Überlastung – Muri


Überlastung – Muri

Definition

Der japanische Ausdruck „Muri“ wird üblicherweise mit „Überlastung“, „Unangemessenheit“ oder „Maßlosigkeit“ übersetzt. Muri kann sich dabei sowohl auf den privaten als auch auf den beruflichen Bereich beziehen – wobei zwischen beiden natürlich ein Zusammenhang besteht – sowie auf Menschen, technische Einrichtungen und Organisationen. Die Überlastung von Organisationen lässt sich aber in den meisten Fällen auf mangelnde personelle, technische oder ausstattungsmäßige Kapazitäten sowie ineffiziente Prozesse zurückführen – und damit letztlich ebenfalls auf Menschen – Mitarbeiter und Management – und Gerätschaften.

Die drei Mus

Insbesondere im industriellen Umfeld ist Muri zusammen mit Muda (Verschwendung) und Mura (Unausgeglichenheit) Teil der 3M-Triade des Toyota-Produktionssystems. Das 3M-Lean-Konzept befasst sich mit allen Formen von Verschwendung, die in einem Prozess festgestellt werden können und deren Beseitigung zu einer höheren Effizienz und schnelleren Lieferung führen soll.

Denn allen drei Faktoren ist gemein, dass sie den Wertstrom in einer Organisation negativ beeinflussen. Deutlich wird dies insbesondere in produzierenden Unternehmen oder Veredelungsbetrieben, da die Effizienz der wertschöpfenden Prozesse darunter leidet und die Produktivität sinkt. Aber auch bei Dienstleistungsanbietern und Verwaltungseinrichtungen treten Verschwendung, Abstimmungsprobleme und Überlastung auf: Die 3Ms sind allgegenwärtig.

Überlastung von Personal und Technik

Von Muri, also Überlastung, betroffen sein können Menschen genauso wie Maschinen. Dabei beschreibt Muri Verluste, die durch eine Überbeanspruchung im Rahmen des Arbeitsprozesses entstehen. Man unterscheidet hierbei zwischen der Überlastung des Handhabungs- und des Herstellungsprozesses. Die Verluste im Handhabungsprozess entstehen durch physische und auch psychische Überbeanspruchung der Mitarbeiter und äußern sich in Form von Übermüdung, Stresserscheinungen, erhöhter Fehlerhäufigkeit und steigender Arbeitsunzufriedenheit. Im Herstellungsprozess auftretende Überlastung beruht meist auf fehlerhaft ermittelten Vorgabezeiten für Arbeitstakt und Werkzeugwechsel sowie auf mangelnder Harmonisierung des Produktionsflusses. Die Folge sind Warteschlangen vor den Maschinen und Bildung von Zwischenlagern, die wiederum Störungen und Fehler im Produktionsablauf verdecken.

Der Faktor Mensch

Muri entsteht durch fortwährende Über- oder Fehlbeanspruchung des Personals. Betroffen sein können alle Mitarbeiter und Führungskräfte in allen Branchen, in Produktions-, Dienstleistungs- und Verwaltungseinrichtungen, und unabhängig von der Größe der Organisation.

Um das Ausmaß der Be- oder Überlastung durch die Arbeit festzustellen, muss zwischen Psyche und Physis unterschieden werden, also zwischen psychischen und körperlichen Beanspruchungen. Ausschlaggebend sind die psychosozialen Bedingungen (nicht nur) am Arbeitsplatz sowie die physiologische Leistungsfähigkeit. Individuell sehr verschieden ist, wann eine Beanspruchung zur Be- und Überlastung wird. Dies hängt von der psychischen und physischen Konstitution der Einzelperson ab.

Psychosoziale Bedingungen

Die Ursachen einer psychischen Überlastung sind vielfältig. Dazu gehören unter anderem:

  • mangelndes Fachwissen aufgrund unpassender oder nicht ausreichender Qualifikation für die Ausführung der übertragenen Aufgabe;
  • die Zuweisung und Übernahme von (zu großer) Verantwortung;
  • eine Überforderung durch Zeit- oder Termindruck sowie ständige Erreichbarkeit;
  • mangelnde Kommunikation oder Informationsüberflutung;
  • fehlende Einbindung in die Sozialstruktur der Organisation;
  • schlechtes Arbeits- oder Betriebsklima;
  • Motivationsdefizite;
  • zu geringes Selbstwertgefühl;
  • unklare Schnittstellen, Zuständigkeiten und Kompetenzen;
  • häufige Störung des Arbeitsablaufs.

