. Der Zyklus beginnt mit der Anlieferung der angeforderten benötigten Materialien samt Kanban-Karte an die verbrauchende Stelle. Sind die Materialien aufgebraucht, wird die Kanban-Karte an die zuständige liefernde Stelle zurückgeführt. Diese ist dann für die rechtzeitige Bereitstellung des benötigten Materials beim Verbraucher verantwortlich. Nach Erhalt der Kanban-Karte beginnt der Lieferant mit der Produktion bzw. Bereitstellung der auf der Karte festgelegten Art und Menge des Materials. Ist die geforderte Menge erreicht, wird sie mit der Kanban-Karte zum Vebraucher transportiert. So entsteht ein sich selbst steuernder Regelkreis ohne zentrale Planungsinstanz. Leer- und Wartezeiten werden durch Puffer vermieden.
Ein Kanban-Koordinator ermittelt vor Einführung des Kanban-Systems die Zahl der benötigten Karten und passt diese jeweils an sich ändernde Umstände an. Grundsätzlich gilt für die Anzahl der Kanban-Karten im System die Regel, dass ausreichend Material zirkulieren muss, um die im Wiederbeschaffungszeitraum auftretenden Bedarfsmengen zu decken. Generell unterscheiden lassen sich das meist innerbetrieblich genutzte Zweikartensystem, das mit Produktions- und Transport-Kanbans arbeitet, und das bei externen Zulieferern eingesetzte Einkartensystem, das die Transportbehälter als Hilfsmittel nutzt.
Kanban-Karten
Kanban-Karten helfen dabei, den Fluss der Arbeit zu visualisieren. Im klassischen Modell zeigen dabei Spalten (von links nach rechts) den jeweiligen Status an:
- To Do (linke Spalte): Hier sind die Aufgaben aufgelistet, deren Bearbeitung noch ansteht.
- In Progress (mittlere Spalte): Hierhin werden Aufgaben verschoben, mit deren Bearbeitung begonnen wurde.
- Done (rechte Spalte): Aufgaben werden nach Erledigung hier abgelegt.
Kanban ist ein sehr flexibler Ansatz. Die einzelnen Spalten können an die speziellen Anforderungen der Fertigung oder, bei Anwendung in der Projektsteuerung, des Projekts angepasst werden. In manchen Fällen eignen sich vier- oder fünfspaltige Karten oder, im Fall von Projekten, Boards besser, um alle Stufen des Entwicklungsprozesses zu erfassen, oder es müssen für die eigenen Arbeitsweisen passendere Bezeichnungen gefunden werden.
Prinzipien und Regeln
Kanban beruht auf sechs Prinzipien, die Unternehmen beachten sollten, um die Vorteile der Methode ausschöpfen zu können:
1. Klare Regeln: Alle Regeln für den Prozess müssen transparent sein und von allen Beteiligten verstanden und umgesetzt werden.
2. Aufgabenlimit: Die Zahl der zur Verfügung stehenden Karten ist zu begrenzen und auf die Anzahl der Aufgaben abzustimmen.
3. Workflow: Es muss gewährleistet sein, dass immer Aufgaben in Bearbeitung sind und ein stetiger Workflow gegeben ist.
4. Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (-> Kaizen): Kanban-Prozesse sind regelmäßig zu analysieren, um die Effizienz der Arbeitsweise weiter zu verbessern.
5. Leadership: Mitarbeitende haben auf allen Ebenen die Verantwortung, den Workflow zu erhalten und sich aktiv für die Verbesserung von Abläufen einsetzen.
6. Modelle: Die Verwendung von Modellen kann zu einem besseren Verständnis für Prozesse und zu effizienteren Lösungen führen.
Aus diesen Prinzipien lassen sich für die Praxis Regeln ableiten. Verbindliche Regeln sind:
- Verbraucher dürfen Material nur in der benötigten Menge und mit Kanban-Karte anfordern.
- Verbraucher dürfen nicht vorzeitig Material anfordern, da es sonst bei den eng aufeinander abgestimmten Kapazitäten zu Störungen im Produktionsablauf käme.
- Lieferanten dürfen nicht auf Vorrat produzieren, da dies die Produktionskapazitäten überschreiten würde.
- Lieferanten müssen für einwandfreie Qualität der Teile sorgen, da Qualitätsmängel aufgrund der minimalen Lagerbestände zu Produktionsverzögerungen bei nachfolgenden Verbrauchern führen.
- Der Kanban-Koordinator hat für eine gleichmäßige Auslastung der Produktionsstellen zu sorgen, um niedrige Lagerbestände und optimalen Materialfluss sicherzustellen.
- Der Kanban-Koordinator muss die Anzahl von Kanban-Karten möglichst gering halten, da jede einzelne Karte gebundenes Material repräsentiert, das Kosten in Form von Lagerhaltung und Transport erzeugt.
Bewertung
Kanban hat einige Vorteile gegenüber der zentral- oder termingesteuerten Produktion zu bieten:
- hohes Anpassungspotenzial bei kurzfristigen Änderungen des Bedarfs;
- Reduktion von Beständen;
- Verkürzung von Durchlaufzeiten;
- Reduktion des Steuerungsaufwands in der Produktion durch autonome Regelkreise;
- Steigerung der Motivation der Mitarbeitenden durch höhere Verantwortung und Qualifikation in den einzelnen Regelkreisen.
