Änderungsmanagement
Wer kundenorientiert oder sogar agil arbeiten möchte, hat während eines laufenden Projekts das Zwischenergebnis oder einen erreichten Meilenstein immer wieder mit den Auftraggebern abzugleichen. Ändern sich die Anforderungen an das Ergebnis – aufgrund neuer Wünsche, bisher nicht formulierter Bedürfnisse oder unvorhergesehener Bedarfe – müssen Änderungen vorgenommen werden.
Das Änderungsmanagement umfasst den Umgang mit veränderten Rahmenbedingungen, Aufgaben oder Anforderungen bei der Bearbeitung eines Auftrags oder während eines Projekts. Ziel ist die Anpassung und Abstimmung der eigenen Aktivitäten an den Wandel und die neue Situation. Eine mögliche Vorgehensweise dazu ist Scrum.
Abgrenzung
Der Begriff „Änderungsmanagement“ ist nicht exakt definiert und wird in unterschiedlichen Kontexten mit unterschiedlichen Bedeutungen verwendet. Über die direkte Übersetzung ins Englische wird er oft mit „Change Management“ gleichgesetzt, was nicht korrekt ist und zu Missverständnissen führt. Die richtige Bezeichnung lautet „Change Request Management“.
Eine Unterscheidung kann anhand der Ausführungsebene erfolgen: Das Veränderungsmanagement als Change Management bezieht sich auf Unternehmensebene auf die Anpassung von Strategien, Strukturen und Prozessen sowie Abläufen und Verhaltensweisen. Das Change Management zielt damit auf Veränderungen in der Aufbau- und der Ablauforganisation. Das Änderungsmanagement, also das Change Request Management, läuft „auf Nachfrage“ (request) der Kundschaft oder des Auftraggebers auf Projektebene ab. Ziel ist stärkerer Bezug zum Kunden – die Kundenorientierung als einer der Leitgedanken im Lean Management.
Definition
Der Begriff „Änderungsmanagement“ ist in der DIN 69901, „Projektmanagement – Projektmanagementsysteme“, in Teil 5, „Begriffe“ definiert. Gemäß Norm umfasst das Änderungsmanagement alle Maßnahmen und Tätigkeiten zur „Erfassung, Bewertung, Entscheidung, Dokumentation und Steuerung der Umsetzung von Änderungen“. Allerdings ist die Norm weder für Europa noch international standardisiert, was an den fehlenden Kürzeln „EN“ und „ISO“ zu erkennen ist.
Im US-amerikanischen Sprachraum ist die Bezeichnung „Change Control“ verbreitet. Sie beruht, ebenso wie die ausgeführten Spezifikationen zur Anwendung und Umsetzung, auf dem PMBOK® Guide „Project Management Body of Knowledge“. Dieses Grundlagenwerk wird vom Project Management Institute (PMI®) herausgegeben und gilt als ANSI- (American National Standards Institute) Standard. Weltweit etabliert hat sich auf dieser Basis PRINCE2 (PRojects IN Controlled Environments) als Projektmanagementmethode. Daran wird deutlich, dass der Umgang mit Änderungsanträgen (Change Request, CR) zu den wesentlichen Aufgaben der Projektsteuerung gehört.
Ursachen
Ein Änderungsmanagement kann nötig werden, wenn Pläne angepasst werden müssen, um ein vorgegebenes Ziel zu erreichen, oder wenn sich die inhaltlichen Anforderungen ändern – bzw. wenn sich herausstellt, dass eine Anforderungsanalyse nicht zu einem in sich widerspruchsfreien Ergebnis geführt hat. Die Ursachen können intern, aber auch extern zu verorten sein.
Zu den internen Einflussfaktoren gehören unter anderem:
- falsche Annahmen, Berechnungen und Voraussetzungen, etwa bei der Verfügbarkeit von Ressourcen wie Personal, Gerätschaften, Material, Lagerflächen, Zeit, Finanzmittel;
- Änderungen in der Zusammensetzung des Projektteams oder in Leitungsfunktionen;
- Zugewinn oder Abfluss an Know-how;
- geänderte interne Rahmenbedingungen, Prioritäten und Vorgaben.
Zu den externen Einflussfaktoren zählen unter anderem:
- sich wandelnde Kundenwünsche, Trends und Märkte;
- die Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen;
- Änderungen in der Zusammensetzung der externen Auftraggeber;
- technische Entwicklungen;
- sich ändernde zeitliche, gesellschaftliche, finanzielle und rechtliche Rahmenbedingungen.
Auswirkungen
Jede Änderung in einem Projekt löst eine Neuausrichtung aus. Eine Planung als Anpassung an die neuen Umstände kann sich als mehr oder weniger aufwendig erweisen. Dies hängt davon ab, in welcher Phase des Projekts man sich befindet.
