Grundlage dieser Kalkulation ist die Ermittlung des voraussichtlichen Bedarfs durch Berechnung oder Abschätzung. Dazu stehen verschiedene Methoden zur Verfügung.
Bedeutung der Materialbedarfsplanung und -ermittlung
Ohne Input, also ohne Zufluss von materiellen oder immateriellen Grundlagen, kein Output, also kein Ergebnis. Für produzierende oder veredelnde Industrieunternehmen und Gewerbebetriebe sowie Handelsorganisationen, aber auch für Dienstleister oder Verwaltungen bedeutet dies: Kein Material, keine Wertschöpfung. Sind die für die laufenden oder geplanten Prozesse notwendigen Sachgüter nicht vorhanden, kann der Wertstrom nicht aufrechterhalten werden.
Ob es sich bei den benötigten Materialien um Metall- oder Kunststoffteile, Elektronikkomponenten, Badarmaturen, Haushaltsartikel, Lebensmittel, Pflegeprodukte, Kopierpapier oder Tonerkartuschen handelt, ist dabei gleichgültig: Deren Bedarf muss ermittelt werden, um die nötigen Elemente rechtzeitig bereitstellen zu können.
Das Ziel der Bedarfsplanung
Die Bedarfsplanung ist die Grundlage für die Beschaffung. Das Ziel ist die Versorgung der Organisation mit allen Gütern, die für die ablaufenden Prozesse – insbesondere für die Kernprozesse der Leistungserstellung – und die geplanten Vorhaben notwendig sind.
Entscheidend für die Qualität der Planung des Bedarfs an Sachgütern sind dabei die Aspekte
- Menge,
- Güte,
- Terminierung,
- Ort,
- Kosten und
- Priorisierung.
Die Menge
Die Menge an Material sollte so kalkuliert werden, dass im normalen betrieblichen Geschehen bei der Leistungserstellung weder Engpässe auftreten noch zu große Lagerbestände angehäuft werden. Materialmangel würde den regulären Betrieb einschränken, den Wertstrom behindern und die Wertschöpfung reduzieren. Zu hohe Lagerbestände belegen Lagerkapazitäten, führen zu erhöhten Lagerbewirtschaftungskosten und zu unnötiger Kapitalbindung und sind als Verschwendung zu bewerten.
Hier setzt die Bedarfsmengenplanung oder auch Bedarfsermittlung als Teilbereich der Materialbedarfsplanung an. Optimal ist die Menge in ihrer Größe, wenn sie eine sichere Durchführung der betrieblichen Abläufe gewährleistet, also eine entsprechende Lagerreichweite aufweist. Differenziert wird dabei zwischen einer langfristigen und einer kurzfristigen Perspektive:
- Langfristig – aus strategischer Sicht – ist abzuwägen, ob ein Einkauf auf Dauer günstiger ist als eine Eigenfertigung mit dazugehöriger Vergrößerung der Fertigungstiefe („Make or Buy“-Entscheidung).
- Kurz- und mittelfristig – aus operativer Sicht – steht die Ermittlung der nötigen Bezugsmengen im Vordergrund.
Eine sichere Durchführung von betrieblichen Abläufen bei minimaler Lagerhaltung wird oft über das Just-in-time-Prinzip (JiT) angestrebt. Diese bedarfsgerechte Anlieferung ist insbesondere in der Fertigung von Industriebetrieben verbreitet, um Kernprozesse der Wertschöpfung kontinuierlich fortzuführen. Bei dieser sogenannten „produktionssynchronen Beschaffung“ handelt es sich aus betriebswirtschaftlicher Sicht um eine „Bedarfsdeckung ohne Vorratshaltung“. Die Versorgungslage erhält damit eine entscheidende Bedeutung und ist bei der Beschaffungsplanung zu berücksichtigen: Stockt die Versorgung, etwa durch Verzögerungen bei der Anlieferung, den Ausfall eines Lieferanten oder eine Störung in der (weltweiten) Supply Chain, ergeben sich daraus gravierende Konsequenzen für die Lieferfähigkeit und die Termintreue. Alternativ besteht die Möglichkeit der Einzelbeschaffung durch Auftragsvergabe. Feste, regelmäßige Liefertermine – beispielsweise als tägliche Lieferung – ermöglichen dabei minimale Lagerbestände.
Bei der „Bedarfsdeckung mit Vorratshaltung“ ist die Durchführung der Kernprozesse je nach Lagerreichweite zumindest für einen überschaubaren Zeitraum gesichert. Allerdings wachsen mit der Menge an eingelagerten Materialien der Platzbedarf, der logistische Aufwand und die Kosten der Kapitalbindung, was dazu führt, dass die Liquidität und der Cashflow sinken. Moderne Warenwirtschaftssysteme wie im Handel oder Materialwirtschaftssysteme wie in der Industrie helfen dabei, Verschwendung zu minimieren.
