Herkunft und Bedeutung des Namens
Die Bezeichnung „morphologischer Kasten“ lässt sich zurückführen auf die Begriffe „Morphologie“ und „Kasten“.
- Unter Morphologie wird die Struktur, Form, Gestalt oder Ordnung verstanden, im Rahmen der Kreativitätstechnik also die strukturierte, formale Ordnung von Denkansätzen und relevanten Aspekten.
- Der Ausdruck „Kasten“ steht dabei nicht im herkömmlichen Sinn für einen dreidimensionalen, näherungsweise rechteckigen, aus einem festen Material hergestellten Behälter, sondern eher literarisch für einen durch eine Umrandung abgegrenzten und herausgehobenen Text. Diese Bedingung wird letztlich erfüllt, da die Matrix quasi in Form einer mit Stichwörtern gefüllten Tabelle erscheint.
Auch wenn sich der morphologische Kasten prinzipiell zu einem dreidimensionalen Konstrukt erweitern ließe, wäre dies kaum praktikabel. Mit einer solchen Darstellung wäre ein Verlust an Übersichtlichkeit verbunden und die Entscheidungsfindung wäre deutlich erschwert.
Alternativ zu der Bezeichnung „morphologischer Kasten“ werden auch die Synonyme „Zwicky-Box“, nach dem Schweizer Astrophysiker Fritz Zwicky, der diese Methode in den 1960er-Jahren entwickelt hat, und „morphologische Analyse“ verwendet. Letztere Benennung präzisiert die Funktion und ist aus sachlogischer Sicht eigentlich vorzuziehen, ist aber im allgemeinen Sprachgebrauch weniger etabliert.
Einsatzmöglichkeiten
Typische Anwendungsbereiche des morphologischen Kastens sind die Produkt- und die Strategieentwicklung sowie das Projekt- und das Risikomanagement. Als Kreativitätstechnik erklärt sich der Einsatz bei Entwicklungsaufgaben von selbst. Aber auch Problemstellungen im Management können in vielen Fällen nicht durch Standardverfahren gelöst werden und bedürfen neuer Ansätze, um Alternativen aufzuzeigen und Herausforderungen zu meistern.
Der Morphologische Kasten kann mit vielen anderen Kreativitätsmethoden kombiniert werden oder im Rahmen von anderen Vorgehensweisen zur Konzeptentwicklung eingesetzt werden, z.B. beim Design Thinking. Der Aufwand hängt immer von der Komplexität der Aufgabenstellung ab, insbesondere von der Zahl betrachteter Komponenten und der Art ihrer Wechselwirkungen. Für die folgenden Situationen ist der Einsatz des morphologischen Kastens bestens geeignet:
- Produktentwicklung: Unterschiedliche Kombinationen von Komponenten oder Merkmalen eines Produkts identifizieren, um für dessen Neu- oder Weiterentwicklung vielfältige Varianten zu erstellen.
- Werbestrategie und Marketing: Marketinginstrumente (wie Preisgestaltung, Werbung, Promotion usw.) so kombinieren, dass neue Marketingideen oder -strategien entstehen.
- Prozessoptimierung: Prozessschritte oder -elemente identifizieren und so kombinieren, dass effizientere oder kosteneffektivere, variantenbasierte Prozessabläufe entstehen.
- Webdesign, Software-Architektur und -Design: Verschiedene Elemente kombinieren, um neue und einzigartige IT-Designs zu erstellen.
- Forschung und Entwicklung: Unterschiedliche Untersuchungsparameter erneut kombinieren, um neue Impulse, Ideen, Ansätze oder Konzepte zu generieren.
Der morphologische Kasten lässt sich als Methode sowohl von einer Person, beispielsweise aus dem Management, als auch in kleinen Gruppen, etwa einem Projekt- oder Entwicklungsteam, anwenden. Das größte kreative Potenzial entfaltet das Verfahren, wenn die Beteiligten aus verschiedenen Bereichen kommen. Dadurch bekommt man verschiedene Meinungen und Sichtweisen und kann so das Problem aus mehreren Perspektiven betrachten. So wird es möglich, verschiedenste Lösungsvorschläge durch Kombination und Variation von Faktoren zu einer konkreten Fragestellung zusammenzustellen und die Tauglichkeit von Alternativen abzuschätzen und zu beurteilen.
Vorgehen
Die zu untersuchende Fragestellung wird strukturiert in einzelne Aspekte aufgegliedert, für welche die möglichen Variationen angegeben werden. Das Ergebnis ist eine Tabelle oder zweidimensionale Matrix mit Parametern und deren Ausprägungen. Durch Auswahl und Kombination der vielfältigen Faktoren lassen sich dann die vorhandenen Alternativen aufzeigen. Unter diesen können verschiedene innovative, zielführende Ansätze identifiziert werden. Diese werden dann in Form einer Liste schriftlich fixiert und durch Priorisierung in eine Rangfolge gebracht.
Das Vorgehen lässt sich in die folgenden fünf Schritte untergliedern:
- Problem definieren
- Relevante Parameter (Merkmale) festlegen
- Parameter-Ausprägungen finden
- Lösungsalternativen finden
- Geeignete Alternativen auswählen
Beispielhaft lässt sich das Vorgehen bei der Ideenfindung anhand einer Produktverpackung darstellen. Gesucht wird ein innovatives Gebinde für Bonbons.
