Arbeitsdatenmanagement in der Industrie 4.0
Verfasser: Kim Bogus, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am REFA-Institut e.V., Dortmund
Industrial Engineering in Zeiten der Industrie 4.0 – Teil 8
Das Arbeitsdatenmanagement wird durch die Digitalisierung und Industrie 4.0 nachhaltig beeinflusst. Dabei wird nicht alles nur vereinfacht, sondern vielmehr wird das Industrial Engineering um neue Anwendungen, Tools und Methoden bereichert. Diese bringen allerdings auch neue Anforderungen und Herausforderungen für das moderne Industrial Engineering mit sich.
Die bisher erschienenen Blogbeiträge beschreiben die verschiedenen Handlungsfelder der modernen Industrial Engineering unter Betrachtung der neuen Herausforderungen und Anforderungen in der Industrie 4.0. Bereits zu Beginn der Artikelreihe wurde das Arbeitsdatenmanagement und dessen schnittstellenübergreifende Relevanz im REFA-Haus beschrieben.
Als Konsequenz des zunehmend digitalisierten industriellen Umfeldes, steht auch das Arbeitsdatenmanagement vor neuen Anforderungen und Herausforderungen in der Industrie 4.0. Die Mittel und Methoden zur Ermittlung, Verarbeitung, der Nutzung und Pflege von Arbeitsdaten können in der Industrie 4.0 neue Wege gehen. Durch vier Fragen lassen sich die Veränderungen anschaulich beschreiben.
Woher bekomme ich zukünftig meine relevanten Daten?
Das Schlagwort Big Data spielt hierbei eine zentrale Rolle, da durch die Digitalisierung immer mehr Informationen zu Anlagen, Maschinen oder Prozessen digital vorliegen. Diese Daten existieren zu großen Teilen schon heute in vielen Unternehmen, liegen jedoch oftmals brach, da sich Mitarbeiter entweder nicht über deren Existenz bewusst sind oder aber auch keine ausreichenden Kenntnisse darüber besitzen, wie diese nutzbar gemacht werden können. Dabei ist die Masse an Daten selten gebündelt in einer Quelle, wie etwa MES (Manufacturing Execution Systems) oder ERP-Systemen (Enterprise Resource Planning) vorhanden. Vielmehr ist eine der heutigen Herausforderungen, alle potenziellen Datenquellen im Unternehmen zu identifizieren und zugänglich zu machen. Die Frage, woher relevante Daten im Unternehmen gewonnen werden, ist folglich eng verknüpft mit der Expertise, welche Datenquellen existieren und potenziell sinnvoll für das Arbeitsdatenmanagement sind. Der Industrial Engineer braucht dahingehend das entsprechende Know-how im eigenen Unternehmen. Erst dann kann er eine Sondierung des existierenden Datenbestandes vornehmen.
Wie ermittle ich zukünftig meine relevanten Arbeitsdaten?
Für den Industrial Engineer ist die Schaffung eines Überblicks in die eigene Datenwelt des Unternehmens nur ein erster Schritt im Arbeitsdatenmanagement. Entscheidend ist seine Fähigkeit, aufbauend auf der Datenbasis situations- und problembezogen all diejenigen Daten aufzunehmen, zu filtern und aufzubereiten, die zur Lösung eines Problems beitragen können. Im klassischen Sinne muss sich der Industrial Engineer damit befassen, eine Struktur ins Datenchaos zu bringen. Er muss in der Lage sein zu entscheiden, ob und in welchem Maße die erforderliche Datenqualität vorliegt und die Daten eventuell bereinigen oder aufbereiten. Ferner muss er in der Lage sein verschiedene Datenquellen zu nutzen, um aus den unstrukturierten und nicht zusammenhängenden Datensätzen die benötigten Arbeitsdaten zu generieren. In der perspektivischen Smarten Fabrik können alle Daten aus Systemen und Datenbanken nahezu ohne Zeitverlust abgegriffen werden. Analoge klassische Datenaufnahmen wären dadurch überflüssig. Aktuell sieht die Realität im überwiegenden Teil der Unternehmen jedoch noch anders aus. Gerade in manuellen Montageprozessen ist eine manuelle Aufnahme von Arbeitsdaten, wie etwa eine Zeitaufnahme, allein auf Grund der rechtlichen Restriktionen weitestgehend unvermeidbar. Nichtsdestotrotz können auch hier schon technische Systeme wie Tablets in Zusammenwirken mit speziellen Apps die Arbeit des Industrial Engineers unterstützen.
