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Der REFA-Blog

15 Jahre ERA-Leistungsentgelt - eine Chance für Unternehmen und Mitarbeiter


Dienstag, 13.08.2019

Das Entgeltrahmenabkommen (ERA) überführte 2004 die bis dahin getrennten Lohn- und Gehaltssysteme von Arbeitern und Angestellten in der Metall- und Elektroindustrie in ein gemeinsames Entgeltsystem. Das Jahrhundertwerk, das die teils aus den 1960er- und sogar den 1920er-Jahren stammenden Tarifverträge ablöste, ist in praktisch allen tarifgebundenen Unternehmen der Branche seit rund zehn Jahren vollzogen.

Als erstes Unternehmen der Metall- und Elektroindustrie setzte zum 01.04.2004 die Modine Neuenkirchen GmbH mit Sitz in Neuenkirchen/Westfalen das ERA um. Etabliert wurde gleichzeitig ein neues Grund- und Leistungsentgelt für Arbeiter und Angestellte. Die Mitarbeiter in den Produktionsgruppen erhielten dabei nach der Methode „Kennzahlvergleich“ eine Arbeitsproduktivitätsprämie. Den Instandhaltern wurde ebenfalls eine Teamprämie zugestanden; Basis dafür war die Arbeitsproduktivität aller fünf Produktionsteams. Die Dienstleister der Produktion, also Produktionsplanung und -steuerung, Qualitätsmanagement usw., erhielten ein Leistungsentgelt, das auf der Basis der Methode „Zielvereinbarungen“ festgelegt wurde. Hier flossen die Faktoren „Arbeitsproduktivität der Produktionsteams“, „Fehlerkosten im Produktionsprozess“, „Reklamationen der Kunden“ und „Umlaufvermögen im Arbeitsprozess“ ein.

Anders als bei Modine wurden bei der Einführung des ERA die tradierten Leistungsentgeltsysteme häufig nicht grundlegend neu gestaltet, sondern „nur“ vom Lohnrahmenabkommen auf das Entgeltrahmenabkommen umgerechnet. Seitdem wurden aber, angepasst an die technologische und organisatorische Entwicklung sowie nicht zuletzt abhängig von den handelnden Personen, auch völlig neue Leistungsentgeltsysteme etabliert. Mit denen können die sich durch das ERA bietenden Chancen genutzt werden. Mit der digitalen Transformation und dem Fortschreiten der „Industrie 4.0“ nimmt der Bedarf an innovativen Leistungsentgeltsystemen auf der Basis des ERA weiter zu.

Kernaspekt ist: In allen Tarifgebieten der Metall- und Elektroindustrie gibt es zusätzlich zum aufgabenbezogenen, personenunabhängigen Grundentgelt ein mitarbeiter- oder teambezogenes Leistungsentgelt.

Leistungsentgelt

Das Prinzip des Leistungsentgelts kann am Beispiel des Tarifvertrags für das Tarifgebiet Baden-Württemberg erläutert werden. Andere Tarifgebiete folgen der gleichen Philosophie, weisen aber teils abweichende Ausführungsbestimmungen auf.

Nach der Einarbeitungszeit bzw. nach spätestens sechs Monaten Betriebszugehörigkeit wird den Mitarbeitern zusätzlich zum Grundentgelt ein Leistungsentgelt gezahlt. Mit diesem wird ein über der tariflichen Bezugsbasis liegendes Leistungsergebnis abgegolten (Info-Kasten). Dabei müssen vergleichbare Leistungsergebnisse zu gleichen Verdienstchancen im Leistungsentgelt führen, unabhängig von den jeweils vereinbarten Methoden zur Ermittlung der Leistung bzw. der Leistungsergebnisse. Im Gegensatz zu früheren Regelungen gibt es also keine methodeninduzierten Unterschiede in der Höhe des Leistungsentgelts mehr. Ansätze wie „mindestens 30 % Leistungsentgelt im Akkordlohn bzw. Prämie, bei durchschnittlich 16 % Leistungszulage aufgrund der individuellen Leistungsbeurteilung“ sind damit passé.

In Baden-Württemberg beträgt die Höhe des tariflichen Leistungsentgelts – methodenunabhängig – im Betriebsdurchschnitt 15 %. Bundesweit variiert dieser Anteil in den einzelnen Tarifgebieten zwischen durchschnittlich 6 % und 15 %. Das individuelle Leistungsentgelt bezieht sich dabei auf die Leistung bzw. das Leistungsergebnis des einzelnen Mitarbeiters und/oder eines Teams aus mehreren Mitarbeitern.

Tarifliche Bezugsbasis ERA-TV Baden-Württemberg. 

Methoden zur Ermittlung der Leistung

Das Leistungsentgelt beruht auf der nach vereinbarten Methoden ermittelten Leistung. Als Ausgangsniveau dient die Bezugsbasis, auch Bezugsleistung genannt. Diese ist mit dem erbrachten Leistungsergebnis zu vergleichen.

Um das Leistungsergebnis zu ermitteln, können drei etablierte Methoden einzeln oder in Kombination angewendet werden:

  • (Leistungs-)Beurteilung;
  • Kennzahlenvergleich (Akkord und Prämie);
  • Feststellung der Erfüllung vereinbarter Ziele (Zielentgelt nach Zielvereinbarung).

Die Betriebsparteien entscheiden darüber, welche Methode herangezogen und wie sie, unter Berücksichtigung der Nachvollziehbarkeit und der betrieblichen Erfordernisse, angewendet wird. Neu ist, dass sich Unternehmen bei der Gestaltung des Leistungsentgelts im tariflichen Rahmen nicht mehr nur auf die klassischen Leistungskennzahlen, die auf Mengen und Zeiten beruhen, beziehen müssen. Diese können durch betriebswirtschaftliche Leistungskennzahlen wie z. B. Wertschöpfung und Herstellkosten ersetzt werden.

