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Der REFA-Blog

Die Wirkung individueller Leistungsvergütung


Donnerstag, 01.12.2016

Verfasser: Dr. rer. pol. Christian Heller, Personalleiter in einem Telekommunikationsunternehmen

In der Arbeitswelt sind materielle Belohnungen für besondere Leistungen üblich. Stark vertreten sind dabei flexible Entgeltsysteme, mit denen der persönliche Einsatz individuell honoriert werden kann.

Trotz der allgemeinen Beliebtheit wird an dieser Form der Abgeltung immer wieder auch Kritik geübt. Zu den oft geäußerten Kritikpunkten zählt die Frage, inwieweit materielle, insbesondere monetäre Anreize die intrinsische Motivation eines Mitarbeiters negativ beeinflussen, im Extremfall sogar zerstören können. Denn bekannt ist, dass extrinsisch ausgerichtete Anreizsysteme die Arbeitsleistung hemmen und reduzieren können. So hat beispielsweise Bosch vor allem mit dieser Begründung die individuellen Boni abgeschafft.

Verfochten wird aber ebenso der gegenteilige Ansatz, nach dem materielle Anreize – bei richtiger Verwendung – die intrinsische Motivation stärken können. Beide Ansätze werden durch Argumente und empirische Untersuchungen gestärkt. Im Rahmen einer betrieblichen Entgeltsystemgestaltung sollten daher Aspekte beider Seiten berücksichtigt werden.

Der Verdrängungseffekt

Wird vermutet, dass ein materieller Anreiz die intrinsische Motivation beeinträchtigen oder gar verdrängen könnte, wird dies als Verdrängungseffekt bezeichnet. Diese Verdrängung intrinsischer Motivation durch extrinsische Anreize wurde insbesondere von Edward L. Deci und Richard M. Ryan im Bereich der Pädagogik untersucht. Bruno S. Frey brachte dieses Phänomen unter dem Begriff „Verdrängungseffekt“ in seinem Werk „Markt und Motivation“ in die deutschsprachige Literatur ein und entfachte damit die Diskussion in der Volks- und Betriebswirtschaftslehre. Frey geht bei seinem Ansatz von einem im Vergleich zu herkömmlichen Konzepten atypischen Mitarbeiterverhalten aus.

Klassische Ansätze wie die Prinzipal-Agenten-Theorie fokussieren in der Regel extrinsische Anreize. Hier wird vor allem das Entgelt als wichtigste Bestimmungsgröße für das menschliche Handeln in Unternehmen gesehen. Unterstellt wird meist, sofern intrinsische Motivation überhaupt berücksichtigt wird, dass die intrinsische und die extrinsische Motivation voneinander unabhängig sind oder sich addieren.

Ein extrinsischer Anreiz bewirkt aus dieser Perspektive daher eine Erhöhung des Arbeitsangebots (Preiseffekt bzw. monetärer Anreizeffekt durch Arbeitsentgelt). Dabei wird ein bestimmter Umfang an Arbeit aufgrund der intrinsischen Motivation auch ohne extrinsischen Anreiz geleistet.

Der Verdrängungseffekt ist quasi das Gegenteil des Preiseffekts: Der extrinsische Anreiz führt zu einer Senkung des Arbeitsangebots, da die intrinsische Motivation reduziert wird. Bei einem starken Verdrängungseffekt ist damit das aktuelle Arbeitsangebot deutlich niedriger als das ursprüngliche Angebot. Ist der Verdrängungseffekt gering, fällt das Arbeitsangebot unter Umständen höher aus als das ursprüngliche Angebot. Der Nettoeffekt hängt also von der betreffenden Größe der beiden dargestellten Wirkmechanismen ab. Zudem wird klar: Ohne intrinsische Motivation beruht das Angebot nur auf der extrinsischen Motivation – was so auch in den skizzierten mikroökonomischen Theorien oft angenommen wird. Dies legt eine ausschließlich materiell orientierte Anreizsystemgestaltung nahe.

Demnach muss ein ausreichend hohes Maß an intrinsischer Motivation vorliegen, um einen Verdrängungseffekt zu generieren. Zudem muss der extrinsische Anreiz nach Frey als „kontrollierend“ wahrgenommen werden, damit die beschriebene Reduktion auftreten kann. Denn bei einer kontrollierenden Wahrnehmung des materiellen Anreizes vermindert sich – so Frey – das Gefühl der Selbstbestimmung, der Selbsteinschätzung und der Möglichkeit, intrinsische Motivation ausdrücken zu können. Die Folge ist, dass die Mitarbeiter ihre intrinsische Motivation in dem von ihnen kontrollierten Bereich einschränken.

