Personalführung und -entwicklung im Mittelstand
Verfasser: Georg Kraus, Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner, Bruchsal
Kleine und mittlere Unternehmen, kurz KMU, weisen oft Defizite bei der systematischen Personal- und Organisationsentwicklung auf. Eine der Ursachen ist, dass die Personalabteilung häufig chronisch unterbesetzt ist und aus nur wenigen Personen besteht – bei Kleinunternehmen in der Regel nur aus einer Person. Der Personalleiter und sein Team haben dann ein sehr breites Aufgabenfeld. Die Weiterbildung wird entweder vernachlässigt oder liegt in der Hand der Abteilungsleitung. Diese hat aber für ein konzeptionelles, strategisches Arbeiten kaum Zeit.
Das Entwerfen von Strategien und Konzepten behalten sich in vielen KMU ohnehin die „Eigentümer-Unternehmer“ vor, da sie die Personalpolitik inklusive Personalentwicklung und Entlohnung häufig als ihre originäre Aufgabe betrachten. Die Kompetenz der Personaler wird dann nur für operative Aufgaben genutzt.
Viele Personalleiter in KMU zeigen daher ein widersprüchliches Verhalten. Einerseits betonen sie die Notwendigkeit einer strategischen Personalarbeit, anderseits beschäftigen sie sich bei ihrer alltäglichen Arbeit primär mit der Personalauswahl und dem Personalcontrolling. Das Thema „Weiterbildung“ steht erst dann auf der Agenda, wenn das Unternehmen vor einem akuten Problem steht, etwa zu hohen Kosten für Dienstleister aufgrund outgesourcter Aufgaben.
Neue Personal- und Führungskonzepte gefragt
In Kleinunternehmen beginnt allerdings gerade das Umdenken. Einer der Gründe dafür ist, dass der Anteil handwerklich geprägter „Eigentümer-Betriebe“ zurückgeht und sich viele Start-ups als hochspezialisierte Nischenanbieter entwickelt haben und am Markt etablieren. Das hat Auswirkungen auf die Mitarbeiterstruktur: Sie ist heute viel heterogener als noch zur Jahrtausendwende. Zudem haben die Mitarbeiter von Anbietern hochspezialisierter Produkte häufiger einen akademischen Abschluss – etwa als Ingenieur, Informatiker oder Betriebswirt. Sie stellen nicht nur an ihre eigene Arbeit hohe Ansprüche, sondern auch an ihre Führung und die Verwirklichung ihrer Potenziale – anders als die Mitarbeiter in der Vergangenheit.
Ein weiterer Faktor, der die Personalarbeit immer stärker beeinflusst, ist der demografische Wandel. Er wirkt sich gerade bei mittelständischen Unternehmen, die häufig „Hidden Champions in der Provinz“ sind, aus. Mittelständlern fällt es zunehmend schwer, qualifizierte und motivierte Mitarbeiter – und Auszubildende! – zu finden und langfristig an sich zu binden. Dies ist für viele KMU der Anlass, ihre Personalführungs- und -entwicklungskonzepte auf den Prüfstand zu stellen.
Die zentrale Frage dabei lautet: Wie können wir unsere Personalarbeit modernisieren sowie unsere Unternehmens- und Führungskultur (um)gestalten, dass unser Unternehmen einerseits den veränderten (Arbeits-)Marktanforderungen entspricht und andererseits die typischen Stärken eines mittelständischen Betriebs bewahrt? Die Personalentwicklungs- und Führungskonzepte von Großunternehmen und Konzernen zu übernehmen und – wenn auch in abgespeckter Form – auf KMUs zu übertragen, wäre ein Irrweg, denn dies entspräche nicht ihrem Bedarf. Letztlich gingen dadurch auch die Identität und der Charme der KMU verloren – und damit der Reiz, sich bei einem KMU zu bewerben und eine Karriere zu starten. Also müssen KMUs eigene Lösungen entwickeln.
„Chefs“ brauchen neues Selbstverständnis
Selbst die smartesten Entwicklungsprogramme können keine Wirkung entfalten, wenn die Firmenleitung bzw. der oder die Eigentümer-Unternehmer nicht ihre Einstellung und ihr Verhalten ändern. Denn sie haben Vorbildfunktion: Die Führungskräfte der weiteren Ebenen orientieren ihr Verhalten an ihnen – und dies setzt sich bis auf Mitarbeiterebene fort.
Viele Inhaber eines KMU sind fachlich hochversierte Techniker, oft Meister oder Ingenieure. Zahlen, Daten, Fakten, technische Zusammenhänge und objektive Analysen und Beurteilungen haben einen hohen Stellenwert. Der subjektive Faktor wird meist weniger beachtet, daher hat für sie auch die Führungsarbeit nur untergeordnete Bedeutung – weil es bei ihr so stark „menschelt“. Gleichzeitig sehen sie sich als „Patron“ aber auch in der Pflicht zu führen: Sie können nicht loslassen und Teile der Führungsarbeit konsequent delegieren, weil sie sich so stark mit „ihrem“ Unternehmen identifizieren. Die Folge davon ist oft, dass sie in die Kompetenzbereiche sogar ihrer (oberen) Führungskräfte „hineinregieren“ – etwa indem sie Mitarbeitern Anweisungen erteilen, ohne sich vorher mit den zuständigen direkten Vorgesetzten abzustimmen, oder indem sie Planungen ihrer Führungskräfte und Mitarbeiter beiläufig abtun und ohne Erklärung ihre Alternative durchsetzen. Das frustriert insbesondere junge, hochmotivierte Mitarbeiter. Daher wechseln diese häufig innerhalb der ersten ein oder zwei Jahre den Arbeitgeber.
Das Führungsverhalten auf den Prüfstand stellen
Dieses Dilemma zwischen Führungsanspruch und Führungsvermögen wird sich erst auflösen, wenn die Eigentümer-Unternehmer akzeptieren, dass sie ihr Führungsverhalten verändern und mehr Zeit in die Führung der Mitarbeiter investieren müssen. Da sie Vorbildfunktion haben, gilt dies ebenso für die ihnen nachgeordneten Führungskräfte. Voraussetzung für eine Umstellung und eine nachhaltige Umsetzung der Führung ist ein regelmäßiges Feedback über das jeweilige Führungsverhalten und dessen (unbeabsichtigte) Wirkungen.
Idealerweise kommt dieses Feedback vonseiten der Mitarbeiter. Doch das ist oft reine Theorie: Gerade bei Eigentümer-Unternehmern sieht die Praxis meist anders aus. Eine offene Kommunikation „auf Augenhöhe“ mit dem Inhaber ist nicht möglich, da er seine eigenen Vorstellungen über den Fortbestand seines Unternehmens und seine Rolle als Chef hat. Mitarbeiter und Führungskräfte kennen seine Machtposition, wissen um ihre existenzielle Abhängigkeit von ihm und äußern Kritik oder Vorschläge dann häufig nur indirekt.
Soll sich die Führungskultur real ändern, ist es daher ratsam, zum Beispiel einen erfahrenen Führungskräfte-Coach einzubeziehen. Als externer Trainer und Moderator kann er unbelastet dem Eigentümer-Unternehmer gegenübertreten und dessen blinde Flecken im Bereich Führung bearbeiten.