In einigen ERA-Tarifverträgen (z. B. in Bayern) ist vereinbart, dass bei Fließfertigung ein Akkordentgelt zu zahlen ist. Eine solche tarifliche Festlegung der Leistungsentgeltmethode erlaubt aber keine modernen, ganzheitlichen Produktionsabläufe mit einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP). In der Praxis haben sich diese Vereinbarungen nicht bewährt, da sie Fortschritte und Prozessoptimierungen blockieren können.

In vielen Tarifgebieten ist eine freie Kombination der einzelnen Methoden zur Leistungsentgeltermittlung möglich. In der Region Mitte allerdings, die die Gebiete Hessen, Rheinland-Rheinhessen, Pfalz und Saarland umfasst, muss sich ein Unternehmen für nur eine der drei Vorgehensweisen entscheiden. Eine Kombination verschiedener Entgeltmethoden beim tariflichen Leistungsentgelt ist dort – ohne weitere Begründung – untersagt.

Weiter ist es möglich, ein übertarifliches Leistungsentgelt zusätzlich freiwillig zu zahlen. Dessen Höhe kann – auch in der Region Mitte – mit einer anderen Methode ermittelt werden. So wird häufig etwa eine individuelle tarifliche Leistungszulage mit einer freiwilligen übertariflichen Gruppenprämie oder Erfolgsbeteiligung für Teams (aus direkten und indirekten Mitarbeitern) kombiniert.

ERA-Leistungsentgelt einführen

Mit der Einführung des ERA-Grundentgelts wurde auch die Ermittlung und Auszahlung eines ERA-Leistungsentgelts grundsätzlich möglich. Dies eröffnete die Option, die Konflikte, die mit der Umstellung auf das ERA-Grundentgelt aufkamen, zu bewältigen oder zumindest abzumildern. Viele Unternehmen verhielten sich dabei aber zurückhaltend, auch weil kein Zeitdruck zur Einführung eines neuen Leistungsentgelts bestand. Bundesweit wurde deshalb das Leistungsentgelt meist sukzessive eingeführt. Dabei gab es regionale Unterschiede.

Meist war nicht allein das neue ERA, sondern die sowieso anstehende Änderung der Methoden zur Ermittlung des Leistungsentgelts ausschlaggebend. Die häufigsten Begründungen zur Einführung eines neuen Leistungsentgeltsystems waren:

  • Anpassung der Leistungsentlohnung auf die neuen Produktionsstrukturen und -systeme;
  • Umstellung vom Einzelakkord zur Teamprämie mit Kennzahlenvergleich, häufig auch unter Einbeziehung der indirekten Mitarbeiter;
  • Verwendung neuer Leistungskennzahlen wie Arbeitsproduktivität (AP) und Overall Equipment Effectiveness (OEE) anstelle des klassischen Akkords oder einer Mengenprämie;
  • Integration der indirekten (nicht direkt wertschöpfenden) Produktionsbereiche in die Leistungsentgeltsysteme, z. B. Logistik, Instandhaltung und Auftragsplanung, mittels Kennzahlenvergleich;
  • Verknüpfen der Leistung der Dienstleister bzw. Serviceabteilungen mit dem Ergebnis ihrer Abnehmer in der Produktion, z. B. per Zielvereinbarung;
  • Integration von KVP und Wertschöpfungssteigerungen in das Leistungsentgelt nach dem Win-win-Prinzip.

Unternehmen, die zwar das ERA-Grundentgelt, nicht aber ein neues Leistungsentgelt eingeführt haben, behielten die bestehenden Methoden zur Regelung des Leistungsentgelts bei. In den Fällen, in denen die Höhe der bisherigen tariflichen durchschnittlichen Leistungslöhne im Lohnrahmenabkommen von denen im neuen ERA abwich, wurden Leistungsentgelte entsprechend umgerechnet. Basis waren einfache mathematische Funktionen wie der Dreisatz, aber auch tarifliche Faktoren. Das Ziel war, sowohl die Kostenneutralität für die Unternehmen als auch die Besitzstandswahrung der Mitarbeiter zu gewährleisten.

Fazit

Mit dem Entgeltrahmenabkommen haben die Tarifpartner – die IG Metall und die regionalen Vertreter des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall – ihren Mitgliedern ein ganz neues Feld der Entlohnung eröffnet. Nach der Einführung des ERA-Grundentgelts nutzen immer mehr Unternehmen die Chancen, die sich mit dem neuen ERA-Leistungsentgelt auftaten. So war es damit möglich, Arbeiter und Angestellte, die täglich Hand in Hand arbeiten, in Teams mit einem gemeinsamen Leistungsentgelt zu vergüten. Auch die Leistungskennzahlen, die transparent, nachvollziehbar und beeinflussbar sein müssen, stammen seitdem nicht mehr nur aus der Arbeitswissenschaft bzw. Arbeitswirtschaft, sondern zu immer größeren Anteilen aus der Betriebswirtschaft.

Anlass für die Einführung neuer Leistungsentgeltsysteme sind häufig technische und organisatorische Änderungen in den Unternehmen. Bei diesen würden die herkömmlichen Leistungsentgeltsysteme zu einer Fehlsteuerung und zu falschen Anreizen führen. Noch bestehende Ungereimtheiten in den Tarifverträgen sowie – aus Sicht der Praxis – kontraproduktive Inhalte werden vermutlich in Zukunft von den Tarifvertragsparteien aufgegriffen und in den nächsten Jahren eliminiert.

Verfasser: Eckhard Eyer, Perspektive Eyer Consulting, Ockenfels