Optimale Personalbemessung – eine Aufgabe für REFA
Verfasser: Eckhard Eyer, Perspektive Eyer Consulting, Ockenfels
Die heutige REFA hat ihre Wurzeln im 1924 gegründeten „Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung“. Seitdem steht die zur Ausführung einer Arbeit notwendige Zeit im Fokus der Aktivitäten dieser Organisation. Die für die Ausführung von Arbeitsaufgaben ermittelte Arbeitszeit war und ist seither die Basis für die Planung und die Organisation von Arbeitsprozessen. Abgeleitet werden daraus die Vorgabezeiten für Mitarbeiter, insbesondere im Akkordlohn, und die notwendige Anzahl von Beschäftigten für betriebliche Abläufe. Diese Angaben sind wiederum die Grundlage für die Kapazitäts-, Auftrags- und Terminplanung.
REFA lieferte in der Anfangszeit die Datenbasis zur Berechnung der Dauer von Arbeitsprozessen und des Personaleinsatzes. Damals entsprach die Bearbeitungszeit eines Werkstücks durch einen Mitarbeiter – z. B. beim Drehen auf einer konventionellen Drehmaschine – grundsätzlich der Arbeitszeit der damit beschäftigten Person. Die Bearbeitungszeit der Werkstücke wurde über die Jahre allerdings immer weiter von der Arbeitszeit der Mitarbeiter entkoppelt. Damit steht das Industrial Engineering – gemäß REFA-Definition die „Anwendung von Methoden und Erkenntnissen zur ganzheitlichen Analyse, Bewertung und Gestaltung komplexer Systeme, Strukturen und Prozesse der Betriebsorganisation“ – vor neuen Herausforderungen.
Ziel der Personalbemessung
Das Ziel der Personalbemessung ist die Ermittlung des zur Umsetzung der Unternehmensziele erforderlichen Personalbedarfs. Berechnet oder abgeschätzt wird dabei, welche Anzahl von Mitarbeitern mit welcher Qualifikation zu welcher Zeit an welchen Arbeitsplätzen nötig sind. Die Personalbemessung ist damit für die Arbeitswirtschaft, also das Industrial Engineering, und für die Personalwirtschaft, die Abteilung Human Resources, von höchster Bedeutung. Ebenso betrifft sie aufgrund der direkten Auswirkungen die Mitarbeiter sowie den Betriebsrat als Arbeitnehmervertretung.
Personalcontrolling im Fokus der Personalwirtschaft
Aufgabe der Personalwirtschaft eines Unternehmens ist, die Mitarbeiter von der Einstellung bis zu ihrem Ausscheiden zu begleiten und ihre berufliche Entwicklung angemessen zu unterstützen. Zudem muss sie dem Unternehmen die benötigte Anzahl von Mitarbeitern mit der gesuchten Qualifikation zeitgerecht zur Verfügung stellen.
Voraussetzung dafür ist, den – unter Umständen auftragsabhängig oder saisonal stark schwankenden – Personalbedarf zu kennen. Diese Angabe und damit die Grundlage für die Personaleinsatzplanung liefert die Personalbemessung. Zu berücksichtigen sind bei der Planung des Personaleinsatzes zudem die Möglichkeiten einer flexiblen Arbeitszeitgestaltung mit angemessenen Gestaltungsspielräumen oder einer Jahresarbeitszeit bzw. eines Arbeitszeitkontingents. Hier ist das Personalcontrolling in der Pflicht, die unterschiedlichen Möglichkeiten des Personaleinsatzes und damit die Personalkosten zu steuern.