Physiologische Leistungsfähigkeit

Die physiologische Leistungsfähigkeit setzt dem Menschen natürliche – individuelle – Grenzen. Als Ursachen einer körperlichen Überbeanspruchung gelten unter anderem:

  • unzureichende Kraft und Ausdauer für die auszuführende Tätigkeit;
  • eingeschränkte Beweglichkeit, fehlende Schnelligkeit oder zu geringe Reaktionsfähigkeit;
  • (kognitive) Einschränkungen im Bereich der (Sinnes-)Wahrnehmung;
  • belastende Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Feuchtigkeit, Licht/Strahlung, Lärm, Vibrationen, Gerüche, Gefahrstoffe;
  • bestehende Krankheiten.

Überbeanspruchung entsteht, wenn Mitarbeiter die mangelnde Abstimmung in den Arbeitsabläufen (Mura) oder Einschränkungen aufgrund eines unvorteilhaften oder unergonomischen Anlagen- oder Arbeitsplatz-Layouts (Muda) durch persönlichen Einsatz auffangen und abfedern müssen. Arbeitsspitzen, Mehrarbeit oder schneller getaktete Arbeitsabläufe sind häufig die Folge, Termin- und Leistungsdruck werden aufgebaut. Das Resultat sind eine steigende Fehlerquote und eine geringere Ergebnisqualität – es kommt zur Verschwendung (Muda), da Ausschuss anfällt oder Nacharbeit nötig wird. Auf die psychische und körperliche Be- und Überlastung reagiert der Mensch mit Übermüdung, Stress, Depressionen und anderen Krankheitssymptomen. Es kommt vermehrt zur Arbeitsunfähigkeit, die durch Mehrarbeit der Teammitglieder aufgefangen werden muss. Die Folge: Das Betriebsklima leidet.

Der Faktor Maschine

Werden Maschinen und Anlagen kontinuierlich mit grenzwertig hoher (Takt-)Geschwindigkeit gefahren, führt dies zu übermäßigem Verschleiß, verringerter Passgenauigkeit bei der Teilefertigung, hoher Verbräuche an Energie und Betriebsstoffen (wie Kühl- und Schmiermitteln) sowie sonstigen Störungen. Auch häufiges Umrüsten, etwa zur Befriedigung individueller Kundenwünsche durch kleine Losgrößen, kann zur Überbeanspruchung durch Abnutzung der Ausrüstung führen – und zudem zu Zeitverlusten, die (von den Beschäftigten) kompensiert werden müssen. Die Dauerbelastung wird sichtbar in Materialermüdung und hoher Abnutzung, in Qualitätseinbußen bei den Produkten und in unproduktiven Stillstands- und Ausfallzeiten.

Muri minimieren: das Lean-Konzept

Das Lean-Konzept bietet verschiedene Werkzeuge und Praktiken an, den negativen Effekt der Überlastung zu beseitigen oder zumindest auf ein Minimum zu reduzieren. Da Muda, Mura und Muri sich gegenseitig bedingen und eng miteinander wechselwirken, ist die Abstimmung aller Produktionsfaktoren aufeinander zu optimieren. So lässt sich dann auch die Überlastung von Mensch und Maschine minimieren.

Überlastung lässt sich am einfachsten vermeiden durch eine vorausschauende Planung und Organisation von Abläufen. Ob es sich um Produktionsprozesse handelt, um Dienstleistungen oder Verwaltungsakte, ist dabei unerheblich. Schon beim Entwurf des Layouts einer Anlage oder der Entwicklung einer Maschine, vor der Einrichtung eines Arbeitsplatzes oder dem Angebot einer Dienstleistung ist zu überlegen, wie Prozesse möglichst gut koordiniert – also aufeinander abgestimmt – werden können, um Verschwendung und Überlastung zu vermeiden. Die ergonomische Gestaltung von Arbeitsmitteln und Arbeitsplätzen ist dabei ein entscheidender Faktor für ein über- und fehlbelastungsfreies Arbeiten.