Dagegen sind folgende Nachteile systemimmanent:
- Fertigungslinien sind auf die Kanban-Methode umzustellen;
- hoher Standardisierungsgrad nötig;
- ungeeignet für Produktionsprozesse mit hoher Variantenvielfalt und damit stark schwankenden Materialbedarfen;
- ungeeignet für Einzelprodukte (Losgröße 1), Sonderaufträge oder Projektfertigung.
Kanban im Projektmanagement
David Anderson übertrug die Prinzipien von Kanban auf das IT-Projektmanagement und beschrieb dazu vier Grundprinzipien, die Unternehmen bei der Anwendung von Kanban in ihre Arbeitsweise einbauen. Dabei muss vorläufig am Bestehenden nichts geändert werden; Veränderungen ergeben sich nach und nach aus der konkreten Anwendung des Kanban-Prinzips:
- Gestartet wird auf dem Status quo.
- Umgesetzt werden inkrementelle, evolutionäre Veränderungen.
- Aktuelle Prozesse, Rollen, Verantwortlichkeiten und Ansprüche sind zu respektieren.
- Leadership ist auf allen Ebenen in der Organisation zu fördern – von den Mitarbeitenden bis zum Top-Management.
Wird in der Produktion der Materialfluss visualisiert, werden im Projektmanagement die Aufgaben dargestellt. Jede Aufgabe wird auf einer Kanban-Karte notiert. Je nach Bearbeitungsstatus wandert diese Karte auf einem Board von links nach rechts bis zur Lösung der Aufgabe.
Charakteristisch für diese Methode ist die vergrößerte Autonomie von Projektteams. Die Teammitglieder „holen” sich ihre Aufgaben aus einem Backlog (Aufgabenpool) selbst, um so den Workflow aufrechtzuerhalten. Neben -Scrum ist Kanban derzeit eine der am weitesten verbreiteten agilen Methoden (Agilität).
Wie in der Produktion gelten auch hier sechs Prinzipien, die Unternehmen beachten sollten:
- Klare Regeln: Alle Regeln für den Prozess sind allen Beteiligten klar und transparent darzulegen und müssen von allen verstanden werden.
- Aufgabenlimit: Durch Begrenzung der zur Verfügung stehenden Karten wird gewährleistet, dass nicht die Anzahl der (begonnenen oder bearbeiteten) Aufgaben, sondern die Ergebnisse im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.
- Workflow: Die Aufgaben im Backlog werden nach Dringlichkeit in absteigender Reihenfolge notiert. Es müssen immer Aufgaben in Bearbeitung sein, um einen kontinuierlichen Workflow zu gewährleisten.
- Kontinuierlicher Verbesserungsprozess (Kaizen): Die Kanban-Prozesse sind regelmäßig zu überprüfen, um die Effizienz der Arbeitsweise zu verbessern.
- Leadership: Führende und ausführende Teammitglieder müssen auf allen Ebenen Verantwortung übernehmen und sich aktiv für die Verbesserung von Abläufen einsetzen.
- Modelle: Modelle (z. B. der Engpass- oder der Komplexitätstheorie oder der Lean IT) können das Verständnis für Prozesse verbessern und zur Lösungsfindung beitragen.
Der Einsatz von Kanban in der Projektarbeit hat den Vorteil, dass der Managementaufwand reduziert wird und die Abarbeitungsgeschwindigkeit steigt. Dabei kann Kanban sowohl im Rahmen von traditionellen wie agilen Managementmethoden eingesetzt werden. Bei agilen Methoden profitieren Teams auch bei Kanban von kurzen Sprints (Scrum), sodass Fehlentwicklungen schneller bemerkt werden. Zudem erhöht Kanban erhöht die Arbeitsmotivation, da die einzelnen Teams autonomer arbeiten und Mitglieder sich ihre Aufgaben aus dem vorhandenen Pool selbst „holen”.
Von Nachteil ist beim Einsatz von Kanban in der Projektarbeit, dass sich die Kompetenzen der Teammitglieder überschneiden müssen, damit der Workflow auch bei Abwesenheit oder Ausfall einzelne Mitarbeitender gewährleistet ist. Zudem funktioniert Kanban nur, wenn sich Arbeitspakete klar in voneinander abgrenzbare Aufgabenschritte gliedern lassen. Termingetriebene Projekte lassen sich, wie auch in der Produktion, besser über andere Methoden bewerkstelligen.
Kanban ist damit eine effektive und einfache Methode, um das Aufgabenmanagement in Projekten zu verbessern. Es bringt nicht nur mehr Transparenz in die Arbeitsprozesse, sondern fördert auch die Motivation der Mitarbeitenden, da diese über größere Flexibilität und mehr Gestaltungsmöglichkeiten verfügen. Dank weniger fester Regeln ist Kanban gut für den Einstieg in die agile Arbeitsweise geeignet. Dabei ist allerdings die Selbstorganisation der Teams gefragt. Das Kanban-System kann per Software in den gesamten Workflow eingegliedert werden und auch standortübergreifende Teamarbeit nach Kanban ermöglichen.