Leistungsentgelt in der Gesundheitswirtschaft

Verfasser: Eckhard Eyer, Vergütungsberater und Wirtschaftsmediator, Perspektive Eyer Consulting, Köln
Rehbein – ein erfolgreicher Pflegedienst
Der häusliche Kranken- und Seniorenpflegedienst Rehbein wurde im Jahr 1991 von Thomas Rehbein in Wiesbaden gegründet.
Bereits fünf Jahre danach eröffnete er eine erste Filiale in Rüsselsheim. Mittlerweile hat er weitere Niederlassungen in Schlangenbad und Bad König. Insgesamt ca. 140 Mitarbeiter stehen für die Betreuung der derzeit etwa 500 Pflegebedürftigen – Stand Dezember 2024 – zur Verfügung. Damit ist der mittelständische Ausbildungsbetrieb einer der größten Pflegedienste im Rhein-Main-Gebiet.
Damals wie heute stellt Rehbein nur geschulte und ausgebildete Pflegekräfte ein. Im Jahr 2000 wurde die Qualität des Pflegedienstes durch eine Zertifizierung nach außen sichtbar. 2004 führte Thomas Rehbein dann eine leistungs- und erfolgsbezogene Bezahlung ein – das war damals Neuland in der ambulanten Altenpflege. Nach 20 Jahren Erfahrung mit dem Leistungsentgelt kann zurückgeblickt werden, was zu dieser Neuerung geführt und wie sie sich – nicht zuletzt vor dem Hintergrund des immer noch bestehenden Fachkräftemangels in der Pflege – bewährt hat.
Engagement wurde nicht honoriert
Bis 2004 hatte das persönliche Engagement der Mitarbeiter keinerlei Einfluss auf deren Entlohnung. Die Qualität und die Quantität der geleisteten Arbeit wurden bei der Bezahlung ebenso wenig berücksichtigt wie das Betriebsergebnis.
Auslöser für das Umdenken war die Anzahl der von den Mitarbeitern verursachten Bagatellunfälle in Straßenverkehr. Ursache dieser Verkehrsunfälle war meist die Unachtsamkeit der Pflegekräfte. Dem Unternehmen entstanden dadurch Kosten, die das Betriebsergebnis belasteten. Aufgrund der schlechten Schadensbilanz kündigte die Kfz-Versicherung zudem im Jahr 2003 dem ambulanten Pflegedienst Rehbein.
Als Thomas Rehbein seine Mitarbeiter darüber informierte, ergab sich eine Diskussion, die weit über den Versicherungsschutz hinausging. Folgende Fragen wurden aufgeworfen:
- Welche Kfz-Versicherung nimmt uns mit einer so hohen Schadensquote?
- Warum sind die Unfallraten der Mitarbeiter so unterschiedlich hoch?
- Wie kann es sein, dass alle Mitarbeiter gleich bezahlt werden, wenn sie sich doch in ihrer Arbeitsqualität und -quantität deutlich unterscheiden – was an den Beschwerden deutlich wird?
- Woran liegt es, dass einzelne Mitarbeiter hohe Fehlzeiten haben und andere keine?
- Weshalb müssen die leistungsstarken Mitarbeiter die Fehlzeiten der anderen Beschäftigten abfedern, wenn sie dadurch immer höher belastet werden?
Die folgende interne Auseinandersetzung belastete das Betriebsklima. Positiv war allerdings der Anstoß zu einer Beschäftigung mit diesen Themen: Was sonst hinter vorgehaltener Hand gesagt wurde, wurde nun offen ausgesprochen und in mehreren Teamgesprächen an allen Standorten konstruktiv diskutiert. Mitarbeiter und Unternehmensführung einigten sich darauf, für die Beschäftigten eine individuell differenzierte Vergütung auf Grundlage der Leistung vorzusehen und einzuführen.