Die Güte
Die zur Aufrechterhaltung der betrieblichen Prozesse benötigten Sachgüter müssen in einer bestimmten Qualität verfügbar sein. Die Sortimentsplanung als Teilbereich der Materialbedarfsplanung hat damit für jedes bei den einzelnen Vorgängen eingesetzte Erzeugnis dessen Güte zu berücksichtigen. Maßgebend dafür sind neben rechtlichen Bestimmungen, Verordnungen, technischen Normen und (Industrie-)Standards auch innerbetrieblich festgelegte Qualitätsanforderungen.
Die Beschaffungsplanung hat dann die Aufgabe, die Versorgung mit Sachgütern mit den gewünschten Qualitätsmerkmalen zu garantieren. Dabei kann sie zum Einkauf auch Alternativen wie die Substitution, also eine Ersatzbeschaffung, oder die Eigenfertigung aufzeigen.
Die Terminierung
Stehen Sachgüter nicht zu dem Zeitpunkt bereit, an dem sie benötigt werden, kommen davon abhängige Vorgänge zum Erliegen. Sind die betrieblichen Kernprozesse der Wertschöpfung davon betroffen, stockt der Wertstrom – mit Konsequenzen für die Durchlaufzeit und die termingerechte Auslieferung der bestellten oder angeforderten Erzeugnisse. Eine Auftragsbearbeitung ist nicht mehr möglich.
Die Materialbereitstellungsplanung hat die Aufgabe, die Termine zu ermitteln, zu denen Sachgüter für den Einsatz bereitstehen müssen. Daraus muss sie die Daten für eine rechtzeitige Anlieferung ableiten. Dabei sind die Zeitpunkte auf die jeweiligen Produktionsverhältnisse abzustimmen – unter Berücksichtigung der Entwicklung auf den Beschaffungsmärkten.
Der Ort
Die Materialbedarfsplanung hat zu berücksichtigen, welche Arbeitssysteme auf welches Material angewiesen sind, und daraus den kumulierten Bedarf zu ermitteln. Bei großen Unternehmen kann dies zu einer Herausforderung werden, wenn die Bedarfsplanung und die Materialbeschaffung zentralisiert sind – insbesondere dann, wenn die Firma auf einem weitläufigen Betriebsgelände residiert oder über mehrere Standorte verteilt ist.
Im Gegenzug muss gewährleistet sein, dass das Material auch an den Orten bereitgestellt wird, an denen es verbraucht wird. Bei kleinen Organisationen mit kurzen Wegen ist dies unproblematisch. Bei großen Unternehmen ist die Logistik gefordert, um entweder Lieferanten direkt zum Abnehmer zu dirigieren oder interne Transporte der Sachgüter zu veranlassen – zum Beispiel zwischen Warenannahme, Lager und Bereitstellung.
Der anfallende Zusatzaufwand im Hinblick auf Zeit und Kosten ist bei der Planung und Beschaffung zu berücksichtigen. Dabei sollte die Verschwendung aufgrund nicht zwingend notwendiger Transport- und Lagervorgänge minimiert werden.
Die Kosten
Auch bei der Materialbedarfsplanung steht die Kostenminimierung im Fokus. Allerdings dürfen daraus keine Einbußen bei der Qualität oder der Versorgungssicherheit resultieren. Angestrebt wird eine „kostenoptimale Materialversorgung“, bei der nicht nur zu hohe Lagerbestände, sondern auch zu geringe Planungsmengen vermieden werden. Denn beides wäre als Verschwendung zu werten – einerseits aufgrund der Lagerbewirtschaftungs- und der Kapitalbindungskosten, andererseits wegen der unter Umständen notwendigen spontanen und daher oft teuren Beschaffungsvorgänge zur Behebung kurzfristiger Materialengpässe.
Eine Optimierung der Lagerbestände und Beschaffungswege kann über mathematische Methoden wie die Andler-Formel berechnet werden. Sie berücksichtigt die in der Regel mit zunehmender Bestellmenge sinkenden Preise für Einheiten von Sachgütern – Stückkosten oder Wareneinstandspreise – und die mit der bevorrateten Menge steigenden Lagerkosten. Weitere Größen sind der Gesamtbedarf an Materialien in einer Periode oder die Menge pro Bestellung sowie die Fixkosten einer Bestellung. Daraus lassen sich die jeweils resultierenden Gesamtkosten berechnen und als Minimum-Kurve grafisch darstellen.