Dennoch zeichnet sich der Trend hin zur digitalen Auswertung von Daten klar ab und erfordert Datenkompetenz vom Industrial Engineering. Die Ermittlung von Daten ist hierbei in Zukunft ein entscheidender Schritt, damit der Weg für eine nachhaltige Verarbeitung und Analyse geebnet ist. Betrachtet man das klassische Data Mining, also das Analysieren und Auswerten von Unternehmensdaten, so verdeutlicht eine Umfrage von Forbes die Relevanz der Datenvorbereitung. Die Umfrage zeigt, dass in Data Mining-Projekten aus zeitlicher Sicht mit knappen 80% der größte Aufwand in der Vorbereitung der Daten liegt. Appliziert man diese Erkenntnis auf das Arbeitsdatenmanagement für die Industrie 4.0, so muss der Industrial Engineer besonders auf vorbereitende Maßnahmen achten, um zeit- und damit auch kostenoptimiert zu handeln und so Folgeschäden im Projekt zu vermeiden sowie eine optimale Ausgangsbasis für daran anschließende Analysen zu schaffen. Einige Unternehmen nutzen für die separate Speicherung ihrer Daten sogenannte Data Warehouses. Diese Warehouse-Lösungen sind von den operativen Datenverarbeitungssystemen getrennt und speichern die Unternehmensdaten in homogener Form ab. Dadurch wird dem Endnutzer ein wesentlich effizienterer und weniger vorbereitungsintensiver Zugriff auf die Daten ermöglicht [2].
Wie verarbeite und analysiere ich zukünftig meine Arbeitsdaten?
Die Optimierung und Gestaltung aus betriebs-, ingenieur- und arbeitswissenschaftlicher Sicht ist die Hauptaufgabe des Industrial Engineering. Die betrieblichen Daten, zu denen auch die Arbeitsdaten zählen, sind hierbei die Grundlage für alle weiteren Schritte. Diese werden zum einen dazu verwendet den IST-Zustand im Unternehmen zu identifizieren und zum anderen können aus diesen Potenziale abgeleitet werden, aus denen die Optimierungs- und Gestaltungsmaßnahmen definiert werden, die den größtmöglichen Nutzen für das Unternehmen erbringen.
In der Industrie 4.0 werden Kern-, Unterstützungs- und Führungsprozesse zunehmend komplexer. Der Treiber hierfür ist unter anderem die steigende Individualisierung von Produkten und Dienstleistungen, die die Abläufe und Vorgänge in Unternehmen vor Herausforderungen stellt und im Umkehrschluss den Einsatz von immer umfassenderen Systemen und Anwendungen notwendig macht. In zunehmend digitalen unterstützten Umgebungen kann die Erfassung des komplexen Umfeldes deutlich aufwändiger werden, weshalb gängige Analysemethoden an ihre Grenzen stoßen. Zum einen liegt dies an der Masse an möglichen Schnittstellen, Daten sowie Informationen und der damit steigenden Anzahl an potenziellen Variablen und Stellgrößen. Zum anderen wird es in ausoptimierten Prozessen immer schwerer produktivitätssteigernde Maßnahmen zu identifizieren.
Für den Industrial Engineer kann sich das Tätigkeitsbild insofern weiterentwickeln, als dass nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Verarbeitung, Auswertung und Analyse der Daten zunehmend digital ablaufen wird und durch IT-Systeme und -Anwendungen Unterstützung findet. Es erfolgt also eine Hilfestellung bei der Erledigung der täglichen Aufgaben. Darunter fallen beispielsweise automatisierte Auswertungen der Zeitaufnahmen, das Erstellen von Prozessplänen oder etwa bei der Abbildung von Wertströmen. Diese Anwendungen finden auch zunehmend mobile Ableger, etwa für Tablets oder Smartphones, um auch im direkten Produktionsumfeld Daten erfassen zu können.
Betrachtet man die Analysemethoden an sich, so ist davon auszugehen, dass sich der „Werkzeugkasten“ des Industrial Engineer zukünftig erweitern wird und eine Vielzahl von Hilfsmitteln aus der klassischen Data Science Einzug finden. Darunter zählen beispielsweise Methoden der multivariaten Statistik, zu denen auch die Klassifizierung oder Clusterung von Daten zählt. Perspektivisch steht der moderne Industrial Engineer bei der Analyse von Arbeitsdaten vor der Herausforderung komplexe Zusammenhänge im direkten, aber auch indirekten Bereich durch zielgerichtete Datenanalysen zu erkennen. Dabei steht nicht die komplexe Berechnung im Vordergrund. Viel wichtiger ist das Verständnis für die Analysemodelle, zu wissen wann und wie der Einsatz sinnvoll ist und im Besonderen, wie die Ergebnisse zu interpretieren sind bzw. welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können. Tools wie beispielsweise die KNIME Analytics Platform, die schon heute in vielen Betrieben zum Einsatz kommen, unterstützen den Nutzer bei der Verarbeitung von Daten, indem sie verschiedenste Analysemodelle zur Verfügung stellen. Der große Vorteil liegt nicht nur in der Analyse von Daten. Vielmehr können die zugrundeliegenden Workflows automatisiert werden, um auch zukünftige Analysen wesentlich zeiteffizienter durchzuführen oder aber auch Vorhersagemodelle zu generieren, wie sie beispielsweise in der Instandhaltung für die Ausfallvorhersage zum Einsatz kommen.