Gestaltung und Finanzierung des leistungs- und erfolgsabhängigen Entgeltsystems
Mit dem Entschluss, ein neues leistungs- und erfolgsabhängiges Entgelt einzuführen, ergaben sich drei grundlegende Fragen:
- Wie sollen die neuen Entgeltkomponenten gestaltet werden?
- Ergeben sich Zusatzkosten durch die Finanzierung für den Pflegedienst und, wenn ja, welche und in welcher Höhe?
- Woher stammen die dafür notwendigen finanziellen Mittel?
Für die Gestaltung der neuen Entgeltkomponenten wurde ein leistungs- und erfolgsabhängiges Bonussystem erarbeitet. Die Boni sind an bestimmte Leistungen bzw. Ergebnisse gebunden und werden beim Erreichen dieser Ziele an die Mitarbeiter ausgezahlt. Es setzt sich aus drei Bausteinen zusammen, die individuell bzw. teambezogen ermittelt werden:
- unfallfreies Fahren (individuell);
- Anwesenheitsprämie (individuell);
- Gewinnbeteiligung (kollektiv).
Um zumindest einen Teil der Zusatzkosten abzudecken, wurde außerdem das seit 1991 gezahlte Urlaubs- und Weihnachtsgeld umgewidmet und in das Bonussystem eingespeist. Die im Folgenden aufgezeigten im Jahr 2004 festgelegten Kriterien sind noch gültig, die Eckwerte des Bonussystems wurden allerdings stetig angepasst.
Unfallfreies Fahren
Das Unfallgeschehen wird für alle Beschäftigten individuell ermittelt. Jeder Mitarbeiter, der sein Kraftfahrzeug unfallfrei bewegt, erhält monatlich 40 € als steuerfreien Warengutschein, der hausintern auch „Benzingutschein“ genannt wird. Bei einem durch den Mitarbeiter selbstverschuldeten Unfall wird der steuerfreie Warengutschein für einen Zeitraum von sechs Monaten ausgesetzt.
Umgerechnet beträgt der Wert eines monatlichen Warengutscheins von 40 € netto in der Steuerklasse I ca. 90 € brutto. Wenn bei einem selbstverschuldeten Unfall die Prämie für sechs Monate entfällt, entspricht das einem Verdienstausfall von 240 € netto bzw. ca. 540 € brutto.
Anwesenheitsprämie
Mitarbeiter erhalten pro Halbjahr ohne Fehlzeit eine gehaltsabhängige Anwesenheitsprämie. Für eine Vollzeitkraft, die z. B. 2.400 € brutto im Monat verdient, betrug diese 2004 254 €. Die Anwesenheitsprämie wird pro Fehltag im Halbjahr um 10 % des Betrags, also um 25,40 €, reduziert, sodass sie ab dem 10. Fehltag im Halbjahr vollständig entfällt. Diese Regelung entspricht dem Lohnfortzahlungsgesetz. Ausgezahlt wird der Bonus zusammen mit dem Gehalt jeweils im Monat nach dem Ablauf des Geschäftshalbjahrs, also im Juli und im Januar.
Gewinnbeteiligung
Die Mitarbeiter werden am operativen Gewinn beteiligt. Hierfür ist das gegenseitige Vertrauen zwischen Beschäftigten und Unternehmensführung eine unabdingbare Voraussetzung. Denn einerseits werden sensible Finanzdaten im Kreis der Mitarbeiter bekannt und andererseits hätte die Geschäftsleitung die Möglichkeit, das wirtschaftliche Ergebnis durch Abschreibungen, Rückstellungen usw. zu manipulieren. Eine weitere Voraussetzung ist die Festlegung eines angemessenen und berechenbaren Verhältnisses von operativem Gewinn und Beteiligung der Mitarbeiter daran.
Die notwendige Vertrauensbasis bestand, auch aufgrund der ausführlichen Diskussionen und der konstruktiven Auseinandersetzung mit den Wünschen und Forderungen der Mitarbeiter. Ein tragfähiges Verhältnis von operativem Gewinn und Beteiligung wurde anhand von Schattenrechnungen auf Basis der Jahre 1999 – 2002 berechnet und diskutiert.
