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Der REFA-Blog

Virtuelle und hybride Teams entwickeln


Mittwoch, 26.01.2022
Virtuelle und hybride Teams entwickeln

Virtuelle und hybride Teams arbeiten unter anderen Rahmenbedingungen zusammen als klassische Teams, bei denen sich die Mitglieder persönlich treffen – ob täglich am Arbeitsplatz, in der Projektgruppe oder zu festgelegten Besprechungsterminen. Entscheidend für die Entwicklung der modernen „Remote-Teams“ ist der Faktor Vertrauen.

Viele Unternehmensangehörige arbeiten mittlerweile im Homeoffice, sind im Außendienst, auf Montage beim Kunden oder auf Dienstreise. Damit stehen viele Führungskräfte vor der Herausforderung, virtuelle bzw. hybride Teams zu leiten und zu entwickeln. Bei diesen Teams befinden sich die Mitglieder an verschiedenen Orten – teils weltweit. Die Kommunikation erfolgt meist per Smartphone oder Internet, etwa über E-Mail und Benachrichtigungsdienste oder im Rahmen von Videokonferenzen. Die Verunsicherung bei den Betroffenen wächst, ob der wichtige Austausch so noch gewährleistet werden kann.

Diese Sorge ist verständlich, aber nur teilweise berechtigt. Denn wie die klassischen Teams durchlaufen auch virtuelle und hybride Teams trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen dieselben vier Entwicklungsphasen, bevor sie sich arrangiert haben und zu einer kontinuierlich hohen (Team-)Leistung fähig sind.

Die vier Phasen der Teamentwicklung

Die vier Phasen der Teamentwicklung hat der US-amerikanische Psychologe und Organisationsberater Bruce Wayne Tuckman bereits vor mehr als 50 Jahren beschrieben.

Phase 1: Forming – Orientierungsphase
In der Orientierungsphase versuchen die Teammitglieder, sich ein Bild von den jeweils anderen Angehörigen der Gruppe zu machen. Sie versuchen herauszufinden, wie sich die neuen Kollegen benehmen, was sie können, welche Interessen sie verfolgen und welche Vorlieben und Eigenarten sie aufweisen. Hier steht die Frage im Raum, inwieweit eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit ihnen möglich ist. In der Forming-Phase sieht sich die Gruppe noch nicht als Team.

Phase 2: Storming – Konfliktphase
In der stürmischen Konfliktphase werden Auseinandersetzungen ausgefochten, um die eigene Position festzulegen und eine Rangordnung aufzustellen. Verteilt werden dabei die Aufgaben und Rollen im Team. Hierbei versucht jedes Gruppenmitglied, seine eigenen Interessen zu verteidigen und dafür zu sorgen, dass seine Meinungen und Ansichten berücksichtigt werden. In dieser Phase werden oft unterschwellige Konflikte zwischen Bereichen und funktionellen Einheiten im Unternehmen sichtbar und ausgetragen.

Phase 3: Norming – Organisationsphase
Sind die Fronten geklärt, steht die Organisation des Teams auf der Tagesordnung. Die Teammitglieder entwickeln Spielregeln für den Umgang miteinander und nach außen. Dazu gehört auch die Vereinbarung von Maximen, an die sich alle bei der Bearbeitung der gemeinsamen Aufgabe halten. Die Teamarbeit wird so geregelt und kann allmählich ihre Vorzüge entfalten.

Phase 4: Performing – Integrationsphase
Die einzelnen Personen, aus denen das Team besteht, entwickeln ein Wir-Gefühl. Zentral ist die Identifikation mit gemeinsamen Werten und Zielen. In der Folge ist die Leistung des Teams deutlich höher als die der Einzelpersonen: Aufgrund der vertrauensvollen Zusammenarbeit können bessere Ergebnisse erreicht werden.

Herausforderung: Konflikte erkennen und bearbeiten

Probleme und auftretende Konflikte können bei klassischen Teams „vor Ort“ von einer Führungskraft sofort aufgegriffen und bereinigt werden. Denn bei physischer Präsenz sind nonverbale Signale wie Mimik und Gestik bei den Akteuren sichtbar. Bei virtuellen und hybriden Teams werden vorhandene und sich anbahnende Konflikte von der Teamleitung aufgrund des Arbeitens an verschiedenen Orten aber oft erst spät erkannt. Deshalb bleiben „Remote-Teams“ häufiger in der „Storming-Phase“ stecken.

Eine Kultur der Offenheit, des Respekts und des konstruktiven Feedbacks ist hier von essenzieller Bedeutung. Denn auf dieser Basis können Konflikte, Interessengegensätze oder auch unterschiedliche Wahrnehmungen und Einschätzungen, die zu Auseinandersetzungen führen könnten, leichter angesprochen und bearbeitet werden. Aber auch dann muss die Teamleitung sehr sensibel für eventuelle Unstimmigkeiten sein, denn diese werden bei einer virtuellen Zusammenarbeit oft versteckt artikuliert – etwa in E-Mails und Memos.

Erfolgsfaktor Vertrauen

Der zentrale Erfolgsfaktor beim Führen virtueller und hybrider Teams ist und bleibt das Vertrauen. Denn die räumliche Distanz zu zumindest einem Teil der Teammitglieder führt dazu, dass die Führungskraft weniger Detailinformationen und informelle Hinweise erhält. Das Resultat des größeren Abstands ist eine geringere Kontrolle und ein Verlust an Steuerungsmöglichkeiten. Führungskräfte müssen ihren Mitarbeitern daher mehr Ermessensspielräume zugestehen. Die Teammitglieder wiederum haben dabei selbstständiger und verantwortungsbewusster zu agieren. Die Vertrauensbereitschaft der Führungskraft muss also wachsen – ebenso wie die unternehmerische Einstellung der Teammitglieder.