Die Verarbeitung und Analyse von Arbeitsdaten wird in der Industrie 4.0 komplexer. Der moderne Industrial Engineer braucht hierfür nicht nur geeignete Anwendungen, sondern auch die Kompetenz über geeignete Methoden zu entscheiden und letztendlich deren Ergebnisse zu deuten und zu bewerten. Die Methoden und Konzepte der Data Science können dabei zumindest streckenweise den zukünftigen Handlungsraum des Industrial Engineer im Arbeitsdatenmanagement wiederspiegeln.
Wie nutze ich meine Arbeitsdaten nachhaltig?
Ziel der Datengewinnung, Aufbereitung und Analyse ist das Generieren von Informationen und Wissen zugunsten der Arbeitsplatz- oder der Prozessgestaltung, ebenso wie für die Gestaltung von Unternehmenssystemen und Unternehmensnetzwerken. Aber auch für das Arbeitsdatenmanagement an sich bringt die Analyse von Daten Vorteile. Durch die Tätigkeiten des Industrial Engineering im Arbeitsdatenmanagement wird die Grundlage gelegt erfolgreiche Unternehmen zu gestalten und diese kontinuierlich zu verbessern. Die Aktualität von Arbeitsdaten spielt hierbei eine wesentliche Rolle. In der Industrie 4.0 wird die Datengenerierung und folglich auch die Bereitstellung von Arbeitsdaten hochfrequent in nahezu Echtzeit erfolgen. Das eröffnet bisher nicht genutzte Reaktionspotenziale bis hin zu proaktiven Handlungen auf Grund von Datenvorhersagen. Hieran sind mehrere Herausforderungen geknüpft.
Zunächst muss die Technik fähig sein in dieser Geschwindigkeit Daten zu verarbeiten und bereitzustellen. Nur dann sind Mehrwert und Nutzen gegeben, den das Internet der Dinge ermöglicht. Hieran sind im Regelfall Investitionen geknüpft, die einer Beurteilung hinsichtlich der Rentabilität und Machbarkeit benötigen.
Weiterhin ist die Gestaltung des Unternehmens, also die Organisation, die Prozessgestaltung und die Qualifikation des Personals elementar. Beispielsweise erfordert die schnelle Bereitstellung von Arbeitsdaten eine Umstellung der bisherigen Berichtsstruktur und Regeltermine im Unternehmen um zukünftig agil und schnell agieren zu können. Prozesse, gerade im Arbeitsdatenmanagement müssen auf die sich ändernden Tätigkeiten ausgerichtet werden (siehe Video).
Aus Personalsicht ist es eventuell sinnvoll eigene Einheiten zu bilden, die sich mit der Auswertung der Datenmassen beschäftigen. In jedem Fall muss jedoch das Personal informiert und qualifiziert sein, um die Änderungen umsetzen zu können und um unnötige Fehler zu vermeiden. Gerade in der Visualisierung von Arbeitsdaten oder aber auch von Kennzahlen kann die Digitalisierung einen wesentlichen Mehrwert schaffen, den es im Gegenzug aber auch zu kommunizieren gilt.
Für den Industrial Engineer bedeutet das in Summe, dass die Erkenntnisse und das Wissen aus den Analysen transparent und nachhaltig bereitgestellt werden müssen. Idealerweise werden Analysen teilautomatisiert, um perspektivisch mehr Zeit für die tatsächliche Umsetzung zur Verfügung zu haben. Nicht zuletzt muss er entscheiden können, welche Informationen an welcher Stelle im Betrieb notwendig sind und hierfür geeignete Reporting- und Visualisierungstools zu entwickeln oder diese zu beziehen. Er ist dafür verantwortlich den Wandel zu gestalten und neben der betrieblichen und technischen Sicht vor allem auch den Menschen, den wichtigsten Treiber in der Industrie 4.0, mitzunehmen.
Quellen:
[1] Forbes: Cleaning Big Data: Most Time-Consuming, Least Enjoyable Data Science Task, Survey Says. Aufgerufen am 27.11.2018 unter https://www.forbes.com/sites/gilpress/2016/03/23/data-preparation-most-time-consuming-least-enjoyable-data-science-task-survey-says/#4be32ffc6f63
[2] Durr, Holger: Anwendung des Data Mining in der Praxis. Aufgerufen am 28.11.2018 unter http://www.mathematik.uni-ulm.de/sai/ws03/dm/arbeit/duerr.pdf
[3] Youtube: Smart Data Analytics: Die BMW Group setzt auf intelligente Nutzung von Produktionsdaten. Aufgerufen am 28.11.2018 unter https://www.youtube.com/watch?v=UkHJOu_G8TU