Das Ergebnis ist, dass der Pflegedienst einen festgelegten Prozentsatz seines operativen Gewinns an die Mitarbeiter ausschüttet (siehe Beispielrechnung). Der Gesamtbetrag wird auf die einzelnen Beschäftigten aufgeteilt. Grundlage für die Berechnung des jeweiligen Anteils ist das individuelle Entgelt des Mitarbeiters, da in diesem sowohl die Wertigkeit der Tätigkeit (Pflegefachkraft, Pflegehilfskraft, Haushaltshilfe) als auch die Arbeitszeit (Voll- oder Teilzeit) abgebildet wird.
In Summe kann ein Mitarbeiter, der monatlich 2.400 € brutto verdient, über das Bonussystem ein zusätzliches Bruttoentgelt von ca. 1.394 € im Halbjahr und 2.788 € im Jahr erreichen: Hier fließen pro Halbjahr der Bonus für unfallfreies Fahren in Höhe von 240 € netto (d. h. 540 € brutto), die Anwesenheitsprämie von 254 € und eine Gewinnbeteiligung von 600 € ein. Der Gesamtbetrag liegt damit über dem in der Vergangenheit gezahlten jährlichen Urlaubs- und Weihnachtsgeld.
Erfahrungen mit dem neuen Bonussystem
Nach der Einführung des Bonussystems haben sich die Schadensquote bei der Nutzung des Kfz und die Fehlzeitquote deutlich verringert (siehe folgende Bilder). Letzteres lag unter anderem auch daran, dass Mitarbeiter nach Einführung des Bonussystems mit anderen Beschäftigten Dienste tauschten, etwa bei einer beginnenden Erkältung, um ihren Anwesenheitsbonus in vollem Umfang zu bekommen. Wer allerdings krank zur Arbeit erscheint, wird wieder nach Hause geschickt: Ein Präsentismus soll durch dieses System nicht gefördert werden.
Die Leistungskultur hat sich verändert
Die Einführung des Bonussystems hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Unfallzahlen und Fehlzeiten, förderte aber auch das Interesse an einem kosten- und ertragsorientierteren Verhalten bei den Mitarbeitern. In Summe führte dies zu einem besseren betriebswirtschaftlichen Ergebnis – wodurch sich wieder die Gewinnbeteiligung erhöhte.
Das Kommunizieren und Rückmelden der drei Kennzahlen Schadensquote, Fehlzeiten und operativer Gewinn hatte Einfluss auf die Leistungskultur im Unternehmen. Pflegekräften wurde bewusst, dass sie nicht nur helfen, sondern auch erkennen sollten, dass Veränderungen im Krankheitsbild und bei der Pflegebedürftigkeit der Betreuten eine Anpassung in den Leistungen nach sich ziehen. Zeitnahe Veränderungen des Leistungsangebots und eine gestiegene Sensibilität für ein kostenbewussteres Handeln führten zu einem besseres Betriebsergebnis.
Auch das Betriebsklima verbesserte sich, da die Vergütung als gerechter empfunden wurde. Latente Konflikte wurden reduziert, die Teamarbeit entwickelte sich positiv: Mitarbeiter achten mehr – im positiven Sinn – auf die anderen Beschäftigten, identifizieren sich weitaus mehr als vorher mit ihrem Unternehmen und fühlen sich stärker an dieses gebunden. Die Fluktuation bei Rehbein liegt weit unter dem Durchschnitt der Branche.
Der häusliche Kranken- und Seniorenpflegedienst Thomas Rehbein hat seit Einführung des neuen leistungs- und erfolgsabhängigen Entgeltsystems inflationsbereinigt eine höhere Gehaltssumme gezahlt als ohne das Bonussystem. Da sich das Bonussystem aber selbst finanzierte, konnten sowohl die Mitarbeiter als auch das Unternehmen daraus Vorteile ziehen.