Auf Basis dieser Überlegungen zu den im Hintergrund ablaufenden psychologischen Prozessen lässt sich der Verdrängungseffekt mit den folgenden vier Begründungen erklären:

  • Verminderte Selbstbestimmung. Nach Deci hat jede Belohnung zwei Aspekte – einen informierenden und einen kontrollierenden. Als Information zahlt die Belohnung auf die erlebte Kompetenz ein und führt zu einem Erlebnis eigenständigen Handelns. Als Kontrolle führt sie zu einem Empfinden der Fremdsteuerung. Je nachdem, welcher dieser beiden Aspekte als vorrangig wahrgenommen wird, kommt es eher zu einer Förderung der intrinsischen oder der extrinsischen Motivation.
  • Reziprozität. Wenn eine intrinsisch motivierte Handlung extrinsisch belohnt wird, wird dadurch der psychologische Vertrag verletzt, der auf gegenseitiger Wertschätzung des im Arbeitsverhältnis eingebrachten Engagements basiert. Werden Reziprozitätsregeln hingegen berücksichtigt, führt dies zu erhöhter Leistungsbereitschaft.
  • Fairness. Mitarbeiter bewerten Anreize nicht absolut, sondern relativ. Den Bezugsrahmen bilden Referenzgrößen sowie als gerecht wahrgenommene Verfahren. Die intrinsische Motivation sinkt daher, wenn extrinsische Anreize das Fairnesspostulat verletzen. Fällt etwa eine Entgelterhöhung geringer als erwartet aus, verringert sich die intrinsische Motivation. Dies erfolgt proportional zu dem Umfang, in dem der betroffene Mitarbeiter die Entgeltveränderungen als unfair im Vergleich zur Behandlung von Teammitgliedern empfindet. Externe Gründe wie eine verschlechterte Wirtschaftslage beeinflussen die intrinsische Motivation dagegen nicht negativ, sondern können diese unter Umständen sogar stärken.
  • Motivations-Transfer- bzw. Spillover-Effekt. Die Verdrängung intrinsischer Motivation durch materielle Anreize kann in Bereichen eintreten, die nicht durch materielle Anreize gestaltet werden. Hier besteht die Gefahr der Ausbreitung des Verdrängungseffekts.

Empirische Belege für den Verdrängungseffekt

Der Verdrängungseffekt wurde in einer Vielzahl empirischer Studien untersucht. Deren Ergebnisse ergeben allerdings kein einheitliches Bild. In solchen Fällen erfolgt in der Wissenschaft oft eine statistische Auswertung und Zusammenfassung in Form sogenannter Metaanalysen.

Eine der ersten dieser Metaanalysen auf Basis von 96 Studien wurde von Judy Cameron und W. David Pierce durchgeführt. Sie konnten den Verdrängungseffekt nicht hinreichend belegen, lösten aber eine intensive wissenschaftliche Diskussion darüber aus. Als Konsequenz wurde die empirische Basis der folgenden Metaanalysen erhöht. So konnten Edward L. Deci, Richard Koestner und Richard M. Ryan in einer 128 Studien umfassenden Metaanalyse die These des Verdrängungseffekts weitgehend belegen. Judy Cameron, Katherine M. Banko und W. David Pierce kamen wenige Jahre später in ihrer auf 145 Studien basierenden Metaanalyse allerdings zu einem differenzierteren Ergebnis.

Die Analyse von Cameron, Banko und Pierce gilt immer noch als umfassendste Untersuchung. Sie stellten fest, dass sich eine Verdrängung der intrinsischen Motivation durch extrinsische Anreize nur dann ergibt, wenn großes Interesse an der Aufgabe besteht, es materielle Anreize gibt, ein solcher Anreiz erwartet wird und dieser Anreiz nur wenig konkret an den Leistungsgrad gebunden ist. In anderen Konstellationen steigt die intrinsische Motivation oder bleibt zumindest unbeeinflusst. Dies gilt insbesondere bei einer eindeutigen Leistungszuweisung.

Übertragen auf die von Frey fokussierten Leistungsentgelte zeigt sich, dass zwar ein materieller Anreiz vorliegt, die Erwartung des extrinsischen Anreizes aber von der Ausgestaltung des Entgeltsystems abhängt. Bei einer individuellen leistungsorientierten Vergütung ist dies häufig der Fall, bei gruppen- oder gesamtleistungsorientierten Ansätzen zunehmend weniger. Betrachtete man das Interesse an der Tätigkeit als Maß für die Attraktivität der Arbeit und damit die intrinsische Motivation, kann dieses auch gering ausgeprägt sein. Außerdem wird gerade bei einer an der individuellen Leistung orientierten Entgeltdifferenzierung eine eindeutige Leistungszuweisung angestrebt.

