Das produzierte Gut oder die Dienstleistung bieten im Vergleich zu den Ausgangsprodukten, -materialien oder -zuständen eine höhere oder gänzlich anders geartete (Produkt-)Qualität oder (Kunden-)Zufriedenheit. Im Verlauf eines Herstellungs-, Verarbeitungs-, Veredelungs- oder Dienstleistungsprozesses – des Wertstroms – wird ein (steuerlich relevanter) Mehrwert geschaffen.
Die Wertschöpfungskette, auch Wertkette oder Value Chain genannt, ist im engeren Sinn die sach- und funktionslogische Verbindung von Vorgängen zur Schaffung eines Mehrwerts. Betrachtet werden kann sie organisationsintern und organisationsübergreifend. Intern handelt es sich um alle Prozesse, die von der Anlieferung der Ausgangsprodukte und -materialien über den Einsatz der Produktionsfaktoren – Personal, Arbeitsmittel, Materialien – bis zum anwendbaren Produkt oder dem Erbringen der Dienstleistung direkt oder indirekt eingesetzt werden. Organisationsübergreifend ist darunter das Zusammenwirken der Wertketten aller Beteiligten, also auch der Zulieferer und Abnehmer, zu verstehen. Sie bilden zusammen ein Wertketten- oder Wertschöpfungssystem – die sogenannte Supply Chain oder Lieferkette.
Im weiteren Sinn bezeichnet der Begriff „Wertschöpfungskette“ zusätzlich den hinter der Wertkette stehenden Managementprozess. Dies wird auch in den Wertschöpfungskettendiagrammen sichtbar, wenn die Wertschöpfung in die Teilprozesse Führungs-, Kern- und Unterstützungsprozesse gegliedert wird.
Ein Diagramm ist eine (letztlich abstrakte) grafische Darstellung, die Größenverhältnisse und Zahlenwerte oder Sachverhalte sowie Zusammenhänge in möglichst anschaulicher, leicht überblickbarer Form abbildet. Ein Wertschöpfungskettendiagramm (WKD) als Spezialform eines solchen Schaubilds wird eingesetzt, um (betriebliche) Abläufe und Geschäftsprozesse modellhaft darzustellen.
Das WKD als Abbildung der Organisation
Ein Wertschöpfungskettendiagramm (WKD) gibt auf der ersten Betrachtungsebene einen Überblick über den Kernprozess einer Organisation (im einfachsten Fall; bei einem entsprechend diversifizierten Angebotsportfolio kann es sich auch um mehrere Kernprozesse handeln). Durch diesen fließt der Wertstrom und in ihm wird der Mehrwert geschaffen: Hier findet die direkte Wertschöpfung statt. Die wichtigste Beziehung zwischen den einzelnen Elementen in diesem Prozess ist die Darstellung der Reihenfolge, in der sie aufeinander folgen: Hier wird die „interne Kunden-Lieferanten-Beziehung“ anhand der vorangehenden und der nachfolgenden Stationen sichtbar. Je nach Grad der Detaillierung kann es sich bei den „Lieferanten“ und „Kunden“ um Abteilungen, Fertigungsstufen oder Arbeitsabläufe handeln. Die Darstellung ist damit prozessorientiert, denn verfolgt wird der Ablauf; abgebildet wird so die Ablauforganisation.
Auf einer zweiten Betrachtungsebene können die hierarchischen Zusammenhänge dargestellt werden: Führungsebenen, Verantwortlichkeiten, Schnittstellen und Zuständigkeiten werden hier sichtbar, indem Planungs-, Steuerungs- und Leitungs- sowie Überwachungs- und Kontrollfunktionen abgebildet werden. Aus dieser funktionsorientierten Perspektive lässt sich die Aufbauorganisation erkennen.
Ergänzt werden sollte diese Ansicht durch das Einbeziehen der unterstützenden Prozesse als dritter Ebene. Diese sind selbst nicht direkt wertschöpfend, tragen aber indirekt zur Generierung von Mehrwert bei, da sie für die Aufrechterhaltung und Abwicklung der Vorgänge im Unternehmen notwendig sind. Typische Elemente sind administrativ tätige Einheiten wie die Buchhaltung oder das Personalwesen sowie Stabsstellen wie das Qualitäts-, das Sicherheits- oder das Umweltmanagement. Die Zusammenhänge können dabei als sowohl prozessorientiert als auch funktionsorientiert interpretiert und entsprechend dargestellt werden.
Abb. 1: Die drei Ebenen eines Wertschöpfungskettendiagramms
Alle drei Ebenen können beliebig viele weitere Elemente enthalten und beispielsweise durch Meilensteine, Zeitvorgaben, Personaleinsatz, Kosten oder Dokumente strukturiert, konkretisiert und mit (detaillierten) Informationen versehen werden.