Die Grenze zwischen Materialbedarfs- und Beschaffungsplanung verwischt dabei, da die Analyse der Beschaffungsmärkte und die Auswahl der Lieferanten mit den günstigsten Konditionen nominell Aufgabe der Beschaffungsplanung ist.
Die Priorisierung
Die Materialbedarfsplanung sollte sich bei der Priorisierung der Sachgüter, an denen Bedarf besteht, an der Bedeutung der unterschiedlichen Prozesse in einer Organisation ausrichten. Vorrangiges Bewertungskriterium ist dabei die Wertschöpfung.
Differenziert werden kann zwischen diesen Prozessen:
- In den betrieblichen Kernprozessen der Leistungserstellung erfolgt die direkte Wertschöpfung. Kernprozesse können, je nach Ausrichtung der Organisation, die Herstellung, Be- oder Verarbeitung eines Sachguts, das Erbringen einer Dienstleistung oder der Vollzug eines Verwaltungsakts sein.
- Unterstützende Prozesse sind notwendig, um die Wertschöpfung zu ermöglichen, und sind dadurch indirekt wertschöpfend. Administrative Bereiche wie die Buchhaltung oder die Personalabteilung gehören dazu und ebenso die Logistik.
- Nicht wertschöpfende Prozesse dienen in der Regel der Aufrechterhaltung eines geordneten Betriebs. Hierzu gehören Einrichtungen wie die Gebäudereinigung, der Wach- und Schließdienst oder die Kantine.
Die Priorisierung der Prozesse und damit der für deren planmäßigen Ablauf notwendigen Sachgüter kann nach dem ABC-Prinzip erfolgen – mit von A nach C abnehmender Bedeutung. Auf Prozessebene ist bei der Planung des Bedarfs eine Differenzierung zwischen A-, B- und C-Materialien möglich. Denn auch in der industriellen Fertigung als betrieblichem Kernprozess sind nicht alle verwendeten Elemente gleichrangig:
- Komplexe Baugruppen, Funktionselemente oder Formteile sind essenziell für die Produktion und werden mit „A“ bewertet.
- Einzelteile wie Verbindungselemente, z. B. Schrauben, Nägel, Klammern oder Winkel, können oft durch andere Teile mit gleicher oder ähnlicher Funktion ersetzt, also substituiert werden. Als weniger wichtig werden sie der Kategorie „B“ zugeordnet.
- Hilfsstoffe wie Klebstoffe sowie beispielsweise Kühl- und Schmiermittel als Betriebsstoffe zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Maschinen sind von geringer Bedeutung, austauschbar und von geringem Sachwert. Sie gehören in die Gruppe „C“.
Bezieht man diesen Ansatz auf den Kernprozess, also beispielsweise die Produktion, lassen sich drei Bedarfsarten unterscheiden:
- Primärbedarf. Dieser wird aus der Perspektive des Outputs betrachtet. Bezugsgröße ist die Menge der verkaufsfähigen Sachgüter. Der Primärbedarf entspricht der Anzahl an Erzeugnissen, die zu einem bestimmten Termin zur Auslieferung an die Abnehmer bereitstehen müssen. Im Lean-Production-Ansatz wird der Primärbedarf als Grundlage für die Produktionsplanung herangezogen, um Fertigungskapazitäten, Auslieferungstermine und, falls möglich, die Produktionsorte an den Kundenanforderungen auszurichten.
- Sekundärbedarf. Damit wird der Umfang an Materialien bzw. Rohstoffen, Einzelteilen und Baugruppen bezeichnet, die zur Herstellung des verkaufsfähigen Endprodukts benötigt werden.
- Tertiärbedarf. Dieser umfasst die Mengen an Hilfs- und Betriebsstoffen, die zur Erzeugung des Endprodukts verwendet werden, aber nicht in dieses eingehen.
Bedarfsermittlung
Die Bedarfsermittlung orientiert sich meist an der ABC-Analyse der betrieblichen Kernprozesse der Leistungserstellung. Dabei ist gerade in produzierenden Unternehmen der Verbrauchswert bzw. der Anteil an der Wertschöpfung das entscheidende Kriterium zur Bestimmung des Materialbedarfs.