Auch das Heranziehen von Metaanalysen hat also nicht zu einer eindeutigen Erkenntnis geführt. Es überrascht daher nicht, dass die Diskussion um diese Befunde sehr ambivalent ist.

So kommt Rheinberg, der die zentralen empirischen Studien des Verdrängungseffekts berücksichtigt, zu dieser Bewertung: „Man kann also einen Korrumpierungseffekt von Belohnungen zeigen, muss dafür aber ganz besondere Bedingungen schaffen, von denen unklar ist, wie oft sie unter Alltagsbedingungen auftreten. Wahrscheinlich müsste man also erst unseren Alltag verändern, um den Effekt zuverlässig zeigen zu können. Dazu würde insbesondere gehören, dass man im Schul- oder Arbeitsalltag Menschen meistens bei der Verrichtung von Aktivitäten antrifft, die sie auch ohne jede Belohnung mit großem Engagement ohnehin ausüben würden.“

Frey bezieht sich dagegen vor allem auf die Metaanalyse von Deci, Koestner und Ryan sowie auf einzelne, auch den ökonomischen Bereich betreffende Felduntersuchungen, die die Verdrängungsthese eher bestätigen. Diese gegensätzlichen Positionen bilden die ausgeprägten Differenzen zwischen den Positionen ab, aus dem die genannten Metaanalysen hervorgegangen sind.

Fasst man die Erkenntnisse zur empirischen Belastbarkeit des Verdrängungseffekts zusammen, lässt sich feststellen, dass die Existenz dieses Effekts weder unumstritten nachgewiesen noch widerlegt worden ist. Geht man trotz der unsicheren Befundlage vom Vorhandensein des Verdrängungseffekts aus, stellt sich für die weitere Prüfung des Effekts und für die Ableitung entgeltspezifischer Handlungsempfehlungen als nächstes die Frage nach dem Umfang der intrinsischen Motivation.

In der Praxis wäre insbesondere vor jeder Einführung eines flexiblen Entgeltsystems die Motivationslage der Mitarbeiter zu erheben. Wird eine starke extrinsische Motivation erkennbar, mindert dies die Wahrscheinlichkeit eines Verdrängungseffekts und legt ein entsprechend extrinsisch geprägtes Anreizspektrum nahe. Außerdem müsste der Verdrängungseffekt so stark ausfallen, dass er den Preiseffekt überkompensiert – die Zahlungen, die eine extrinsische Motivation stärken sollen, dürften dann nicht nur keinen positiven, sondern müssten sogar nachteilige Verhaltensänderungen bewirken (negativer Nettoeffekt). Die Frage nach einer Verdrängung spielt aus dieser Perspektive daher keine oder nur eine untergeordnete Rolle in der betrieblichen Praxis.

Die Notwendigkeit einer zielgruppenspezifischen Analyse der Motivationslage besteht allerdings tatsächlich, da sich auch ein hohes Maß an intrinsischer Motivation zeigen kann. Zudem ist zu beachten, dass auch eine empirisch ermittelte hohe extrinsische Motivation von einer beträchtlichen intrinsischen Motivation ergänzt werden kann.

Frey stellt in seinem Grundlagenwerk „Markt und Motivation“ für den umgekehrten Fall einer starken intrinsischen Motivation Folgendes fest: „Jemand mag einen Berg aus reinem Spaß erklimmen und gleichzeitig seine Freunde beeindrucken wollen. Jemand mag von Spielzeugeisenbahnen fasziniert sein, wird aber zu gegebener Zeit bereit sein, seine Sammlung für einen guten Preis zu verkaufen.“ Analoge Überlegungen lassen sich auch im Hinblick auf eine „rein extrinsische Motivation“ anstellen.

Handlungsempfehlungen – und: Gibt es auch einen Verstärkungseffekt?

In der betrieblichen Praxis sollten trotz der kritischen Überlegungen zur Existenz und Relevanz des Verdrängungseffekts Handlungsempfehlungen zu dessen Vermeidung berücksichtigt werden. Insbesondere sollte das mit der entgeltlichen Belohnung verbundene Gefühl der Kontrolle vermieden werden. Stattdessen sollte der extrinsische Anreiz als Botschaft an die Mitarbeiter formuliert und verstanden werden, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird und sie bestätigt und unterstützt werden. Wird der extrinsische Anreiz als Unterstützung empfunden, so steigt nach Frey auch die intrinsische Motivation. Hier entwickelt sich ein Verstärkungseffekt. Der extrinsische Anreiz führt so zu einem Aufbau der Selbsteinschätzung und der Selbstbestimmung.