Führungskräfte, die ihre Mitarbeiter weitgehend auf Distanz führen, sollten daher über folgende Eigenschaften in Bezug auf Kompetenz und Persönlichkeit verfügen:

  • Grundlegend sind ein positives Menschenbild und ein niedriges Kontrollbedürfnis.
  • Wichtig sind gefestigte Werte und eine Vision von Zusammenarbeit, welche die Mitarbeiter motivieren und eine gemeinsame Gestaltung der Zielerreichung ermöglichen.
  • Ebenfalls von Bedeutung ist das Gespür für die Wertesysteme und Bedürfnisse anderer Menschen, um diese sensibel führen zu können. Dies gilt speziell für Angehörige anderer Kulturen oder gesellschaftlicher Milieus.

Aufgabe: Vertrauen auf- und ausbauen

All diese genannten Anforderungen gelten natürlich auch für das Führen klassischer Teams. Bei virtuellen und hybriden Teams haben diese Faktoren aber eine noch höhere Relevanz, denn im Rahmen einer überwiegend virtuellen Zusammenarbeit lässt sich das notwendige Vertrauen nicht so leicht aufbauen.

Generell muss in Bezug auf das Vertrauensverhältnis zudem noch unterschieden werden zwischen dem

  • Vertrauen in die fachliche und persönliche Kompetenz der anderen Teammitglieder und
  • dem persönlichen Vertrauen zwischen den Teammitgliedern.

Das Vertrauen in die Kompetenz der Teammitglieder lässt sich durch die Auswahl der Personen anhand der nachgewiesenen Fähig- und Fertigkeiten sowie des Erfahrungshorizonts begründen und durch (Weiter-)Qualifizierungen stärken. Vertrauen auf persönlicher Ebene entsteht aber nur, wenn die Teammitglieder sich menschlich näherkommen und dafür sensibilisiert werden, welche Vorlieben und Eigenarten der jeweils andere aufweist: Wie verhält er sich? Was ist ihm wichtig? Wie reagiert er, wenn …?

Bevor virtuelle (und hybride) Teams ihre Arbeit aufnehmen, sollte daher möglichst ein Kick-Off-Meeting stattfinden, bei dem die Mitglieder sich kennenlernen, Face-to-Face miteinander kommunizieren und den jeweils anderen auch als Menschen wahrnehmen. Weiterhin wichtig sind – sofern möglich – regelmäßige Treffen, bei denen die Teammitglieder über die gemeinsame Arbeit sprechen und ihre persönliche Beziehung vertiefen. Um den Zusammenhalt und das Wir-Gefühl zu stärken, können auch Team-Building-Maßnahmen sinnvoll werden.

Aufgabe: Information und Kommunikation sicherstellen

Vertrauen muss man sich verdienen – es muss erarbeitet werden und entwickelt sich erst mit der Zeit. Wichtig für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit ist, sich gut informiert zu fühlen. Eine Kernaufgabe der Teamleitung ist daher, eine regelmäßige, offene und umfassende Kommunikation zu gewährleisten. Dazu sind Kommunikations- und Informationsroutinen zu etablieren, die vom Team akzeptiert, genutzt und unterstützt werden. Regelmäßige virtuelle Team-Meetings gehören ebenso dazu wie Vier- und Mehr-Augen-Gespräche. Auch eine Plattform für die informelle Kommunikation unter den Teammitgliedern von virtuellen und hybriden Teams ist von Bedeutung, um den Austausch auf menschlicher Ebene zu unterstützen. Hierzu lassen sich soziale Netzwerke, Chat-Tools und ähnliche Instrumente sinnvoll einsetzen.

Generell gilt: Die virtuelle Zusammenarbeit stellt höhere und teils andere Anforderungen an die Mitglieder und an die Leitung eines Teams als die klassische Form des Miteinanders. Vielen Unternehmen, die in den vergangenen Jahren das Arbeiten in virtuellen oder hybriden Teams eingeführt und praktiziert haben – oft unter dem Label „New Work“ –, wurde dies erst bei der Ausführung bewusst.

Bei den Teammitgliedern für die nötige Reife sorgen

All diese Unternehmen haben die Erfahrung gemacht, dass die Mitglieder von virtuellen und hybriden Teams eine höhere fachliche und persönliche Reife brauchen. Nur unter dieser Voraussetzung können sie selbstständiger und eigenverantwortlicher arbeiten. In der Einarbeitungsphase von Mitarbeitern ist ein Führen auf Distanz daher meist nur sehr eingeschränkt möglich.

Virtuelle und hybride Teams können eine zentrale Säule der künftigen Arbeitsorganisation in den Unternehmen sein, wenn die Eigenheiten der Teams bei deren Zusammenstellung und -führung bedacht werden. Dabei bieten sich den Unternehmen zwei gravierende Vorteile: Mit diesen Teams können sie flexibel auf veränderte Rahmenbedingungen reagieren – und dem Bedürfnis der Mitarbeiter nach einer Zeit- und Ortsunabhängigkeit bei ihrer Arbeitsgestaltung nachkommen.

Auch REFA widmet sich im Online-Seminar „Führen im Home-Office“ diesem Thema.

Zum Autor: Hans-Peter Machwürth ist Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Machwürth Team International (MTI Consultancy).