Kapazitätsplanung im Fokus der Arbeitswirtschaft
Das Industrial Engineering hat unter anderem die Aufgabe, die Datenbasis für die Personalbemessung in der Produktion und in den produktionsnahen Bereichen zu erheben und der Personalabteilung sowie dem Personalcontrolling zur Verfügung zu stellen. Grundlage sind also die Bearbeitungszeiten der Werkstücke sowie der tatsächliche Personaleinsatz. Beide Angaben sind notwendig, um Kapazitäten, Aufträge und Termine mit hinreichender Genauigkeit planen zu können. Dabei sind auch die vorbeugende Instandhaltung (Stichwort „TPM – Total Productive Maintenance“) und weitere Servicezeiten zu berücksichtigen.
Für die Arbeitswirtschaft ebenso wie für die Personalabteilung und das Personalcontrolling wichtig ist neben der Personalbemessung die Berechnung der Vorgabezeiten für die Durchführung von Arbeiten. Sie bilden die Datenbasis für einen Kennzahlenvergleich und ermöglichen so erst eine angemessene Leistungsentlohnung.
Arbeitsbedingungen im Fokus des Betriebsrats
Eine der Aufgaben des Betriebsrats im Unternehmen ist, darauf zu achten, dass bei den Arbeitsbedingungen die Faktoren Produktivität und Humanorientierung – menschengerechtes und sozialverträgliches Arbeiten – aufeinander abgestimmt werden. Neben der Ergonomie ist hier die Personalbemessung zentraler Ansatzpunkt: Optimal auslegt ist diese, wenn die anstehenden Arbeiten mit einer ausreichenden Anzahl von entsprechend qualifizierten Mitarbeitern mit einem angemessenen Leistungsgrad erledigt werden.
Problemstellung
Human Resources, Industrial Engineering und Betriebsrat haben unterschiedliche Schwerpunkte und verfolgen daher nicht die gleichen Ziele. Sie vertreten jeweils unterschiedliche Interessen, die aufeinander abgestimmt werden müssen, auch wenn sie miteinander konkurrieren oder sich gegenseitig ausschließen. Daher ist es wichtig, einen möglichen Streitpunkt, die Personalbemessung, korrekt und konfliktarm durchzuführen. Grundsätzlich gibt es dazu drei Möglichkeiten:
- Verhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern;
- Analogien zu bestehenden Arbeitssystemen und der dortigen Personalbemessung;
- methodische korrekte Personalbemessung, d. h. Ermittlung bzw. Berechnung des notwendigen Personalbedarfs.
Verhandlungen erfolgen auf Augenhöhe und sind konstruktiv, wenn beide Parteien eine annähernd gleiche Verhandlungsmacht haben. Sind die Machtverhältnisse unausgewogen und überwiegt eine Seite, kommt es zu mehr oder weniger einseitigen, aufgezwungenen Ergebnissen. Gern wird hier das englische Extrembeispiel der politisch verhandelten Personalbemessung mit dem „Heizer auf der E-Lok“ in den 1980er-Jahren zitiert. Damit sind Verhandlungen nur die zweitbeste Lösung.
Analogien zu bestehenden Arbeitssystemen sind angemessen und zielführend, wenn es sich um ähnliche und damit vergleichbare Arbeitssysteme handelt. Sie sind aber nicht anwendbar, wenn neue, innovative Arbeitssysteme (z. B. in der Industrie 4.0) betrachtet werden. Wird nicht nur die Bearbeitungszeit der Werkstücke von der Arbeitszeit der Mitarbeiter entkoppelt, sondern beispielsweise auch der Standort der Maschinen und der Arbeitsort des Personals, ist die Situation komplex – Analogien zu finden wird hier nahezu unmöglich.
Eine methodisch korrekt ermittelte Personalbemessung, die sachlich fundiert und transparent ist, wäre dagegen optimal. Ein solcher sozusagen wissenschaftlicher Ansatz, der zudem noch wie bei REFA mit beiden Sozialpartnern abgestimmt ist, hätte eine befriedende Wirkung auf die Parteien im Unternehmen. Eine vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit könnte so gefördert werden.