Zunächst wird die Matrixgrundform aufgestellt (siehe Bild 1).
Bild 1: Grundstruktur des morphologischen Kastens
Dann werden die relevanten Parameter identifiziert und die linke Spalte eingetragen (Bild 2).
Bild 2: Beispiele für relevante Parameter einer Bonbonverpackung
Anschließend werden die Ausprägungen bestimmt, die die einzelnen Parameter annehmen können (Bild 3)
Bild 3: Mögliche Ausprägungen der relevanten Parameter einer Bonbon-Produktverpackung
Durch Kombination der einzelnen Ausprägungen jedes aufgelisteten Parameters ergeben sich Lösungsalternativen. Sichtbar gemacht werden können sie durch Pfeile zwischen den zugehörigen Feldern oder farbige Zuordnung (Bild 4). Durch Zusammenstellung bisher unüblicher oder bislang übersehener Ausprägungen ergeben sich Innovationen.
Bild 4: Auswahl von Ausprägungen durch farbige Markierung
Die vier gefundenen Teillösungen können jetzt priorisiert und weiter spezifiziert werden, beispielsweise so:
- Bonbontüte: exzentrischer, hochwertiger Beutel in Schlauchform aus geprägtem Leder in mattschwarz, Füllmenge 125 g
- Bonbonglas: Kubisches, glattes, farblos-milchiges Glasgefäß mit einer Füllmenge von 250 g
- Bonbonspender: kantiger Behälter aus transparentem Kunststoff mit Sprenkeln als Muster, genoppt für bessere Haftung in der Hand, Füllmenge 25 g
- Bonbonrolle: zylindrische Rolle aus gelacktem, blickdichtem Papier in den Farben des Regenbogens, Gebindegröße 75 g
Voraussetzung für die Anwendung des morphologischen Kastens ist, dass die Aufgabe und die damit zusammenhängenden Bedingungen soweit bekannt sind, dass relevante Faktoren erkannt werden können. Die Informationen darüber sollten möglichst vollständig sein; es bietet sich daher an, Personen aus allen beteiligten Fachbereichen und Disziplinen bei der Anwendung dieser Methode einzubeziehen, um von dem so summierten Expertenwissen profitieren zu können. Aufbereitet werden können die Daten in Form einer Matrix in der einfachsten Form auf einem Flipchart oder Whiteboard; bei komplexeren Aufgabenstellungen können auch ein Tabellenkalkulationsprogramm oder eine Datenbank genutzt werden. Obwohl die Methode ohne Vorkenntnisse anwendbar ist, sollte ein erfahrener Moderator die Gruppe bei der Durchführung begleiten und unterstützen.
Vorteile und Nachteile
Wie jede Methode hat auch der Einsatz des morphologischen Kastens Vor- und Nachteile.
Zu den Vorteilen gehört beispielsweise:
- Die Methode ist schnell erklärt und einfach durchführbar.
- Sie eignet sich zur Analyse komplexer Aufgaben und Problemstellungen mit vielen Einflussfaktoren.
- Der Analysegegenstand wird durch die Aufgliederung in relevante Parameter und deren Ausprägungen umfassend beschrieben. Hier ist die disziplinenübergreifende Zusammensetzung der Gruppe wichtig, um alle Aspekte einbeziehen zu können.
- Durch die systematische Gegenüberstellung von relevanten Parametern und deren möglichen Ausprägungen werden alle für die Entscheidungsfindung nötigen Faktoren übersichtlich dargestellt.
- Die übersichtliche Darstellung erlaubt das leichte Kombinieren der Faktoren. So können schnell neue und innovative Lösungen identifiziert werden.
- Das Zusammenwirken von Fachkräften aus unterschiedlichen Disziplinen mit differenzierten Sichtweisen führt dabei zu neuen Perspektiven und Lösungsansätzen.
Einige der folgenden Nachteile werden schon bei der Nennung der Vorteile sichtbar:
- Die relevanten Parameter und Ausprägungen müssen bekannt sein, da eine falsche oder unvollständige Auswahl den Lösungsraum beschneidet und die Qualität der Lösungsansätze mindert. Hier gilt das MECE-Prinzip: „Mutually Exclusive and Collectively Exhaustive“, frei übersetzt also „überschneidungsfrei und vollständig“.
- Werden nicht disziplinenübergreifend Fachkräfte einbezogen, fehlt deren Expertise sowohl bei der Aufstellung einer vollständigen Matrix als auch bei der Bewertung der gefundenen Kombinationen als Lösungsansätze.
- Die Auswertung wird bei einer Vielzahl von Parametern und Ausprägungen schnell unübersichtlich und zeitintensiv.
- Die hohe Anzahl von Lösungsansätzen kann bei deren Auswahl und Priorisierung zur Herausforderung werden.
Ganz generell gilt: Der Lösungsraum wird bereits durch die Wahl der Parameter eingeschränkt, sodass selten völlig neuartige – disruptive – Lösungen gefunden werden. Mithilfe des morphologischen Kastens ist es daher kaum möglich, komplett neue Ideen zu generieren. Er eignet sich aber bestens, um vorhandene Informationen aus neuen Perspektiven umfassend zu betrachten und so zu neuartige Alternativen zu kombinieren.