Dieser Wert verringert sich von den A-Erzeugnissen zu den C-Materialien: A-Artikel wie Formteile, Halbfertigwaren oder Baugruppen haben oft einen Anteil von rund 80 Prozent am Wert der insgesamt im Unternehmen benötigten Materialien. Ihre Bedeutung bei der Bedarfsplanung ist dementsprechend groß; B- und C-Produkte sind dagegen nachrangig. Daher werden die verschiedenen Kategorien auch bei der Planung auf unterschiedlicher Basis betrachtet:
Die Ermittlung des Bedarfs an A-Sachgütern orientiert sich am Primärbedarf. Basis sind die Fertigungs- und Produktionspläne sowie Stücklisten oder Rezepturen. In der Lean Production werden die bestehenden und absehbaren Anforderungen der Kunden an die Art und Menge der Produkte herangezogen. Die aktuelle Auftragslage und die in Aussicht gestellten Aufträge bestimmen – determinieren – den Sekundärbedarf. Diese sich an der Zukunft ausrichtende Methode wird daher plangesteuerte, programmorientierte oder deterministische Materialbedarfsermittlung genannt.
Als Sonderfall dieser programmorientierten Disposition gilt die regelbasierte Bedarfsermittlung. Der Sekundärbedarf wird dabei über Wenn-dann-Beziehungen aus dem Primärbedarf abgeleitet. Dies wird praktiziert, wenn individuelle Kundenanforderungen in der Produktgestaltung berücksichtigt werden müssen – speziell also in der Lean Production. Die Materialmengen ergeben sich dabei aus den Abhängigkeiten in der Fertigung: Je nach Ausführung oder Ausstattungsvariante werden unterschiedliche Teile oder Baugruppen verarbeitet. Die sind dann als Summe der Einzelfälle in der Materialbedarfsermittlung zu berücksichtigen.
Der Bedarf an B- und C-Artikeln wird nutzungsabhängig ermittelt. Diese verbrauchsorientierte Materialbedarfsermittlung nutzt Daten aus dem Materialeinsatz zurückliegender Wirtschaftsperioden. Typische Verfahren sind die stochastische und die rhythmische Disposition sowie das Bestellpunktverfahren.
Bei der stochastischen Disposition werden die Materialverbräuche der letzten Planungsperioden erhoben und mit statistischen (stochastischen) Verfahren auf den kommenden Planungszeitraum hochgerechnet. Ob tatsächlich ein Bedarf an den Materialien besteht, muss zum Zeitpunkt der Ermittlung noch nicht bekannt sein.
Auch bei der rhythmischen Disposition wird der eigentliche Bedarf gar nicht ermittelt. Die Berechnung erfolgt auf Basis vergangenheitsbezogener Werte; Ergebnis sind immer gleiche Mengen in zeitlich strikt vorgegebenen Perioden. Voraussetzung für die Art der Festlegung des Bedarfs ist ein kontinuierlicher Verbrauch oder Warendurchsatz. Resultat dieser Vorgehensweise ist eine geringe Flexibilität, da die Bestellmenge ohne eine konkrete Bedarfsermittlung festgelegt wird. Sie kann den tatsächlichen Bedarf übersteigen, möglicherweise aber auch nicht abdecken.
Beim Bestellpunktverfahren wird die Bedarfsmeldung beim Unterschreiten eines bestimmten Lagerbestands ausgelöst. Dieser Meldebestand sollte so gewählt werden, dass die Produktion bis zum Eintreffen der angeforderten Sachgüter ohne Störung aufgrund von Materialengpässen weiterlaufen kann. Kritischer Faktor ist hier unter anderem die Wiederbeschaffungszeit. Daher ist eine Sicherheitsreserve zur Abfederung von möglichen Lieferengpässen einzuplanen.
Wenn weder auf zukunftsgerichtete, weil planungsbasierte, noch vergangenheitsbezogene, auf Erfahrungswerten basierende Vergleichswerte zurückgegriffen werden kann, um den Materialbedarf zu ermitteln, muss dieser geschätzt werden. Typische Ursachen für eine solche sogenannte heuristische Bedarfsermittlung sind Änderungen im Produktionsverfahren, Umstellungen im Fertigungsablauf oder die Herstellung neuer Artikel. Die Schätzung übernehmen interne oder auch externe Experten – etwa Mitarbeiter aus der Forschungs- und Entwicklungsabteilung, Fachleute aus einem Konstruktionsbüro oder Berater mit Know-how aus vergleichbaren Situationen.
Mit den meisten Methoden der Materialbedarfsermittlung wird der Bruttobedarf als Gesamtmenge der benötigten Güter und Materialien in einer Planungsperiode berechnet oder abgeschätzt. Es ist sinnvoll, auf diesen noch den Zusatzbedarf aufzuschlagen, der sich zum Beispiel durch Schwund, Verschnitt, Fehlmengen, Ausschuss oder Karenzwerte (wie Sicherheitsreserven und -aufschläge) ergibt. Wenn die vorhandenen Lagerbestände sowie noch ausstehende Warenlieferungen miteinbezogen werden, lässt sich aus dem Bruttobedarf durch Subtraktion dieser Werte der Nettobedarf ermitteln.