Generell gilt: Je eher Änderungswünsche im Projekt formuliert und durchgesetzt werden, desto besser lassen sie sich bei der Umsetzung berücksichtigen – und umso geringer ist die finanzielle Belastung:
- Befindet sich das Projekt erst in der Planungs- oder Anlaufphase, kann noch mit geringem Aufwand umgesteuert werden. In dieser Frühphase lassen sich auch größere Änderungswünsche noch berücksichtigen, da dies zwar eine Neuplanung voraussetzt, aber erst wenige grundlegende Entscheidungen zu den einzuschlagenden Wegen gefällt und konkretisiert wurden.
- Ist das Projekt aber fortgeschritten und sind auf dem Weg zum – nicht mehr – gewünschten Ergebnis schon einige Entwicklungsschritte erfolgt und Meilensteine erreicht, wird die Realisierung von Änderungswünschen kostspielig. Zudem besteht die Schwierigkeit, bestehende Zwischenprodukte „rückwirkend“ an die neuen Bedürfnisse anzupassen. Möglicherweise von Kundenseite bereits abgenommene Versionen müssen dann angepasst, abgeschlossene Teilprojekte nachgebessert werden.
Eine gutes Änderungsmanagement kann darin bestehen, bei Bedarf das Projekt neu auszurichten und zu steuern. Eine andere Vorgehensweise besteht darin, die Möglichkeit von Änderungen von vornherein zu antizipieren und durch geeignete Maßnahmen – wie agiles Arbeiten oder Scrum – abzufedern.
Die Projektsteuerung: Beteiligte und Vorgehen
Grundlage für ein erfolgreiches Änderungsmanagement ist ein definierter, transparenter Entscheidungsprozess. Bei kleineren Projekten kann dieser unter den Beteiligten – dem Projektteam samt Leitung und einer Vertretung der Auftraggeberseite – abgesprochen und festgelegt werden.
Bei größeren Projekten mit längerer, auch mehrjähriger Laufzeit und unter Umständen hohem finanziellen Einsatz und Risiko wird in der Regel ein Change Control Board (CCB) etabliert. Dabei handelt es sich um ein offiziell ernanntes Steuerungsgremium für Änderungen, das aus Stakeholdern des Projekts besteht. Ein solches Gremium besteht zumindest aus hochrangigen Vertretern der Auftragnehmer- und Auftraggeberseite. Dazustoßen können Sachverständige, Gutachter, Geldgeber und teils auch noch Vertreter aus der Politik; aus dem Bausektor und aus dem Bereich Infrastruktur sind zahlreiche Beispiele bekannt. Das CCB legt die Kriterien für eine Ablehnung bzw. Annahme eines Änderungsantrags fest und genehmigt die Änderungen – oder lehnt sie ab.
Der Änderungsantrag
Der Änderungsantrag, der dem CCB vorgelegt wird, – auch Änderungsanforderung oder Change Request genannt – ist das zentrale Element zur Bewertung einer Änderung. Er sollte es ermöglichen, alle Informationen strukturiert zu erfassen, die für den anschließenden Genehmigungsprozess notwendig sind.
Auf seiner Basis werden drei Aspekte betrachtet:
- Im Rahmen einer Impact-Analyse werden zunächst die Auswirkungen auf Ressourcen (Personal, Material, Geräte, Finanzen, Zeit) überprüft.
- Es folgt die Beurteilung der Risiken, die sich im Hinblick auf den Umfang des Projekts ergeben. Ein Fokus liegt unter anderem auf den aus der Änderung resultierenden Folgen – hier kann es zu einem Dominoeffekt als Kaskade von abgeleiteten Anforderungen kommen. Auch die Qualität der Ausführung wird betrachtet.
- Schließlich werden die Dringlichkeit und die Priorität der Änderung beurteilt.
Die Rollen
Ein wirksames Änderungsmanagement beruht auf einer klaren Zuordnung der Rollen unter den Beteiligten. Bereits bei kleineren Projekten sind die Positionen Auftraggeber als Initiator und Projektleiter bzw. Project Owner als Projektverantwortlicher sowie Mitglieder des Projektteams klar definiert.
Bei größeren Vorhaben können diese Funktionen ergänzt werden durch Teilprojektleiter, Zulieferer aus anderen Abteilungen wie Verwaltung, IT, Marketing, Vertrieb oder externen Dienstleistern.
Darüber hinaus sind auch die Kommunikationswege abzusprechen, um den Informationsfluss zwischen den Projektbeteiligten zu steuern und abzusichern. Festgelegt werden sollte unter anderem, wer an wen in welcher Form und in welchen Intervallen berichtet und welche Regeln für Ausnahmesituationen – Notfälle – gelten.