Ein Blick zurück
Bereits zu Beginn des letzten Jahrhunderts beschäftigte sich das Industrial Engineering mit der Ermittlung der zur Ausführung einer Arbeit notwendigen Arbeitszeit. In diesem Umfeld wurde auch der „Reichsausschuß für Arbeitszeitermittlung“ (REFA) gegründet – außerhalb des Vereins der Deutschen Ingenieure (VDI). Ziel der REFA ist und war die Ermittlung der notwendigen Arbeitszeit zum Erledigen einer Aufgabe, um auf dieser Basis die Produktion zu planen und die Mitarbeiter angemessen einzusetzen und entlohnen zu können. Gemessen wurde und wird eine Grundzeit (tg) für eine Tätigkeit. Diese wird um eine sachliche (tvs) und eine persönliche Verteilzeit (tvp) sowie gegebenenfalls eine Erholungszeit (ter) ergänzt, um daraus die Vorgabezeit (te) zu ermitteln.
In der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts entsprach die so ermittelte Vorgabezeit zur Bearbeitung eines Werkstücks grundsätzlich der dazu notwendigen Arbeitszeit des Mitarbeiters, wie das Drehen einer Welle leicht veranschaulicht.
Die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts
Technischer Fortschritt und organisatorische Innovationen führen zu einem stetigen Wandel in der Arbeitswelt. Beispiele für technische Entwicklungen sind die NC-Bearbeitungsmaschinen, CNC-Maschinen, Werkstück- und Werkzeugspeicher oder Handhabungsautomaten, die Werkstücke aus dem Werkstückspeicher holen und zur Bearbeitung einlegen und spannen. Änderungen in technischen Abläufen bedingen in vielen Fällen auch organisatorische Veränderungen. Beispiele dafür sind der Pausendurchlauf von Maschinen und die Mehrmaschinenbedienung, die Einführung von Gruppenarbeit mit Werker-Selbstkontrolle sowie Lean Production und Total Productive Maintenance (TPM).
In Summe führten diese technischen und organisatorischen Neuerungen zu einer fortschreitenden Entkoppelung der Bearbeitungszeit der Werkstücke von der Arbeitszeit der Mitarbeiter. Damit wurde auch die klassische Personalbemessung immer stärker hinterfragt.
Industrie 4.0 – die Trennung von Produktions- und Arbeitsort
Mit dem Aufkommen der Industrie 4.0 zu Beginn des 21. Jahrhunderts und ihren Innovationen wurde die Arbeitsorganisation vor eine weitere Herausforderung gestellt: Der Arbeitsort des Menschen kann von den Maschinen und Anlagen in einer Fabrik auch entkoppelt werden. Digitalisierung und Vernetzung ermöglichen Fernwartung und Ferndiagnosen, Interventionen sind unter Umständen nur noch im Bedarfsfall nötig. Die Personalbemessung hat diese neue Situation nun zu berücksichtigen und angemessen darauf zu reagieren.
Zwar wird häufig über die immer notwendiger werdende Flexibilisierung der Arbeitszeit und die mittlerweile angeblich überkommenen und unzeitgemäßen Arbeitszeitgesetze diskutiert, doch dies ist bereits der zweite Schritt. Wichtiger ist der erste Schritt: die Bestimmung der zur Erledigung von anstehenden Arbeiten notwendigen Anzahl von Mitarbeitern. Erst auf die korrekte Personalbemessung kann die angemessene Flexibilisierung der Arbeitszeit folgen – auf den dann der Gesetzgeber mit der Überarbeitung der Arbeitszeitgesetze reagieren muss.
Methoden der Personalbemessung
Eine angemessene Personalbemessung kann grundsätzlich mithilfe von drei Methoden erreicht werden:
- über einen methodisch transparenten Weg zur Ermittlung bzw. Berechnung der Personalstärke;
- durch empirisches Ermitteln der Personalstärke durch Versuch und Irrtum;
- mit der Bewertung einer zur Diskussion stehenden Personalstärke hinsichtlich verschiedener anerkannter, transparenter Kriterien.