Nach zwei Jahren mit durchweg guten Erfahrungen mit dem Anwesenheitsbonus führte Thomas Rehbein 2006 eine neue Regelung ein: Mitarbeiter, die in einem Kalenderjahr keinen Tag krankheitsbedingt fehlen, erhalten drei Tage bezahlten Sonderurlaub.
Das Leistungsentgelt ist ein Erfolgsfaktor bei der Akquisition von Fachpersonal. Der hohe Stellenwert wird bei Stellenausschreibungen und Vorstellungsgesprächen deutlich (siehe Interview im Kasten).

Erfahrungen mit dem Leistungsentgelt
Interview mit Thomas Rehbein, Inhaber des „Krankenpflegedienstes Thomas Rehbein" in Wiesbaden
Redaktion: Herr Rehbein, wenn Sie auf die zwölf Jahre leistungs- und erfolgsbezogene Bezahlung zurückschauen, wie bewerten Sie das?
Thomas Rehbein: Ich kann die Erfahrungen nur als .gut" bezeichnen. Zwar gab es zunächst Vorbehalte, weil im Zug der Einführung des Bonussystems wieder bewusst wurde, dass das Urlaubs- und Weihnachtsgeld, das ich immer gezahlt hatte, nicht garantiert ist. Namhafte börsennotierte Unternehmen haben in diesen Jahren das 13. Monatsgehalt variabilisiert und dann ganz eingespart, weil ihnen der Erfolg fehlte. Das Misstrauen verflog und ist nicht mehr zurückgekehrt, als im Juli 2004 die ersten Bonuszahlungen flossen und die in Summe höher waren, als das vergleichbare Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Seither ist das meistens so gewesen.
Redaktion: Welchen Stellenwert hat Ihr Bonussystem im Alltag?
Thomas Rehbein: Es wird immer wieder darüber gesprochen, sei es weil Mitarbeiter ihren Dienst tauschen, um den Bonus zu erhalten, oder weil der Ärger über einen selbstverschuldeten Unfall besonders hoch ist. Insgesamt hat sich die Leistungsorientierung, die Leistungskultur verändert, das WirGefühl wurde gestärkt und die kollegiale Beratung, der Erfahrungsaustausch hat sich verbessert. Mitarbeiter achten auch viel stärker auf den veränderten Pflegebedarf und melden ihn zeitnah an ihre Pflegedienstleitung zurück, die dann fundiert begründet und zügig handeln kann.
Redaktion: Wie reagieren neue Mitarbeiter auf Ihr Bonussystem, wenn sie davon erfahren?
Thomas Rehbein: Ich gehe mit dem Bonussystem offen um, es steht unter .Wir bieten" in jeder Stellenanzeige und auch in unserem Internetauftritt unter .Karriere". In den Vorstellungsgesprächen erläutere ich das Bonussystem den Bewerbern. Leistungswillige Mitarbeiter, die Gleichgesinnte suchen, unterschreiben bei mir. Dieser Selektionsrnechanismus ist gewollt und hilft uns bei unserer Arbeit.
Redaktion: Vielen Dank für das Interview.
Gewagt und gewonnen
In vielen Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft – also in den Bereichen Medizin und Pflege – wird das Thema „Leistungsentgelt“ auch heute noch defensiv und eher ablehnend diskutiert. Thomas Rehbein hat hier neue Maßstäbe gesetzt, indem er ein leistungs- und erfolgsabhängiges Entgeltsystem in seinem ambulanten Pflegedienst eingeführt hat. Bereits im Jahr 2003 wurde, nach einem äußeren Anstoß, gemeinsam mit den Mitarbeitern ein Bonussystem erarbeitet und 2004 eingeführt. Diese kann ein Vorbild für andere Pflegedienste sein, denn nicht nur die Mitarbeiter, sondern auch das Unternehmen profitieren seit Jahren davon.