Die Umsetzung
Der erste Schritt auf dem Weg zur Umsetzung ist die Entscheidung des CCB über die Freigabe der Änderung. Die Durchführung der Änderung wird an die Projektleitung bzw. den Project Owner delegiert. Deren Aufgabe ist die Priorisierung und die Planung der Anpassungen. Mit der Umsetzung betraut wird das Projektteam, das möglicherweise in seiner Zusammensetzung oder durch (Neu-)Definition von Verantwortlichkeiten an die neue Aufgabe angepasst werden muss.
Ist die Änderung durchgeführt bzw. implementiert, muss sie getestet werden. Das Ergebnis der Anpassung kann beispielsweise eine Software oder ein Produktprototyp mit der gewünschten, geänderten Funktionalität sein. Als Meilenstein ist das Produkt dann dem Auftraggeber zur Abnahme vorzulegen. Wird die Abnahme verweigert oder nur mit Einschränkungen erteilt, sind Nachbesserung erforderlich, bis eine Freigabe erfolgt.
Vom Änderungsantrag bis hin zur Abnahme des angepassten Produkts sind alle Vorgehensweisen und Verfahrensschritte im Projekt zu dokumentieren. Besteht das Projekt aus der Entwicklung von Geräten, Anlagen oder Software, sind zudem Anleitungen zur Bedienung und Wartung zu erstellen.
Mögliche Folgen
Wer eine Änderung initiiert, verursacht zusätzlichen Aufwand und Kosten. Der Aufwand war in den meisten Fällen vor Projektbeginn nicht absehbar, die Kosten in dieser Höhe nicht budgetiert.
Wenn das Projekt zu einem anderen Ergebnis führen soll oder aufgrund der Änderung der vereinbarte Terminplan nicht eingehalten werden kann, werden die am Projekt beteiligten Parteien um die Finanzierung streiten. Die betroffenen Projektparteien werden also in der Regel versuchen, die mutmaßlichen Verursacher regresspflichtig zu machen und Nachforderungen stellen.
Nachforderungen, im englischen Sprachraum „Claims“ genannt, sind bei größeren Projekten durchaus üblich – man denke nur an Stuttgart 21. Für den Umgang mit solchen Nachforderungen wird idealerweise ein spezielles Nachforderungsmanagements (Claim Management) etabliert. Ein erfolgreiches Claim Management besteht darin, die Ansprüche von Auftraggeber- und Auftragnehmerseite festzustellen und anhand der bestehenden Verträge und Änderungsanforderungen abzugleichen. Das Nachforderungsmanagement ist damit zwischen dem Vertragsmanagement und dem Änderungsmanagement positioniert.
Änderungsmanagement als kontinuierlicher Prozess
Änderungen von Anforderungen oder neue Kundenwünsche sind kein einmaliger Vorgang im Projektverlauf, etwa bei der Entwicklung eines komplexen Produkts oder einer Dienstleistung – sie können immer wieder auftreten. Das Änderungsmanagement ist daher als fortwährender Prozess anzusehen, der immer wieder neue Runden erfordert. Denn ohne eine agile Vorgehensweise wird gerade bei länger währenden Projekten das Änderungsmanagement notwendig, um sich an die wandelnden Anforderungen des Marktes oder die sich ändernden Wünsche der Auftraggeber bzw. der Kunden anzupassen.
Agiles Arbeiten als Ausweg?
Im Lean Management verbreitete agile Methoden wie Scrum oder Design Thinking bieten hier eine Alternative zum Änderungsmanagement. Diese Vorgehensweisen greifen den bekannten Ansatz auf. Sie beziehen den Kunden und seine Wünsche oder den Auftraggeber mit seinen Anforderungen in den kreativen Prozess mit ein, um kundenorientiert die bestehenden Bedürfnisse zu befriedigen.
Dieser Ansatz bietet in der digitalisierten und globalisierten VUCA-Welt, in der Unbeständigkeit (Volatility)‚ Unsicherheit (Uncertainty), Komplexität (Complexity) und Mehrdeutigkeit (Ambiguity) vorherrschen, einige Vorteile. Agiles Arbeiten ermöglicht es, die Time-to-Market während der Entwicklung eines Angebots deutlich zu verringern. Der Innovationszyklus wird so beschleunigt und an die immer kürzer werdenden Produktlebenszyklen angepasst. Präsentiert wird dem Auftraggeber nicht mehr das für die Serienfertigung taugliche Ergebnis, stattdessen sind es die Zwischenschritte auf dem Weg dorthin. So können im gegenseitigen Wechselspiel funktionsfähige Entwicklungsstufen durch kontinuierliche Anpassungen in Form und Funktion zum marktreifen Produkt weiterentwickelt werden.
Ihr Ansprechpartner
Torsten Klanitz
Produktmanager
Fon: +49 6151 8801-150