Die Mitarbeiter

Durch Prozess-Standardisierung wird sichergestellt, dass jeder Mitarbeiter die richtige Arbeit auf die beste Weise leisten kann. Denn jedes Teammitglied behält so eher den Überblick – nicht nur über die jeweils eigenen Tätigkeiten, sondern auch über die an vor- und nachgelagerten Stellen – Muri wird vermieden. Weitere Maßnahmen zur Verringerung von Muri sind beispielsweise:

  • die Standardisierung von Arbeiten und Arbeitsmitteln (auch Formularen und Software);
  • die Einführung von Kanban oder Andon als Instrumente zur zielgerichteten Kommunikation und Prozesssteuerung;
  • die Umsetzung des 5S- bzw. 6S-Konzepts an den Arbeitsplätzen (Seiri: Aussortieren, Seiton: Aufräumen, Seisô: Sauberkeit, Seiketsu: Zustandserhaltung, Shitsuke: Selbstdisziplin und eventuell Shûkan: Automatisierung);
  • Jidoka als „Not-Halt-Einrichtung“ bei Zwischen- oder Störfällen.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen kann durch Schulung der Mitarbeiter gefördert werden. Führungskräfte sollten ihnen die Lean-Philosophie vermitteln, sie weiter qualifizieren und ihre Kompetenzen erweitern. So motiviert und zu einem eigenverantwortlichen Handeln fähig verliert Muri an Bedeutung.

Die technische Ausstattung

Durch die Einführung der Total Productive Maintenance (TPM) – ein etabliertes Mittel zur Reduktion von Muri – können Laufzeiten von Maschinen und Anlagen erhöht sowie Störungen und Ausfälle reduziert werden. Dabei kann zwischen drei Formen des Unterhalts von Gerätschaften differenziert werden: der korrektiven, der präventiven und der autonomen Wartung bzw. Instandsetzung.

  • Unter einem korrektiven Instandhaltungsmanagement versteht man die Reaktion auf Störfälle. Diese ist unumgänglich, um Stillstände und damit Produktionsausfälle zu vermeiden. Aber diese Form ist nicht nachhaltig, da weder die Maschinenlaufzeiten verlängert noch die Prozessqualität verbessert werden.
  • Erst mit einem präventiven Instandhaltungsmanagement wird die Beanspruchung von Maschinen und Teilen reduziert und Muri verhindert. Dabei werden die Produktions- oder Arbeitsmittel regelmäßig kontrolliert; Teile, die in absehbarer Zeit die Verschleißgrenze erreichen oder aus anderen Gründen den Ansprüchen des Einsatzes nicht mehr genügen, werden ausgetauscht.
  • Ein autonomes Instandhaltungsmanagement ist etabliert, wenn die Mitarbeiter vor Ort selbst als Experten den Zustand der von ihnen geführten Maschine beurteilen und vorbeugende Maßnahmen zum langfristigen Erhalt der Funktionsfähigkeit treffen. Voraussetzung sind qualifizierte und motivierte Mitarbeiter, die eigenverantwortlich und selbstständig handeln. Hier ist die Reduktion von Muri maximal.

Fazit

Muri, Überlastung, bei Mensch und Maschine kann unter anderem auf Mura, mangelhafter Abstimmung, beruhen und verschiedene Arten von Muda, Verschwendung, verursachen. Die Folgen der Überlastung können gravierend sein. Beim Menschen sind sowohl psychische als auch physische Schäden durch hohe Dauerbeanspruchungen möglich. Bei Geräten und Anlagen führt Muri zu übermäßigem Verschleiß und Ausfällen.

Vermieden werden kann Muri bereits in Planungs- und Entwicklungsphasen durch eine vorausschauend aufeinander abgestimmte Organisation von Abläufen und das Layout der Arbeitsumgebung. Bestehende Arbeitsplätze und Vorgehensweisen können ergonomisch gestaltet werden. Prozesse sind möglichst zu vereinfachen und zu entzerren, um Arbeitsspitzen zu vermeiden.

Die Mitarbeiter selbst können viel zur Vermeidung von Muri beitragen, wenn sie den Lean-Ansatz umsetzen. Dazu sind Fort- und Weiterbildungen nötig – und Führungskräfte, die diesen Gedanken mittragen und auf ein motiviertes Team setzen, das in seinem Verantwortungsbereich selbstständig und eigenverantwortlich reagieren kann.

Auf technischer Ebene kann die Total Productive Maintenance durch ein mindestens präventives Instandhaltungsmanagement Störungen, Stillstände und Ausfälle verhindern. Die verlängerten Laufzeiten der Anlagen verringern belastende Arbeitsspitzen und führen zu einer gleichmäßigeren Produktion – Muri nimmt ab.

Die Organisation und Abstimmung von Prozessen (Mura) reduziert die Überlastung (Muri). So kann der Verschwendung (Muda) vorgebeugt werden. Maßnahmen im Bereich Mura und Muri sollten daher denen zur Reduktion von Muda immer vorangehen.

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