Da jeder Mitarbeiter einen materiellen Anreiz unterschiedlich wahrnehmen kann, nämlich als Kontrolle oder als Unterstützung, sind damit verbundene gegenläufige Wirkungen möglich. Frey untersuchte daher die Bestimmungsgründe, die zumindest typischerweise diese Wahrnehmungen und Entwicklungen auslösen. Eine Stärkung der intrinsischen Motivation erfolgt zum Beispiel durch den Aufbau persönlicher Kommunikation und Beziehungen, die Beteiligung an Entscheidungen, die Stärkung des Interesses an den Arbeitsaufgaben und die Würdigung der intrinsischen Motivation durch den externen Eingriff. Verdrängt wird die intrinsische Motivation durch eine Gleichbehandlung der Mitarbeiter bei den Anreizen – unabhängig von deren intrinsischer Motivation –, die Verwendung von Befehlen und Strafandrohungen sowie die empfundene Unfairness der Belohnung und der zugrunde liegenden Prozesse.

Diese Bestimmungsgründe korrespondieren mit den anfangs beschriebenen Teileffekten und helfen bei der Bewertung verschiedener Entgeltdifferenzierungsansätze und der Gestaltung eines Entgeltsystems. Entscheidend bleibt jedoch – dies entspricht auch der Theorie Freys – die individuelle Wahrnehmung des extrinsischen Anreizes als Kontrolle oder Unterstützung. Daher können auch leistungsabhängige Entgeltbestandteile, sofern sie als Unterstützung gewertet werden, leistungssteigernd wirken – ohne Berücksichtigung eines Verdrängungs- oder Verstärkungseffekts. Der Fokus der aus der Theorie ableitbaren praktischen Handlungsempfehlungen liegt darauf, Einfluss auf diese Wahrnehmungsbildung auszuüben. Dies kann etwa in spezifischen, die Entgeltsituation betreffenden Mitarbeitergesprächen erfolgen. Leitgedanke dabei sollte sein, die Selbsteinschätzung und -bestimmung der Mitarbeiter nicht negativ, sondern positiv zu beeinflussen.

Fazit

Materielle Belohnungen können die intrinsische Motivation beeinflussen – positiv, aber auch negativ. Der Zusammenhang und die Wirkungsweise sind zwar umstritten, dennoch sollte bei der Gestaltung betrieblicher Vergütungssysteme dieser potenzielle Einfluss aus Sicherheitsgründen berücksichtigt werden. Wichtig ist dabei, den meist entgeltlichen Anreiz mit einer impliziten Botschaft an die Mitarbeiter zu verbinden: Nicht Kontrolle, sondern Unterstützung ist das Ziel. In persönlichen Gesprächen auf Augenhöhe kann die Wertschätzung gezeigt werden, die mit den betrieblichen Anreizen oder dem Anreizsystem ausgedrückt wird.

Gelingt es, das Gefühl von individueller Autonomie zu stärken, können materielle Anreize –gerade flexible Entgeltsysteme – nicht nur die extrinsische, sondern auch die intrinsische Motivation stärken, anstatt sie zu hemmen.

Literatur

[1] Cameron, J.; Banko, K.M.; Pierce, W.D. (2001): Pervasive Negative Effects of Rewards on Intrinsic Motivation: The Myth Continues. In: The Behavior Analyst 24 (1), S. 1 – 44.

[2] Cameron, J.; Pierce, W.D. (1994): Reinforcement, Reward and Intrinsic Motivation: A Meta-Analysis. In: Review of Educational Research 64 (3), S. 363 – 423.

[3] Deci, E.L.; Koestner, R.; Ryan, R.M. (1999): A Meta-Analytic Review of Experiments Examining the Effects of Extrinsic Rewards on Intrinsic Motivation. In: Psychological Bulletin 125 (6), S. 627 – 668.

[4] Drumm, H. J. (2008): Personalwirtschaft. 6. Aufl., Springer: Berlin, Heidelberg.

[5] Frey, B.S. (1997): Markt und Motivation. Wie ökonomische Anreize die (Arbeits-)Moral verdrängen. Vahlen: München.

[6] Frey, B.S.; Osterloh, M.; Benz, M. (2001): Grenzen variabler Leistungslöhne – Die Rolle intrinsischer Motivation. In: Jost, P.-J. (Hrsg.): Die Prinzipal-Agenten-Theorie in der Betriebswirtschaftslehre. Schäffer-Poeschl: Stuttgart, S. 561 – 579.

[7] Rheinberg, F., Engeser, S. (2018): Intrinsische Motivation und Flow-Erleben. In: Heckhausen, H.; Heckhausen, J. (Hrsg.): Motivation und Handeln. 5. Aufl., Springer: Berlin, S. 423 – 450.