Als die Bearbeitungszeit eines Werkstücks noch mit der Arbeitszeit des Mitarbeiters identisch war, konnte die Vorgabezeit methodisch korrekt durch Methods-Time Measurement (MTM) oder REFA-Methoden ermittelt werden. Auch die Personalbemessung basierte darauf. Im Extremfall unterlag bei einer methodisch korrekten Vorgabezeitermittlung im Akkordlohn die Verknüpfung von Leistung und Lohn nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates, sondern basierte einzig auf der Kontrolle der korrekt angewendeten Methoden.
Je mehr die Arbeitszeit von der Bearbeitungszeit entkoppelt wurde, desto mehr wurde nach anderen Methoden der Personalbemessung gefragt. Das Berechnen der Personalbemessung wurde ergänzt und ersetzt durch den Vergleich mit ähnlichen Arbeitsprozessen – das interne und externe Benchmarking.
Auch der Prozess von Versuch und Irrtum wurde praktiziert, um sich langsam an ein Optimum an Personal heranzutasten. Begonnen wurden die Arbeitsprozesse mit ausreichend vielen Mitarbeitern. Deren Anzahl wurde dann schrittweise reduziert, parallel zum Einschwingen der Prozesse und der Aktivitäten im kontinuierlichen Verbesserungsprozess (KVP). Dabei kamen durchaus Diskussionen oder gar Konflikte zwischen Management und Mitarbeitern bzw. Betriebsräten auf, die nach einer menschengerechten Arbeitsgestaltung und Personalbemessung fragten und wissen wollten, welcher Leistungsgrad zugrunde gelegt wurde. Hier spielten auch gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und der erwartete Leistungsgrad der Mitarbeiter mit hinein.
In der unternehmerischen Praxis wird oft ein Methodenmix aus vertraglich vereinbarten und allgemein akzeptierten Vorgehensweisen angewendet. Entscheidend sind die Unternehmenskultur sowie die vertrauensvolle und konstruktive Zusammenarbeit der Sozialpartner. Je nach Fragestellung können die Vorgehensweisen auch differenziert eingesetzt werden. Komplexe Montagetätigkeiten beim Bau von Flugzeugen können zum Beispiel mit methodisch ermittelten Vorgabezeiten nach MTM oder REFA bemessen werden. Die erforderliche Personalkapazität bei der Bedienung von zwölf Bearbeitungszentren durch zunächst sieben und später fünf Mitarbeiter je Schicht kann dagegen gemäß „Versuch und Irrtum“, KVP-Aktivitäten und einer regelmäßigen Bewertung des Leistungsgrads durch die Betriebsparteien bestimmt werden.
Fazit
100 Jahre nach der Gründung von REFA gewinnt die Arbeitszeitermittlung – oder besser gesagt: die Personalbemessung – wieder an Bedeutung. Aufgrund des immer knapper werdenden Faktors Arbeit ist die richtige Personalbemessung ein entscheidender Wettbewerbsfaktor im Hochlohnland Deutschland – nicht nur unter dem Aspekt der Personalkosten. Zudem ermöglicht die korrekte Personalbemessung eine flexible, auf die betrieblichen Belange zugeschnittene Arbeitszeitgestaltung.
REFA als von den Sozialpartnern getragener Verein kann neue Methoden der Personalbemessung entwickeln und so die Standards für die anerkannten Methoden der Personalbemessung in Deutschland setzen – für die Arbeits- ebenso wie für die Personalwirtschaft. Das methodisch korrekte und transparente Vorgehen erleichtert betriebliche Verhandlungen und vermeidet Konflikte zwischen Human Resources und Industrial Engineering auf der einen und den Arbeitnehmer(vertreter)n auf der anderen Seite. So entfaltet der Einsatz anerkannter Methoden eine befriedende Wirkung.