Einsatzmöglichkeiten des WKD
Mit dem Wertschöpfungskettendiagramm können die wesentlichen Faktoren einer Organisation abgebildet werden: Funktionen, Aufgaben, Prozesse, Abläufe – bis hinunter zu Tätigkeiten von einzelnen Personen aller Einheiten und Hierarchiestufen. Diese Darstellung der Aufbau- und Ablauforganisation ermöglicht einen Einstieg in die Wertstromanalyse, das Wertstromdesign und letztlich die Geschäftsprozessmodellierung und in Change-Prozesse.
Wird das Diagramm aufgrund der Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren zu komplex und damit unübersichtlich, sollten einzelne Elemente aus dem WKD herausgezogen werden. So können auf Ebene der eigenen Organisation Bestandteile detaillierter aufgeschlüsselt werden (siehe Abb. 2). Bei einer organisationsübergreifenden Darstellung der Wertschöpfungskette können mit diesem Verfahren auch einzelne Organisationen eingehender betrachtet werden (Abb. 3).
Abb. 2: Beispiel: detailliertere Darstellung einer organisationsinternen Station im WKD
Abb. 3: Beispiel: detailliertere Darstellung einer Station in der Supply Chain
Ein Ansatz zur Dynamisierung des WKD
Das Wertschöpfungskettendiagramm bildet den Ist-Zustand der Wertschöpfungskette einer Organisation ab – oder, im Idealfall nach einer Wertstromanalyse, auch das mithilfe des Wertstromdesigns entwickelte Bild eines Soll-Zustands. Eine Bewertung der Dynamik der einzelnen Elemente – also die Änderung ihrer Bedeutung über die Zeit findet nicht statt und kann auch nicht vorgenommen werden.
Ein Ansatz, dieses statische Konzept zu dynamisieren und damit auch eine strategische Einordnung zu ermöglichen, wurde von Simon Wardley entwickelt. Die nach ihm benannte Wardley-Map weist zwei Dimensionen auf:
- Sie besteht einerseits aus einem Zeitstrahl, auf dem die Elemente der Wertschöpfungskette nach dem Status, den sie in ihrem Lebenszyklus erreicht haben, positioniert werden – von der Erfindung über den Prototyp bzw. die Einzellösung und das Massenprodukt bis zum (austauschbaren) Standard.
- Andererseits wird die Sichtbarkeit der einzelnen Faktoren beurteilt – aus Kundenperspektive. Die Elemente der Wertschöpfungskette werden dabei eingeordnet von internen Ressourcen bis hin zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse. Damit kommt sie dem Lean-Ansatz mit der ausgeprägten Kundenorientierung als einem seiner Grundpfeiler entgegen.
Anders interpretiert: Bezogen auf den Produktlebenszyklus reicht das Spektrum von der Innovation über das individualisierte Produkt („Losgröße 1“) und die (Klein-)Serienfertigung bis hin zur Massenproduktion. Die Kundenperspektive, angelehnt an das Kano-Modell der Kundenzufriedenheit, spannt den Bogen von den internen Produktionsfaktoren über Basis- und Leistungs- bis hin zu Begeisterungsfaktoren (Abb. 4).
Abb. 4: Die Wardley-Map, interpretiert nach dem Kano-Modell
Da der Lebenszyklus und die Kundenzufriedenheit in die Bewertung der Leistungselemente einfließen und beide Faktoren zeitabhängig sind, erhält das WKD eine eigene Dynamik. Eine regelmäßige Neueinordnung und Neubewertung von Leistungsangebot und Kundennachfrage ermöglicht die Beurteilung der Wertschöpfungskette und bietet damit eine Grundlage für strategische Entscheidungen.
Fazit
Wertschöpfungskettendiagramme können Geschäftsprozesse übersichtlich und leicht verständlich darstellen. Dabei ist es möglich, sowohl die Ablauf- als auch die Aufbauorganisation abzubilden. Führungs-, Kern- und unterstützende Prozesse werden so sichtbar.
Mit steigender Komplexität bzw. Anzahl von Elementen werden WKD aber zunehmend unübersichtlich. Hier hilft das Vorgehen „vom Groben ins Detail“: Aus den vorhandenen Übersichtsdiagrammen werden dann einzelne, besonders interessierende Elemente herausgezogen und selbst in Form eines WKD weiter detailliert.
Eine Dynamisierung des WKD ermöglicht die Bewertung von Entwicklungen und liefert die Basis für strategische Entscheidungen.